Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken geht in diesem Jahr an den französischen Philosophen und Sinologen François Jullien. Der von der Stadt Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung gestiftete und mit 7.500 Euro dotierte Preis wird François Jullien am 3. Dezember 2010 im Bremer Rathaus im Rahmen einer Festveranstaltung überreicht.
Bedeutender Chinakenner
François Jullien lebte viele Jahre in China und gilt als einer der bedeutendsten Kenner des Landes. „Lange bevor alle Welt vom ungewöhnlichen Aufstieg Chinas beeindruckt war, spürte François Jullien in immer neuen Versuchen dem chinesischen Denken nach. Er wollte China besser verstehen. Besser verstehen wollte er auf dem Umweg über China aber auch Europa und das westliche Denken in seiner Eigenart“, sagt Jurymitglied Joscha Schmierer.
„Indem Jullien das westliche Denken mit dem chinesischen Denken konfrontiert, arbeitet er dem Missverständnis entgegen, Universalismus wäre leicht zu erreichen, wenn alle erst einmal denken, wie es im Westen zur Gewohnheit geworden ist. Da er das chinesische Denken ernst nimmt, kann er als Aufgabe formulieren, Universalismus nicht als gegeben voraus zu setzen, sondern als praktizierten Pluralismus unterschiedlicher Denktraditionen diskursiv anzustreben: Universalismus als Leitidee eines sich selbst aufklärenden Pluralismus.“, so Schmierer.
Das Denken der anderen verstehen
„Jullien fragt nach Möglichkeiten wechselseitigem Verstehens unter unterschiedlichen Voraussetzungen: Versteht man das eigene Denken nicht erst, wenn man das Denken des anderen zu verstehen versucht? Und ist dieses Verständnis der Grenzen der eigenen Denktradition nicht Bedingung der Verständigung?“ so die Jury weiter. So sei bei Jullien guter Rat zu holen, wenn westliche Politiker in China für die Menschenrechte fechten oder Manager europäischer Unternehmen mit chinesischen Partnern verhandeln. Denn: „Im Verhältnis des Westens zu China lauern Missverständnisse. Je weniger man sich der Unterschiede des Denkens bewusst ist, desto größer ist die Gefahr, sich erst einmal nicht oder falsch zu verstehen.“
François Jullien habe sich diesem Problem in permanentem Nachdenken gestellt.
„Jullien ist ein Grenzgänger, der die Grenzen nicht verschwinden lässt, sondern sichtbar macht, um auf beiden Seiten von einander zu lernen“, ergänzt Schmierer.
Über den Preisträger
François Jullien, 1951 in Embrun im französischem Département Hautes-Alpes geboren, studierte in den 1970er Jahren an der Ecole Normale Supérieure in Paris Philosophie sowie Chinesisch an den Universitäten von Beijing und Shanghai. Nach seiner Promotion 1978 wird er Leiter der Antenne Française de sinologie in Hong Kong und gründet die Zeitschrift „Extrême Orient – Extrême Occident“. Nach seiner Habilitation in Sinologie an der Universität Paris 7 Denis Diderot 1983 wird er Stipendiat im Japanisch-Französischen Haus in Tokyo. Ende der achtziger Jahre ist er Präsident der Französischen Gesellschaft für Chinastudien und in den darauffolgenden zehn Jahren Direktor des UFR Asie Orientale der Universität Paris 7 Denis Diderot. Parallel dazu übt er für drei Jahre das Präsidentenamt des Collège international de philosophie aus. Seit 2001 ist er Mitglied des Institut Universitaire de France und seit 2002 Direktor des Instituts Marcel Granet sowie an der Universität Paris 7 Denis Diderot Direktor des Institut für zeitgenössisches Denken. Seit 2004 hat er die Professur für ostasiatische Sprachen und Kultur inne. Darüber hinaus ist er als Wirtschaftsberater für französche Unternehmen tätig, die Projekte in China durchführen, sowie Herausgeber der Sammlungen "Orientales" und "Libelles" beim Verlag Presses Universitaires de France in Paris. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.