Bild: Stephan Röhl. Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0. Original: Flickr.
Die Stadt Prypjat wurde 1970 für die im Atomkraftwerk Tschernobyl Beschäftigten gebaut. Eine hochmoderne, junge, sowjetische Modell-Stadt mit 48.000 Einwohnern, viereinhalb Kilometer vom hochmodernen Modell-AKW entfernt. Nur sechzehn Jahre später wurden sämtliche Bewohner der verstrahlten Stadt evakuiert, die Stadtgeschichte war zu Ende. Seither ist Prypjat eine menschenleere Stadt.
Eine Straße in Prypjat heißt "Die Straße der Enthusiasten". Die Stadtgründer zogen im Jahr 1970 (Breschnew-Ära) ganz selbstverständlich eine Traditionslinie von der aktuellen Begeisterung für das Perpetuum Mobile Atomkraft hin zum historischen Enthusiasmus der ersten sowjetischen Industrialisierung (Fünfjahresplan 1927-1932), also zu jenem quasireligiösen, fortschrittsgläubigen Eifer, der die Massenmobilisierung des Stalinismus charakterisiert.
Die Ausstellung besteht aus drei Teilen:
Prypjat.1 – Die Zone
Zwei außergewöhnliche Fotografen erkunden die menschenleere Stadt Prypjat und die verlassenen Dörfer der Zone. Der Ältere (Robert Polidori) konstatiert Zerstörung und Verfall, streng, dokumentarisch. Für den Jüngeren (Andrij Krementschouk) ist Tschernobyl eine vollendete Tatsache, er schaut sich um und sucht die Begegnung mit Menschen. Zwischen den beiden Fotoserien erschließt sich eine dritte Sichtweise, ausgedrückt in Versen der ukrainischen Dichterin Lina Kostenko - zwei Quatrains aus ihrer Sammlung "Kurz wie die Diagnose". Im Gegensatz zu den zugereisten Fotografen weiß sie genau, was sie in der Zone verloren hat.Prypjat.2 – Atomgrad
Die Stadt Prypjat vor dem Fall. Eine geradezu fromme Fortschrittsgläubigkeit, der Glaube an das Sowjetland der unbegrenzten Möglichkeiten.
- Träumerische Plakate vom schönen, neuen Atomzeitalter aus den 70ern.
- Dokumentarisches Film-Material aus den 70ern und 80ern mit einer herzzerreißend optimistischen Ahnungslosigkeit – kurz vor der Katastrophe.
- Panorama-Fotos aus der Aufbauzeit, eine Stadt «aus dem Boden gestampft» (das begeisterte Auge des Fotografen Sergej Nechajew).
- eine Texttafel über die 16 Jahre Lebenszeit der «Atomstadt» Prypjat: Die Erbauer der Stadt sahen sich als Träger einer Verheißung, die sich erstmals bei der stalinistischen Industrialisierung (Fünfjahresplan 1928-1933) offenbart hat. «Enthusiasmus» ist damals der Motor der Massen-Mobilisierung gewesen.
- ein PR-Poem von Wladimir Majakowskij «Wir – sind die Edisons der unerhörten Hochflüge, Energien, Lichter ... »
- historische sowjetische Plakate, u.a. auch das Filmplakat für Dziga Vertovs Tonfilm «Donbass-Symphonie – Enthusiasmus» (1931).
Echo aus Charkow – Eco-Poster
Eine Antwort auf die Frage «Was folgt aus Tschernobyl?» kommt aus einer Industriestadt im Osten der Ukraine, aus Charkow. Dort hat Oleg Veklenko mit seinen Mitarbeitern schon 1991 eine Internationale Triennale für Eco-Poster der Gruppe «BLOCK4» entwickelt. Aus dem ungeheuren Fundus dieser Plakat- und Graphiksammlung zeigen wir einige hundert Plakate aus aller Welt, zum Teil in der Papier-Version, zum Teil auf einer elektronischen Plakatsäule.Bilder
Dossier
Tschernobyl 25 – expeditionen
Am 26. April 1986 explodierte der Atomreaktor in Tschernobyl. Nicht nur Teile der Ukraine, Weißrusslands und Russlands wurden verstrahlt. Die radioaktive Wolke überzog halb Europa. Die Katastrophe war aber nicht nur eine ökologische. Die Entwicklung der Kultur einer ganzen Region wurde unwiderruflich gestoppt. Die Ausstellung „Straße der Enthusiasten“, Lesungen, Diskussionen und ein internationales Symposium erinnern an den GAU und fragen, ob eine weltweite Renaissance der Atomkraft tatsächlich Realität wird.