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Nordkorea: Der Ball ist rund – auch in Nordkorea

Offizieller Besuch bei der Nationalmannschaft, Foto: Cornelius Huppertz

19. April 2011
Cornelius Huppertz
Nordkorea ist ein weitgehend unbekanntes Land. Verschlossen und isoliert wie kein anderes auf der Welt, wird es hierzulande in den Medien meist mit dem bedrohlichen Atomwaffenprogramm, mit dem gespannten Verhältnis zu Südkorea oder mit dem bizarren Führerkult um den verstorbenen Staatsgründer Kim II Sung in Verbindung gebracht. Wirtschaftlich liegt Nordkorea am Boden. Anfang dieses Jahres hat die Führung im Ausland um Nahrungsmittelhilfe gebeten. Auch in Berlin.

Die Menschen und ihr Alltag, ihre Freude und ihre Trauer, ihre persönlichen Perspektiven und Schicksale beschäftigen uns eher selten. In der Tat sind Einblicke schwierig. In dem extrem totalitären und abgeschotteten Regime lässt sich kaum eine Trennung zwischen Staat und Gesellschaft machen. So etwas wie Zivilgesellschaft gibt es nicht.

Frauen sind Teil des Systems

Frauen sind aktiver Teil der an sich streng konservativen und starren Staatsgesellschaft. Sie arbeiten in Fabriken, bestellen die Felder, regeln den Verkehr oder dienen in der Volksarmee. Frauen studieren an Universitäten  und sind in angesehenen Berufen wie als Ärztin, Lehrerin oder Fremdenführerin tätig. Auch kommen Oper und Kino nicht ohne weibliche Hauptrollen aus.  Und Kinder haben sie natürlich auch – für ihre Betreuung ab einem Alter von drei Monaten hat der Staat gesorgt. Nur die hohen Ämter der Partei sind nahezu ausschließlich Männern vorbehalten.

Fahrradfahren ist „out“ – Fußballspielen „in“

Es gilt als unschicklich, wenn Frauen rauchen oder in der Hauptstadt Fahrrad fahren, nicht jedoch, wenn sie Fußball spielen. Schon seit Mitte der 1980er Jahre hat das Land eine Nationalmannschaft.
So ist es ausgerechnet der Frauenfußball, der unseren Blick auf diese undurchsichtige Gesellschaft lenkt. Denn das Team der Demokratischen Volksrepublik Korea rangiert auf Platz 8 der FIFA-Weltrangliste und gehört damit zum erweiterten Favoritenkreis der WM-Endrunde, die im Sommer in Deutschland ausgespielt wird.   


Besuchsreise des DFB nach Pjöngjang im Vorfeld der WM

Die ehemalige deutsche Nationalspielerin und Weltmeisterin Steffi Jones reiste als Präsidentin des Organisationskomitees in alle Länder, die in Deutschland mit dabei sind. Anfang April machte sie in Pjöngjang Station. Der nordkoreanische Sportminister Pak Myong Chol empfing die Delegation des DFB und des Deutschen Bundestages im Kulturpalast des Volkes. Er machte deutlich, welche Rolle der Sport für sein Land hat: „Geeint um den geliebten Führer Kim Jong II werden wir bis 2012 das Tor aufstoßen, um zu einer aufblühenden Macht im Sport zu werden.“ Sport und Körperertüchtigung haben einen hohen Stellenwert im sogenannten „Land der Morgenstille“. Jugendliche und Werktätige trainieren täglich in der Schule und in den Betrieben. In den Pausen findet traditionell „Massengymnastik“ statt. Jedes Mädchen und jeder Junge träumt davon, einmal bei den weltberühmten Arirang-Massenspielen mitmachen zu dürfen und in der aufwändigen sportgymnastischen Choreographie mit rund 100.000 Artistinnen und Artisten im „Stadion Erster Mai“ auftreten zu können.


Sport als politisches Instrument für einen gestählten Menschen

Ob Massengymnastik, Fußball oder Taekwon-Do. Der Sport wird von der Politik als Instrument betrachtet. Zur Befreiung, zur Verteidigung und zum Aufbau des Landes, das sich formal immer noch im Kriegszustand befindet, braucht man gesunde und tüchtige Menschen, erklärt der Sportminister. Das sei auch die Vorstellung von Kim II Sung gewesen. Kollektivbewusstsein, Disziplin und Ertüchtigung soll der Sport leisten. Ausgeprägte Individualität dagegen darf er nicht fördern. Der öffentliche Beweis von Systemüberlegenheit scheint im Vergleich zu den früheren Ost-Block-Ländern eine untergeordnete Rolle zu spielen. Nordkoreanische Sportlerinnen und Sportler nehmen eher selten an internationalen Wettkämpfen teil. Zu schlecht ist die Bilanz bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, als dass sich Erfolge für Propagandazwecke nutzen ließen. Funktionäre fürchten eher das schlechte Abschneiden ihrer Schützlinge, weil sich dann herumsprechen könnte, dass das Land nicht konkurrenzfähig ist. Schließlich propagiert das Regime nach innen seine Überlegenheit in allen Belangen durch gleichgeschaltete Medien.

Fußball als Fenster in die Welt

Jenseits aller Politik folgt der Fußball seinen eigenen Gesetzen und diese gelten auch in Nordkorea. Das Spiel dauert 90 Minuten und der Strafstoß wird aus elf Metern geschossen.
Im vielfach freudlosen Alltag der Diktatur kann ein Fußballspiel die Menschen auch über den Tag hinaus begeistern. Noch immer schwärmen alle über den legendären 1:0 Erfolg Nordkoreas gegen Italien im Vorrundenspiel der Männer-Weltmeisterschaft von 1966. Fußballbegeisterte finden Wege, um sich auch über Spielergebnisse aus anderen Ländern zu informieren. Die Kenntnis über die deutsche Bundesliga ist zum Teil verblüffend. Messi und Özil sind ebenso Helden wie der in Bochum unter Vertrag stehende nordkoreanische Stürmer Chong Te Se. Fußball erlaubt also den Blick durchs Schlüsselloch in die weite Welt.
Und auch ein Besuch auf dem Fußballplatz in Pjöngjang zeigt ganz deutlich: der Sport ist nicht nur ein politisches Instrument. Gerade für junge Mädchen ist der Fußball im ansonsten völlig fremdbestimmten, kontrollierten und überwachten Leben ein Stückchen Freiheit.


Erfolgreiche Frauen-Fußball-Mannschaften

Auf dem Fußballplatz ist es möglich, den Emotionen freien Lauf zu lassen, unkontrolliert zu kreischen, zu lachen und zu weinen. Die Mädchen und jungen Frauen lieben ihren Sport, wie sie es in jedem anderen Land auch tun. Sie schließen Freundschaften, teilen Erfolge und Niederlagen. Die Frauenmannschaften von Nordkorea sind erfolgreich. Dreimal schon wurden sie Asienmeisterinnen. Damit sind sie viel erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen. Bei der U-20 Frauen-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr spielten sie eine respektable Vorrunde mit einem Sieg gegen Brasilien. Sie verloren erst im Viertelfinale gegen die späteren Weltmeisterinnen aus Deutschland. 2006 hatten die U-20-Damen den Weltmeistertitel gewonnen. An diese Erfolge wollen die Frauen in diesem Jahr anknüpfen und noch ein Stück weiter kommen.


Der Fußball bietet die Chance, sich kennen zu lernen

Jo Jun Mi ist die Spielführerin der Nationalmannschaft. Das verschafft ihr hohes Ansehen und einen sicheren Lebensunterhalt. Die jungen Mädchen, die ab sieben Jahren in Grundschulfußballklassen den Umgang mit dem Ball lernen, eifern ihr nach. Natürlich will sie, wie sie sagt, bei der Weltmeisterschaft mit ihrem Team die Erwartungen ihres Volkes erfüllen und dem „geliebten Führer“ Kim Jong II eine Freude machen. Mehr als das aber wird der Fußball für sie der Schlüssel für die Tür zur unbekannten Außenwelt sein.
Die Sportfunktionäre trauen ihren Spielerinnen nicht viel zu. Die verknöcherte Männerrunde will zur Weltmeisterschaft gar nicht erst anreisen. Vielleicht ändern sie ihre Meinung noch. Zu wünschen wäre es. Am 28. Juni werden im zweiten Spiel der Gruppe C die Teams aus Nordkorea und den USA in Dresden aufeinander treffen. Die Spielerinnen auf dem Platz und die Delegationen auf den Rängen werden sich begegnen. Vielleicht schütteln sie Hände. Vielleicht sprechen sie sogar miteinander. Dann könnte der Fußball auch wieder eine politische Funktion erfüllen: Brücken bauen und Menschen zusammen führen.
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Cornelius Huppertz
ist Diplom-Sozialwissenschaftler und arbeitet als Referent für Internationale Politik bei der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er begleitete Claudia Roth auf der Reise nach Pjöngjang.

Zur Fußball-WM der Frauen sind wir mit am Ball und erkunden die Fußballkultur der teilnehmenden Länder: Was kosten Eintritt und Stadion-Wurst? Wie viele Fans gibt es in Rio, Abuja und London? Wer hat das Zeug zur Torschützenkönigin? Gleichzeitig schauen wir auch über den Stadionrand hinaus und fragen: Wo birgt der Fußball Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen? Wie wird Fußball für Frauen ein Emanzipationskick? Wir gehen auf Tour in die WM-Austragungsorte und laden ein in die Böll-Arena.