Angesichts eines die Lebensgrundlagen der Menschheit bedrohenden Klimawandels hat die EU im Jahr 2009 beschlossen, die CO2-Emissionen in der EU zu reduzieren und sich auf die sogenannten 2020-Ziele geeinigt. Damit strebt sie an, bis zum Jahr 2020 ein ressourceneffizienteres Europa zu schaffen, in dem das Wirtschaftswachstum vom Verbrauch natürlicher Ressourcen entkoppelt ist. Dies soll durch die Förderung erneuerbarer Energien, die Modernisierung des Transportsektors und eine Steigerung der Energieeffizienz erreicht werden. So soll europaweit der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieendverbrauch von 8,5 Prozent im Jahr 2005 auf 20 Prozent im Jahr 2020 erhöht werden.
Um diese Erhöhung zu schaffen, wurden für jeden EU-Mitgliedsstaat verbindliche Ziele festgelegt, es bleibt jedoch den Mitgliedstaaten selbst überlassen, wie diese erreicht werden sollen. Dies führte dazu, dass 27 EU-Mitgliedsländer 27 so genannte „Nationale Aktionspläne (NAP)“ erstellt haben und es keinen europäischen, koordinierten Ansatz gab. Zudem formuliert die EU nur Ziele bis zum Jahr 2020, wodurch die Gefahr besteht, dass zwar die Ziele bis zum Jahr 2020 erreicht werden, aber der langfristige Umbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nicht verfolgt wird. Gemeinsam mit der Green European Foundation und weiteren Partner untersuchte die Heinrich-Böll-Stiftung eine Reihe dieser Nationalen Aktionspläne.
Zur Präsentation der Analyse des deutschen Nationalen Aktionsplans lud die Heinrich-Böll-Stiftung am 27. Oktober 2010 zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Energie für die Zukunft Europas. 27 Nationale Aktionspläne = 1 Europäische Energiepolitik?“ in die Stiftungszentrale nach Berlin ein. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden der deutsche sowie der schwedische NAP vorgestellt und analysiert. Die Podiumsteilnehmer Stephan Sina (Ecologic), Mats Abrahamsson (factwise Stockholm), Andree Böhling (Greenpeace) und Carsten Pfeiffer (Büroleiter bei Hans-Josef Fell, MdB) diskutierten dabei im Wesentlichen drei Fragen: Werden Deutschland und Schweden die von der EU vorgeschriebenen Ziele bis zum Jahr 2020 erreichen? Nehmen die Aktionspläne dieser beiden Länder den langfristigen Umbau der Stromerzeugung in Angriff? Berücksichtigen sie die Möglichkeiten, die eine europäische Kooperation bei diesem Umbau der Stromerzeugung bietet?
Was die erste Frage anbelangt, waren sich alle Diskutanten einig, dass Deutschland und Schweden die gesteckten Ziele bis 2020 nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen werden. Allerdings liege dies vor allem daran, dass die in den Nationalen Aktionsplänen formulierten Ziele nicht sonderlich ambitioniert seien. Die für Deutschland festgelegten 18 Prozent, die die erneuerbaren Energien an der Gesamtenergieerzeugung im Jahr 2020 ausmachen sollen, sind laut einhelliger Meinung der Podiumsteilnehmer viel zu niedrig angesetzt. Für Schweden konstatierte Mats Abrahamsson, der den schwedischen NAP untersucht hatte, dass statt der angepeilten 48,9 Prozent durchaus 60 Prozent Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen möglich wären. Bei dem von der schwedischen Regierung vorgelegten Plan handele es sich nicht um einen Plan im eigentlichen Sinne, sondern eher um eine Prognose darüber, was passiert, wenn alles so weiter läuft wie bisher und keine besonderen Maßnahmen ergriffen werden, um erneuerbare Energien stärker zu fördern.
In Bezug auf die Nachhaltigkeit der Pläne zum langfristigen Umbau der Stromerzeugung über das Jahr 2020 hinaus wurde festgehalten, dass zwar erste Schritte in dieser Hinsicht in den Plänen angedeutet werden, diese aber sehr vage bleiben. Auch hinsichtlich der europäischen Kooperation gebe es noch erhebliche Defizite. Deutschland etwa steht laut Stephan Sina einer europäischen Zusammenarbeit grundsätzlich positiv gegenüber und diese ist in der Perspektive bis 2050 auch präsent. Allerdings wurden bis zum Jahr 2020 noch keine konkreten Maßnahmen genannt, wie die Kooperation auf europäischer Ebene verbessert werden kann. Schweden setze zwar mitunter auf bilaterale Zusammenarbeit – insbesondere mit anderen skandinavischen Ländern –, aber eine gesamteuropäische Kooperation spielt laut Mats Abrahamsson im schwedischen Aktionsplan nur eine untergeordnete Rolle.
In der den Präsentationen folgenden Diskussion ging es um die Chancen und Risiken einer stärkeren Europäisierung der Energiepolitik und insbesondere der Förderung erneuerbarer Energien. Auch wenn im Grundsatz Einigkeit herrschte, dass der Weg zu einer vollständigen Stromversorgung Europas aus erneuerbaren Energiequellen nur über eine stärkere europäische Zusammenarbeit führen wird, gab es unterschiedliche Vorstellungen über das Ausmaß der Europäisierung. Carsten Pfeiffer betonte, dass es sehr von den Details abhängt, ob Regelungen auf der europäischen Ebene erneuerbare Energien eher fördern oder eher behindern und man daher entsprechende Vorschläge - wie z.B. bei der Forderung nach einer Europäisierung der Fördersysteme - sehr genau betrachten muss. Andree Böhling betrachtet die nationale Ebene bis auf Weiteres als die für die Entwicklung von erneuerbaren Energien relevantere Ebene. Dass dies zu einer sowohl im Prozess als auch im Ergebnis etwas uneinheitlichen Politikentwicklung zwischen der europäischen Ebene und den EU-Mitgliedsstaaten führen wird, wurde von Stephan Sina nicht als problematisch angesehen - dies sei vielmehr der übliche Weg der Politikentwicklung in der EU.
Das Fazit fiel demnach zweigeteilt aus: Trotz der zurückhaltend formulierten Vorgaben ist es als Erfolg zu werten, dass sowohl Schweden als auch Deutschland davon ausgehen, diese Vorgaben einzuhalten und sehr wahrscheinlich sogar zu übertreffen. Negativ ist, dass die Möglichkeiten eines gesamteuropäischen Ansatzes – wie er z.B. in der Studie über eine Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien (ERENE) beschrieben wird – nicht genutzt werden und die Aktionspläne hauptsächlich von einer nationalen Sichtweise geprägt sind. Zudem mangelt es den Plänen an Nachhaltigkeit: Maßnahmen über das Jahr 2020 hinaus werden wenn überhaupt nur in sehr allgemeiner Form formuliert. Dies ist fatal angesichts der Tatsache, dass aufgrund der langen Investitionszyklen im Energiebereich die heute getroffenen Entscheidungen den Energiemix für die kommenden Jahrzehnte bestimmen, weit über das Jahr 2020 hinaus.
Auch wenn sich also derzeit einiges bewegt im Bereich der erneuerbaren Energien und die Entwicklungen der letzten Jahre insgesamt durchaus als positiv zu bezeichnend sind, so ist es gleichwohl noch ein langer Weg, bis die großen Potenziale erneuerbarer Energien in Europa endlich voll ausgeschöpft werden.