Das Jahr 2010 ist für viele afrikanische Staaten der 50. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit. Gibt es, angesichts des Zustands der Volkswirtschaften Afrikas, heute viel zu feiern?
Der durch die Kreditkrise von 2008 ausgelöst weltweite wirtschaftliche Abschwung und die Erschütterungen der Finanzmärkte belasten die Haushalte der afrikanischen Staaten. 2009 haben sich, außer in Ghana und wenigen anderen Staaten, die Haushaltsbilanzen verschlechtert. Da jedoch während der vorangegangenen Wachstumsperioden mit öffentlichen Mitteln sparsam gewirtschaftet wurde, stand, im Vergleich zu früheren Krisen, eine nicht geringe Zahl afrikanischer Staaten zu Beginn der gegenwärtigen Krise finanzpolitisch besser da.
In Afrika wuchs 2009 das Bruttosozialprodukt um durchschnittlich 1,6 Prozent - deutlich weniger als die 5,7 Prozent zwischen 2002 und 2008, aber dennoch ein Wachstum. Hauptgrund dafür ist die weltweite Nachfrage nach Afrikas Ressourcen und Landflächen, die von den Schwellenländern angetrieben wird. Vor allem China hat diesen Wandel bewirkt: seit 2003 hat das Land sein Handelsvolumen mit Afrika verfünffacht. Darüber hinaus haben mehrere afrikanische Staaten langfristig angelegte Reformpläne umgesetzt, durch die sich das Investitions- und Geschäftsklima trotz der großen Herausforderung, die die Krise bedeutet, verbessert hat.
Selbstverständlich gibt es auch zahlreiche Risiken wie Unwetter, militärische Auseinandersetzungen und politische Unruhen, die die hart erkämpften sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften wieder gefährden können. Am stärksten aus dem Gleichgewicht ist Afrika jedoch durch die zweigeteilte Natur seiner Wirtschafts- und – wichtiger noch – Finanzsysteme. Hier entstehen zweierlei Afrikas: eine moderne Wirtschaft und eine Bargeldwirtschaft.
Die öffentliche Ordnung ist ganz auf die moderne Wirtschaft orientiert, die als Eckpfeiler wirtschaftlicher Stärke angesehen wird und anhand derer man die Leistungsfähigkeit misst. Die finanzielle Infrastruktur einer modernen Wirtschaft besteht aus einer Reihe von Regeln: rechtlichen, ordnungspolitischen, buchhalterischen, solchen, die sich auf die Kreditwürdigkeit beziehen sowie aus einem Zahlungs- und Abrechnungssystem. Nationale Zahlungssysteme bedienen elektronische Zahlungshilfsmittel und -dienste. Über ein zwischenbankliches System zur Übertragung von Mitteln in hohem Volumen werden Transaktionen in Echtzeit abgewickelt, wodurch für die Teilnehmenden das Risiko von Kreditausfällen verschwindet, sich der Mittelumlauf erhöht und sich finanzpolitische Maßnahmen einfacher umsetzen lassen. Banken haben die Möglichkeit, ihre Liquidität in Echtzeit zu überprüfen und können so kostensparend investieren.
Allerdings haben nur wenige eingetragene Finanzinstitutionen Zugang zu diesem Zahlungssystem, und dabei handelt es sich fast ausschließlich um die Ableger westlicher Geschäftsbanken. Finanzinstitutionen, die keine Banken sind, beispielsweise Wechselstuben, Postämter oder Mikrokredit-Institutionen, sind zu diesem System nicht zugelassen, ganz gleich wie solide ihre geschäftliche Lage auch ist. Verschlimmert wird diese Vereinnahmung der nationalen Zahlungssysteme durch die Banken noch durch Exklusivverträge, die Banken und die Anbieter von Geldtransfers wie Western Union mit den meisten afrikanischen Staaten geschlossen haben. Durch diese Vereinbarungen werden Finanzinstitutionen, die keine Banken sind, von dem sehr lukrativen Markt für Auslandstransfers durch Migranten ausgeschlossen. Das Geld, das Afrikaner aus dem Ausland in die Heimat überweisen, trägt bedeutend zum wirtschaftlichen Wachstum in der Region bei.
Landflucht und Verstädterung haben andererseits eine dynamische informelle Branche entstehen lassen, die von der modernen Wirtschaft jedoch ganz abgeschnitten ist. Auch wenn Vertreter afrikanischer Staaten diesen Bereich wenig beachten, trägt die Bargeldwirtschaft doch erheblich zur Entwicklung der Produktionskapazitäten in der Region bei. Über 90 Prozent aller Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft und 75 Prozent des Einzelhandels basieren auf dieser Branche. Trotz dieser entscheidenden Rolle hat der informelle Sektor jedoch keinen Zugang zum gängigen Kreditwesen. Kredite können informell arbeitende Unternehmer nur von Mikrokredit-Institutionen erhalten.
Die Staaten Afrikas müssen endlich erkennen, dass die Entwicklung in ihren Ländern einen großen Schritt vorangebracht werden kann, wenn es gelingt, den informellen Sektor zu modernisieren und in die moderne Wirtschaft zu integrieren. Einige Länder haben hier erste Schritte unternommen. Nigeria hat keine Exklusivverträge abgeschlossen, und das kürzlich neu geordnete Bankenwesen des Landes hat in diesem Bereich erhebliche Fortschritte gemacht. Ruanda hingegen hat Exklusivverträge offiziell verboten und versucht, Mikrokredit-Institutionen zu Zahlungsdienstleistern zu machen. Die South African Reserve Bank hat innerhalb des nationalen Zahlungssystems eine Nische für Mikrokredit-Institutionen und andere nicht-bankliche Finanzdienstleister geschaffen, und das nationale Zahlungssystem Malawis steht nicht-banklichen Finanzdienstleistern offen.
Wenn Mikrokredit-Institutionen Zugang zu nationalen und regionalen Zahlungssystemen und elektronischen Handelsplattformen bekommen, werden sie auch für den Einzelhandel und die Privatwirtschaft als Banken interessant. Darüber hinaus wird es so für die Ärmsten leichter möglich, Zugang zu Finanzdienstleistungen zu erhalten. Der Anteil der Bevölkerung ohne Bankkonto wird fallen, nationale Finanzsysteme werden sich entwickeln und zusammenwachsen, und der überregionale Handel kann zunehmen und so zur Basis der finanziellen Integration der ganzen Region werden. Eine solche Entwicklung wäre sehr zu begrüßen, denn aktuell wird ein erheblicher Teil des überregionalen Handels von informellen Dienstleistern abgewickelt, kleinen und mittleren Unternehmen, die keinen Zugang zum Bankensystem haben. Generell ist eine stärkere wirtschaftliche Integration, mehr Binnenhandel für Länder, ganz gleich in welchem Teil der Welt, die beste Art, Teil des internationalen Marktes zu werden.
Werden das Leiden und die Misere Afrikas untersucht, hört man üblicherweise viel über die traumatische Vergangenheit des Kontinents und seiner Bewohner. Es ist jedoch alles andere als einfach, von dieser Vergangenheit einen Bogen zur aktuellen Situation zu schlagen: Zum mangelnden politischen Willen von Afrikas Staatsleuten, ihrem unverantwortlichen Handeln und der Bereitwilligkeit, mit der sie ein Vermögen dafür ausgeben, ihre Länder mit modernsten Zahlungssystemen auszustatten, nur um dann Vereinbarungen abzuschließen, durch die ein Großteil der Bevölkerung von deren Nutzung ausgeschlossen wird.
Abraham Lincoln sagte, dass ein geteiltes Haus nicht stehen bleiben wird. Auf die Wirtschaft bezogen könnte man sagen: Ein geteiltes Wirtschaftsgebilde wird nicht gedeihen.
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Sanou Mbaye war Mitglied des Leitungsteams der Afrikanischen Entwicklungsbank. Der aus dem Senegal stammende Investmentbanker ist Verfasser des Buchs "L’Afrique au secours de l’Afrique" (Afrika muss Afrika zur Hilfe kommen).