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Aung San Suu Kyi nach den Wahlen in Burma

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Am 13. November 2010, nur wenige Tage nach den Wahlen, wurde Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen. Der Zeitpunkt Ihrer Freilassung war nicht zufällig gewählt. Es sollte der Anschein erweckt werden, dass sich etwas verändert habe und gleichzeitig vom massiven Wahlbetrug abgelenkt werden. Nach dem anfänglichen Freudentaumel stellt sich die Frage, welche Rolle sie und ihre Partei, die National League for Democracy (NLD), zukünftig spielen können und werden.

Die Zivilgesellschaft und die Opposition hat sich seit Aung San Suu Kyis Inhaftierung vor sieben Jahren deutlich gewandelt. Die Opposition ist zerstritten und geteilt, während die Zivilgesellschaft unaufhörlich wächst. Lokale NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure arbeiten an der Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung. Aung San Suu Kyi und die NLD waren früher die Opposition, mittlerweile sind sie nur noch ein Teil des breiten Spektrums der zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Aung San Suu Kyi verkündete unmittelbar nach ihrer Freilassung, dass sie mit allen demokratischen Akteuren sprechen wolle. Tatsächlich wäre die Versöhnung und Vereinigung der oppositionellen Kräfte im Land wohl eine notwendige Bedingung, um einen politischen Wandel gezielt vorantreiben zu können. Dabei müssten aber auch die ethnischen Minderheiten und ihre Parteien aus den Peripheriegebieten Burmas mit ins Boot geholt werden.

Ob diese Einigung gelingen kann, ist jedoch äußerst fraglich, wie man an den Streitigkeiten zwischen NLD und National Democratic Force (NDF) sehen kann. Hierbei geht es nicht nur um politische, sondern auch um persönliche Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Vertretern beider Parteien, welche sich in den letzten 20 Jahren herausgebildet haben. Zwar fanden Treffen zwischen Aung San Suu Kyi und Vertretern der NDF statt, jedoch wurde dabei betont, dass es sich um rein freundschaftliche Zusammenkommen gehandelt habe, ohne politischen Inhalt.

Die NLD Führerin zeigte sich auch zu Treffen mit der neuen Regierung bereit, falls diese an ernsthaften Gesprächen und Kompromissen interessiert sei. Sie betonte nach ihrer Freilassung in einem Interview mit der ARD, dass man abwarten wolle, wie sich die neue Regierung gestalte. Sie sei jedoch äußerst skeptisch. Ein Parlament alleine verändere noch nichts, dies habe man bereits unter Ne Win erfahren können. Sie meint, dass eine offenkundige Diktatur besser sei, als eine Parodie einer Demokratie. Auch deshalb bleibe sie bei ihrem Standpunkt, dass die Sanktionen unbedingt aufrechterhalten werden müssen.

Eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung der politischen Opposition Burmas im Ausland spielt die burmesische Diaspora. In großen Teilen der burmesischen Exilgemeinde werden die Sanktionspolitik und Wahlboykott befürwortet. Im Westen sind die Sanktionen längst nicht mehr unumstritten. Viele Beobachter gehen davon aus, dass sie ihren Zweck verfehlen. Die Eliten des Landes spüren die Auswirkungen kaum und Burmas Nachbarstaaten China und Indien beteiligen sich ohnehin nicht an dem Handelsboykott. Vielmehr liefern sie sich seit geraumer Zeit einen Wettkampf um wirtschaftlichen und militärischen Einfluss in dem geopolitisch wichtigen Burma.

Wieso hält Aung San Suu Kyi so standhaft an dieser Position fest? Sie beruft sich auf den IWF, wenn sie sagt, dass Korruption und schlechtes Management für die wirtschaftliche Lage verantwortlich seien und nicht die Sanktionen. Nach der manipulierten Wahl und der Errichtung der neuen Regierung, wäre die Aufhebung der Sanktionen das falsche Signal sagt sie. Es könnte jedoch noch mehr dahinter stecken, schließlich muss die NLD nach dem Boykott der Wahlen ihre Position als Führer der demokratischen Opposition neu behaupten. Die NDF, zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs - das Spektrum der demokratischen Aktivitäten ist breiter geworden. Die starre Haltung, bei Wahlboykott und Sanktionen, könnte hier eine Abgrenzung, ein Faustpfand sein, um Einfluss im In- und Ausland zu wahren.

Innerparteilich war diese Haltung schon länger umstritten und es waren nicht zuletzt diese Streitigkeiten, welche zur Spaltung und zur Gründung der NDF führten. Aber auch unter ausländischen Beobachtern wird der Wahlboykott der NLD als problematisch gesehen. Viele Beobachter sind der Meinung, dass sich die Partei durch den Boykott schwer geschadet hat und das in einer Situation, in der der Rückhalt für die Partei in der Bevölkerung in den letzten Jahren stetig zurückzugehen scheint.

Die Sympathien für Aung San Suu Kyi in der Bevölkerung sind nach wie vor ungebrochen, dies scheint jedoch nicht mehr für die restliche Führung der NLD zu gelten. Man muss jedoch auch bedenken, dass sich ein Großteil der Führung der NLD zeitweise oder dauerhaft in politischer Gefangenschaft befindet. Einer der Gründe für den zurückgehenden Zuspruch für die Partei dürfte sein, dass die NLD seit der gewonnen Wahl 1990, welche nie anerkannt wurde, in den letzten 20 Jahren kaum Erfolge zu vermelden hatte. Das beharren auf den Positionen von 1990 scheint nicht mehr zeitgemäß, zu viel hat sich seitdem im Land verändert und zu lange liegt der unrechtmäßig verweigerte Erfolg zurück.

Nicht so weit zurück hingegen liegen die Proteste von 2007, welche blutig niedergeschlagen wurden. Kritiker werfen der NLD vor die Bewegung damals nicht genügend unterstützt zu haben. An die Spitze der Bewegung setzte sich die Partei jedenfalls nicht. Vor diesem Hintergrund scheint das Festhalten an der Sanktionspolitik und die Boykott-Strategie zumindest im Inland nicht mehr das geeignete Mittel um die Menschen zu mobilisieren.

Die demokratischen Parteien, die diese Positionen nicht mehr aufrechterhalten wollen, hauptsächlich die NDF, sehen ein winziges bisschen an Partizipation immer noch als besser an als gar keine. Die NDF scheint im Übrigen nicht nur die kleine Splittergruppe zu sein, als die Aung San Suu Kyi sie ansieht. Mit Anfragen, welche die NDF im neuen Parlament gestellt hat, – z.B. Anfragen zu Landrechten, Staudämmen, Kommunikation – hat sie einiges an Aufsehen erregt. Auch zu den Sanktionen bezieht die NDF Stellung und verlangt deren Aufhebung.

Diese Position wird von vielen westlichen Analysten geteilt, die auf einen langsamen Wandel hoffen, welcher mit der Wahl, obwohl diese massiv manipuliert wurde, und dem neuen Parlament seinen Anfang nehmen könnte. Ein rascher Wandel hin zu einer Demokratie ist jedoch nicht zu erwarten. Aber auch ohne tiefgreifende Veränderungen hat sich durch die Wahl und die neue Struktur der Herrschaft eine neue Situation ergeben. Die neue Zusammensetzung der Regierung bedeutet auch das wahrscheinliche Ende der Alleinherrschaft an der Spitze des Staates, falls sich General Shwe endgültig zurückziehen sollte. Es ist noch zu früh die neuen Strukturen der burmesischen Regierung zu beurteilen.

Zwar ist der SPDC aufgelöst, das Militär hat durch die neue Verfassung jedoch seine Machtposition gesichert und alles deutet daraufhin, dass Shwe aus dem Hintergrund heraus Burmas Geschicke weiterhin bestimmen wird. Nichtsdestotrotz ist ein Tranformationsprozess in Gang gesetzt worden. Wie genau die politische Ordnung nach Shwe aussehen wird, wird sich im Laufe der Zeit abzeichnen. Ein Generationswechsel in der burmesischen Führung und im Militär steht bevor. Welche Folgen der Wechsel haben wird, ist noch unklar, aber es wird wahrscheinlich keinen einzelnen starken Mann nach Shwes Ausscheiden mehr geben. Eine weniger monolithische Führung könnte eine kleine Chance für die burmesische Demokratie bedeuten.

Was die ethnischen Minderheiten betrifft, so bleibt die Lage in Burma wie schon seit Jahrzehnten prekär. Insbesondere an der nördlichen und östlichen Peripherie des Landes drohen sich die bewaffneten Konflikte erneut aufzuheizen. Einige ethnische Parteien sind jedoch bei den Wahlen erfolgreich in die Regionalparlamente eingezogen und haben dort sogar eine Sperrminorität erreicht.

Aung San Suu Kyi hat zu einer neuen Panglong-Konferenz aufgerufen. Die erste Panglong- Konferenz, einberufen von Aung San Suu Kyis Vater 1948, schrieb in einem Abkommen die Rechte aller ethnischen Minderheiten fest. Ob und wann eine solche Konferenz zustande kommen könnte, ist jedoch fraglich. Auch auf diesem Gebiet werden der NLD Versäumnisse in der Vergangenheit vorgeworfen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es völlig unklar, wie man die sehr unterschiedlichen Interessen der Ethnien zusammenbringen könnte. Die Möglichkeit der Partizipation im burmesischen Parlament hat sich die NLD selber genommen. Zugegeben dürfte der Rahmen dieser Teilnahme äußerst gering ausfallen. Dennoch bedeutet Partizipation einen wichtigen Beitrag zur politischen Bewusstseinsbildung und diese ist schließlich auch eine Grundvoraussetzung für nachhaltigen demokratischen Wandel im Land. Aus dem Boykott und dem anschließenden Verbot der Partei ergibt sich auch noch eine weitere Frage, nämlich wie die NLD und Aung San Suu Kyi in Zukunft tätig sein wollen und können. Aung San Suu Kyi hat nach ihrer Freilassung betont, dass sie Politikerin sei und dies auch weiterhin ihre Rolle sein werde.

Mit der Auflösung der Partei ist der offizielle Status ungeklärt, ebenso wie die Funktion der Nobelpreisträgerin innerhalb der Organisation. Ein stärkeres zivilgesellschaftliches Engagement wäre eine Möglichkeit weiterhin aktiv zu bleiben und tatsächlich hat die NLD in den letzten Monaten verstärkt Projekte wie Brunnenbau oder Bau von Schulen und Krankenhäusern durchgeführt. Doch die Umwandlung der NLD zu einer reinen Wohlfahrts oder Nicht-Regierungs-Organisation widerspricht dem Selbstverständnis der Mitglieder und der Führung. So bleibt letztlich nur der Weg der außerparlamentarischen Opposition.

Neben den Streitigkeiten innerhalb der Parteienlandschaft der Opposition ist auch die Position der burmesischen Jugend zu hinterfragen. Junge Menschen könnten durchaus daran Interessiert sein, zunächst ihrem eigenen Leben ein gewisses Maß an Stabilität zu geben, vielleicht mit dem Ziel ein bescheidenes Maß an Wohlstand zu erreichen. Falls sich Burma ökonomisch weiterentwickeln sollte und es gelänge die Armut etwas zurückzudrängen, könnte sich das Interesse der jüngeren Generation stärker auf die Planung und Verbesserung ihres eigenen Lebens richten. Vielleicht könnte aber genau dies der Weg zum Wandel sein. Eine gebildete Mittelschicht würde die Chancen auf einen politischen Aufbruch sicherlich nicht verkleinern.

Über alledem schwebt zusätzlich noch die Gefahr einer erneuten Inhaftierung oder sogar eines Anschlages auf Aung San Suu Kyi, wie es ihn bei Depayin Vorfall 2003 gegeben hatte. Nachdem sich die Oppositionsführerin und die NLD erneut für die Aufrechterhaltung der Sanktionen ausgesprochen hatten, erfolge ein erster Warnschuss in der staatlichen Zeitung „New Light of Myanmar“. Der Handlungsspielraum bleibt also sehr beschränkt.

Dennoch, Aung San Suu Kyi bleibt die Ikone des burmesischen Widerstandes. Ihr Meinung und Aussagen sind im Ausland nach wie vor gefragt – wie beim Wirtschaftsforum in Davos – und sie beeinflussen nach wie vor maßgeblich die Politik der westlichen Staaten gegenüber Burma. Seit ihrer Freilassung hat es immer wieder Gerüchte über ihren Gesundheitszustand gegeben und trotz ihrer Ankündigung das Land bereisen zu wollen, hat sie Rangun bisher nicht verlassen. Offiziell werden dafür Sicherheitsgründe angeführt, aber fest steht, dass die Jahre des Hausarrests nicht spurlos an ihr vorbeigegangen sind. Aung San Suu Kyi ist keine junge Frau mehr und der lange Oppositionskampf hat seine Spuren hinterlassen. Im Inland hat sie immer noch die Aura einer Lichtgestalt, ob es ihr jedoch gelingen wird den Schulterschluss der Oppositionsparteien unter Einschluss der Minderheiten herbeizuführen, ist fraglich. Die Zerstrittenheit der demokratischen Bewegungen, die ständige Gefahr der erneuten Inhaftierung und der nach wie vor allmächtige Militärapparat scheinen unüberwindbare Hindernisse zu sein. Einen schnellen Weg zur Demokratie wird es für Burma wohl nicht geben. Ereignisse wie im Nahen Osten sind eher unwahrscheinlich.

Dies meint auch Aung San Suu Kyi und erinnert an den blutig niedergeschlagenen Aufstand von 2008. Dennoch wird sie nicht müde im Ausland dafür zu werben Druck auf Burmas Machthaber auszuüben die Demokratisierung einzuleiten. Zuletzt appellierte sie, mittels vorher aufgenommener Rede, an die ASEAN Mitglieder auf dem ASEAN People Forum in Jakarta. Die Junta hat sich in den vergangenen 20 Jahren jedoch als äußert resistent gegenüber Druck von außen erwiesen. Im Zuge des Aufstiegs Chinas und der zunehmenden geopolitischen Wichtigkeit des Landes, hatte bereits Mitte der 90er ein Werben um Einfluss in Burma begonnen. Es folgten die ASEAN Mitgliedschaft und zahlreiche Abkommen mit Indien, welches Angst hatte im Wettbewerb mit China immer weiterzurückzufallen. Es scheint äußerst unwahrscheinlich, dass Burmas asiatische Nachbarn den Druck erhöhen werden und auch von der neu formierten burmesischen Regierung sind keine wesentlichen Änderungen der Verhaltensweise zu erwarten. Aung San Suu Kyi und burmesische Zivilgesellschaft werden bei ihren Demokratiebestrebungen nach wie vor nicht auf die Hilfe der ASEAN oder Indiens setzen können.

Aber mit den systemischen Veränderungen haben die burmesischen Machthaber vielleicht unbeabsichtigt einen Prozess gestartet, welcher irgendwann von ihnen nicht mehr zu kontrollieren sein wird. Damit aus diesen neuen Strukturen trotz aller Repressalien irgendwann eine Demokratie entstehen kann, bedarf es einer starken Zivilgesellschaft und einer politisch bewussten Gesellschaft. Zu dieser Entwicklung kann Aung San Suu Kyi ohne Zweifel beitragen. Entscheidend dafür wird aber sein, dass sie sich als Integrationsfigur versteht, um die außerparlamentarische und parlamentarische Opposition zu vereinen. Für die Demokratisierung Burmas alle Hoffnungen in die Nobelpreisträgerin zu setzen, wie es die NLD nach wie vor zu tun scheint, wäre indes falsch. Zu beschränkt sind ihre Möglichkeiten, zu unwahrscheinlich der radikale Umbruch infolge eines Aufstandes.

Ebenso falsch wäre es jedoch vom westlichen Ausland Aung San Suu Kyi aufzugeben, denn nach wie vor ist sie letzlich die einzige gewichtige Stimme, welche die Situation in Burma auf der Tagesordnung hält. Der Westen muss klar Stellung beziehen gegenüber der burmesischen Regierung und dies auch von den asiatischen Partnern einfordern. Gleichzeitig sollte sich der Fokus auf die Unterstützung zivilgesellschaftliche Akteure in Burma richten, um eine Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung zu ermöglichen.


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