Letzte Station des Missvergnügens war die Tagung des EU-Umweltrats am 21. Juni in Luxemburg. Das Gremium konnte sich aufgrund des hinhaltenden Widerstandes der polnischen Delegation auf keine Beschlüsse zur Klima-Roadmap einigen, die im März von der Europäischen Kommission vorgelegt wurde. Uneinigkeit bestand vor allem hinsichtlich einer Erhöhung des Reduktionsziels für Treibhaus¬gas-Emissionen bis 2020 von 20 auf 25 Prozent (gegenüber 1990). Das verstärkte die Besorgnis, dass unser östlicher Nachbar sein gewachsenes politisches Gewicht in die Waagschale werfen wird, um eine ambitionierte Klimaschutzpolitik der Union auszubremsen.
Die Tatsache, dass Polen am 1. Juli 2011 die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat und bis Ende 2011 die europäische Verhandlungsführung bei den UN-Klimaverhandlungen ausübt, stimmt viele Experten pessimistisch. Allerdings wird man der polnischen Haltung nicht gerecht, wenn man sie ohne Kenntnis der konkreten Lage im Land beurteilt. Man sollte den Appell des polnischen Umweltministers Andrzej Kraszewski nicht überhören, dass Polen mehr Solidarität und Verständnis für die Situation einzelner Mitgliedstaaten erwarte. Es ist leider wahr, dass Polen aufgrund langjähriger Versäumnisse im Energiesektor vor immensen Herausforderungen steht, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Ein Großteil der Kraftwerke zur Stromerzeugung ist über 40 Jahre alt, die Stromnetze sind in einem sehr schlechten Zustand, die Energiegewinnung und -übertragung von geringer Effizienz. Die Kohleindustrie wurde in Polen jahrzehntelang hoch subventioniert, noch heute wird über 90 Prozent der Elektrizität aus Kohle gewonnen. Auch auf der Verbrauchsseite sind die Probleme gewaltig. Die polnische Wirtschaft ist sehr energieintensiv: Der Energieverbrauch pro BIP-Einheit ist 2,5-mal höher als in den EU-15-Staaten. Kein Wunder, dass Energiesicherheit in Polen hoch im Kurs steht und Strompreise ein gewichtiger wirtschaftlicher und politischer Faktor sind.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Polen auf eine Erhöhung des Reduktionsziels zunächst mit Abwehr reagiert. Wenn man das Land bei der überfälligen Modernisierung seines Energiesektors nicht unterstützt, wird sich an dieser Haltung auch nichts ändern. Polen ist auf Hilfe seiner europäischen Nachbarn angewiesen, um einen energiepolitischen Paradigmenwechsel einleiten und ein höheres Reduktionsziel erreichen zu können. Die Zusammenarbeit mit Deutschland ist in diesem Kontext von zentraler Bedeutung.
Deutsch-polnische Energiekooperation als Kern eines europäischen Verbunds
Ebenfalls am 21. Juni unterzeichneten die polnische und deutsche Regierung eine gemeinsame Erklärung zum 20. Jahrestag des Nachbarschaftsvertrags. Darin halten beide Seiten fest, dass sie sich weiterhin für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik einsetzen werden, die auf die Stärkung der Energiesicherheit, die Diversifizierung der Energiequellen und der Transportwege sowie die Steigerung der Energieeffizienz ausgerichtet ist. Beide Staaten treten für die Erarbeitung eines neuen, völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzabkommens ein, das vom Grundsatz einer gemeinsamen und differenzierten Verantwortung für die Reduktion des Kohledioxidausstoßes ausgehen soll. Die Erklärung umfasst etwas mehr als zwei Seiten, die erwähnte Passage ist also alles andere als ein Nebensatz. Auch das vereinbarte „Programm der Zusammenarbeit“ bietet Ansatzpunkte für eine erweiterte Kooperation in den Bereichen Klimaschutz und nachhaltige Energiepolitik. Ausdrücklich werden erneuerbare Energien und Energieeffizienz.sowie neue Verkehrstechnologien als Felder grenzübergreifender Zusammenarbeit genannt.
Daraus könnte ein Modell für eine erweiterte Klima- und Energiekooperation werden, die auch andere post-sozialistische Länder einbezieht. Für diese Länder hat eine verminderte Abhängigkeit von russischem Gas ebenso große Bedeutung wie die Beibehaltung günstiger Energiepreise für Industrie und private Verbraucher. Sie müssen enorme Investitionen für die Modernisierung von Stromproduktion und Verteilung mobilisieren, ebenso wie für die energetische Sanierung ihres Gebäudebestands. Sie haben großes Potential für Windkraft und die Energiegewinnung aus Biomasse, in Südosteuropa auch für Geothermie. All das bietet ein weites Feld für staatliche Zusammenarbeit wie für private Unternehmen. Gerade angesichts der deutschen Entscheidung, aus der Atomenergie auszusteigen, muss der energiepolitische Dialog mit unseren östlichen Nachbarn intensiviert werden. Noch sind Polen wie andere mittel-osteuropäische Staaten nicht von den Chancen eines solchen Kurswechsels überzeugt, sondern hegen eigene Pläne für den Neubau von Atomkraftwerken.
Grenzüberschreitende Forschungs- und Investitionsvorhaben können die Vorteile alternativer Energiekonzepte und transnationaler Kooperation sichtbar machen. Ein europäischer Binnenmarkt für erneuerbare Energien braucht leistungsfähige Stromnetze und eine großräumige Koppelung von Angebot und Nachfrage. Auch hier könnte die deutsch-polnische Zusammenarbeit wichtige Impulse geben. Ziel sollte ein Erneuerbare-Energien-Verbund unter Einschluss der anderen Ostsee-Anrainer sein. Insbesondere die skandinavischen Staaten haben bereits große Schritte in Richtung eines Windenergie-Verbunds unternommen.
Sollte die Erklärung zum 20. Jahrestag des Nachbarschaftsvertrags in Bezug auf Klimaschutz und nachhaltige Energiepolitik allerdings eine Erklärung auf dem Papier bleiben, wäre eine historische Chance vertan.