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Strategie ohne Ideologie?

Lesedauer: 5 Minuten
Bild: Michael Toft Schmidt, Quelle: commons.wikimedia, Lizenz: CC BY-SA 3.0

15. April 2011
Ako Amadi
Ako Amadi

Der Kandidat, ein Kommunalpolitiker in Abuja, sprach plötzlich in seiner Rede von einer “ökologischen Landschaftsplanung”. Das hat es wahrlich noch nie gegeben in diesem Wahljahr, dachte ich. Noch vor Minuten war ich bei der Hitze, zusammengedrückt von der Menge, fast eingeschlafen. Nun aber wurde ich hellwach. Spӓter suchte ich den Politiker in seinem Büro auf, stellte mich vor und wollte genau wissen, wie das mit der Ӧko-Landschaftsplanung gemeint sei, und ob ich gelegentlich auch mitwirken könnte. Das ist jetzt drei Wochen her. Vor wenigen Tagen stiegen wir dann in seinen üppigen Gelӓndewagen, fuhren etwa 10 Kilometer aus dem Stadtzentrum heraus, vorbei an Akazien, Bergen und niedrigem Busch- und Grasland. Immer wieder gibt es Konflikte um Wassernutzung in diesem Teil Nigerias: “Da sehen Sie!”, kommentierte er mit emotionaler Erregung, “hier entstehen demnӓchst ein Kulturzentrum, ein botanischer Garten, ein Zoo, Einkaufszentrum, Hotels, Luxuswohnungen und sonstiges. Wir brauchen sicherlich Förster!”

Noch ist das Gebiet ein dichtbesiedeltes Elendsviertel. “Das alles hier verschwindet in kurzer Zeit!” schrie er, und wischte mit der Hand durch die Luft, als meinte er Unkraut und nicht Menschen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass vielleicht seine Wӓhler unter den Anwohnern sein könnten. Würde er nicht in der Hauptstadt mit dem Projekt eine frische Konfliktlinie zwischen Arm und Reich ziehen? “Ach, quatsch! Die sind doch froh, wenn wir für sie eine neue Siedlung, feste Hӓuser bauen.” Ob er als Kommunalpolitiker seine Plӓne mit den Kommunen diskutiert habe? Alhaji Mohammed lachte spitzbübisch. “Mein Freund, da irren Sie sich, man kann hier nicht die Dinge mit europӓischen Maßstӓben messen.”

Aus welcher Perspektive auch immer, man kommt bei einer Analyse des aufregenden Wahlkampfes in Nigeria schnell zu dem Entschluss, dass es hier nicht darum geht, Grundlegendes zu ӓndern, dass es keine herkömmlichen Klassenkämpfe gibt, keine Arbeiter und Unternehmer, keine Pragmatiker und Ideologen. Es gibt aber viele Arme, und nur wenige Reiche, die wiederum leider die politische Landschaft gestalten. Vielleicht stimme ich Herrn Mohammed zu, lasse Ideologie zur Seite, und konzentriere mich auf Strategie. Aber Strategie ohne Ideologie? Herr Mohammed fühlt sich überfragt, macht irritiert die Wagentür auf. Ich steige aus, er fӓhrt weiter, verschwindet in einer Staubwolke. Hoffentlich sind wir noch Freunde geblieben!

Ich bin 6 Wochen unterwegs, um den Wahlkampf mitzuerleben. Jetzt wird endlich gewӓhlt; nach so viel Mord und Totschlag! Das Volk in Nigeria - und dabei meine ich die 60 bis 70 Prozent Mehrheit, die mit etwa zwei Dollar pro Tag auskommen müssen - geht zur Urne, um meistens Kandidaten zu wӓhlen, die kaum ihre Interessen vertreten. Gemessen an der formellen Existenz von Parteien, Legislaturperioden und Wahlen ist Nigeria eine Demokratie. Eine demokratische Kultur und demokratische Freiheiten allerdings fehlen. Public opinion wird kaum zum Politikum. Das ist seltsam, den Nigerianer reden gern über Politik! Danach kommt der Fußball.

Nigeria, eine ehemalige britische Kolonie, wurde 1960 unabhängig. Von 1966 bis 1999 herrschte mehr oder weniger das Militӓr und daher gab es keinerlei Wahlen. Die psychologischen Folgen des Lebens in einer Diktatur sind noch in die Gedanken der Nigerianer eintӓtowiert. Bei den vielen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen wurden Parteien per Dekret aufgelöst, dann über Nacht Neue ins Leben gerufen, und das Ganze noch mal wiederholt. Immer dann, wenn sich die Generäle in die Kasernen zurückziehen oder in den Ruhestand gehen, sponsern sie vorher Kandidaten, die ihnen Ӧl-und Bauvertrӓge zuschachern. Somit gibt es wenig echte Politiker in Nigeria, aber dafür eine ganze Menge contractors.

Das Volk hat die jüngste Geschichte noch im Kopf. Die Zuschauer bei den Wahlkӓmpfen mokieren sich über die Kandidaten, sie wissen, wer welche Gelder veruntreut oder mit Drogen gehandelt und dafür in auslӓndischen Gefӓngnissen gesessen hat. Man weiß von den versӓumten Gelegenheiten, von den Versprechungen, die nicht eingehalten wurden, und warum im ölreichen Nigeria kein Trinkwasser aus dem Hahn fließt, warum der Strom nicht ausreicht. Viele sind arbeitslos und aus Neugier da, wollen ein Fest feiern, Kandidaten sehen, warten auf Geld oder eine Mahlzeit, mit denen die Parteien die Wähler zu bestechen versuchen.

Der Wӓhler in Nigeria ist nicht durch ein Manifest oder eine politische Strategie umzustimmen. Wichtige Rollen spielen die Stammeszugehörigkeit und Religion, immer mehr aber auch Konzepte, wie die Bodenschӓtze des Landes gerechter zu verteilen sind. Nigeria lebt vom Erdöl. Die bislang gefundenen Ölquellen sind im Sumpf des Nigerdeltas im Süden des Landes verteilt, wo die meisten Bewohner Christen sind. In dem von Dürren heimgesuchten, mehrheitlich islamischen Norden ist im Ressourcenvergleich praktisch nichts los außer Viehzucht. Die Nordnigerianer wollen daher von einem Prӓsidentschaftskandidaten aus dem Süden eher wissen, wie eine mögliche Sezession Südnigerias zu verhindern, und nicht, wie die endemische Korruption zu bekämpfen sei. Der Biafrakrieg (1967-1970) bleibt eine offene, ungeheilte Wunde im Südosten Nigerias. Dort verlangt man nach Debatten über die Auswirkungen des Scharia-Gesetzes im Norden oder über das Sicherheitsrisiko, das die Infiltrierung islamischer Fundamentalisten aus dem Sahel und dem Nahen Osten darstellt.

Das friedliche Zusammenleben im Vielvölkerstaat, innere Sicherheit und die gerechtere Verteilung von Ressourcen - dies müssten eigentlich die Kernthemen im Wahlkampf sein. In der nigerianischen Wirklichkeit muss sich aber erst eine Gruppe von PolitikerInnen bilden, die diese momentanen no-go areas nicht nur anzusprechen wagt, sondern auch konkrete Pläne dafür formuliert.

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