Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2010 präsentierte sich die „grüne“ Partido Verde unter ihrem Spitzenkandidaten Antanas Mockus als aussichtsreiche Alternative in einem Land, das nach acht Jahren unter Álvaro Uribe eine neue Ausrichtung suchte. Die Bürgerbewegung fand als Ola Verde („grüne Welle“) auch im Ausland Beachtung. Doch die Hoffnungen, die über 3,5 Millionen Wähler an die junge Partei knüpften, haben sich nicht erfüllt. Im Frühjahr 2011 kam es nach einem schwelenden Strategiestreit zum Bruch in der Parteiführung; Mockus trat aus der Partei aus. Sein früherer Mitstreiter Peñalosa, der auf eine Allianz mit der Partei Uribes setzte, verfehlte im Oktober 2011sein Ziel, das Rathaus von Bogotá und damit das zweitwichtigste Amt im Lande zu erobern. Die Erfolge der Partido Verde bei den Kommunal- und Regionalwahlen blieben hinter den angepeilten Zielen zurück, die Spitzenpolitiker Mockus, Peñalosa und Garzón sind politisch angeschlagen. Einzig der Triumph Sergio Fajardos in Antioquia und der Überraschungssieg von Carlos Rodríguez in Amazonia bescherten der Partei zwei Joker. An deren nächsten Schritten wird sich erweisen, ob die „Grünen“ in der beweglichen Parteienlandschaft Kolumbiens ihren Platz finden. Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass die gegenwärtige Partido Verde „grüner“ sei als andere Parteien - und es bleibt abzuwarten, ob sie zu Recht zu den progressiven Kräften zählt, die das zunehmend post-uribistisch orientierte Land in den nächsten Jahren zu gestalten in der Lage sind.
Für internationales Aufsehen sorgte Antanas Mockus, der Präsidentschaftskandidat der Partido Verde, als er im Frühjahr 2010 mehrere Wochen lang die Hochrechnungen anführte. Ein Grüner als Nachfolger des achtjährigen rechtsgerichteten Regiments unter Alvaro Uribe? Das Rennen machte am Ende ein anderer: Juan Manuel Santos, der Kandidat des Establishments, dessen Koalitionsregierung der Nationalen Einheit bis heute großen Rückhalt in der kolumbianischen Gesellschaft erhält. Was ist ein gutes Jahr später aus der Ola Verde – der bürgerbewegten „grünen Welle“, die den Andenstaat erfasst hatte - geworden?
Bürgerbewegung im Höhenrausch: Der Präsidentschaftswahlkampf 2010 im Rückblick
Der Höhenflug der Partido Verde kam selbst für den Kandidaten Antanas Mockus überraschend. In früheren Präsidentschaftskampagnen war der zweimalige Bürgermeister von Bogotá über 1,23 Prozent nicht hinausgekommen. Nun, im Mai 2010, lag der Kandidat der „Grünen Partei“, in den Umfragen gleichauf mit vor dem Kandidaten des bürgerlich-nationalliberalen Lagers oder sogar vor ihm. Und das in einem seit jeher politisch als konservativ geltenden Land wie Kolumbien. Nicht nur die Grünen Parteien in Europa interessierten sich plötzlich für den Wahlkampf um die Nachfolge Álvaro Uribes.
An Erklärungen für die plötzlich landesweite Popularität von Mockus fehlte es seinerzeit nicht. Als Noch-Präsident Uribe Anfang 2010 vom Verfassungsgericht untersagt wurde, eine dritte Amtszeit anzustreben, kamen die widersprüchlichen politischen Tendenzen im Lande zum Vorschein und das Feld der Macht schien für kurze Zeit unbestellt. Der Preis für Uribes einseitig auf militärische Sicherheitspolitik abzielende Politik (Seguridad Democrática) war zunehmend sichtbarer geworden. Skandale hatten die zweite Amtszeit des umstrittenen Präsidenten überschattet, darunter die nachgewiesene direkte Einflussnahme der Paramilitärs auf parlamentarische Entscheidungen (Parapolítica), das zynische „Schönen“ der militärischen Erfolge wider die FARC-Rebellen (Falsos positivos) und gegen Medienvertreter und selbst das Oberste Gericht gerichtete, illegale Abhöroperationen (Chuzadas). Selbst eine militärische Auseinandersetzung mit den Nachbarn Ecuador und Venezuela war infolge der kompromisslosen Linie der kolumbianischen Regierung denkbar geworden. Trotz der ungebrochenen Zustimmung zu Uribe quer durch die Bevölkerung ging Teilen der herrschenden Klasse die Politik der harten Hand zu weit. Die obersten Richter untersagten ein Referendum über eine verfassungsrechtlich nicht gedeckte dritte Amtszeit.
Herausforderer Antanas Mockus nutzte die Gunst der Stunde. Seit 2003 formiert sich die Landschaft der Parteien neu, deren Zahl ist von 72 auf ein gutes Dutzend gesunken. Gemeinsam mit Enrique Peñalosa und Luis Garzón, seinen unmittelbaren Nachfolgern als Rathauschefs, war Mockus erst im Herbst 2009 der Partido Verde Opción Centro beigetreten. Die kleine Partei stellte bereits Volksvertreter im ganzen Land und somit eine Organisation, die den „drei Tenören“, wie die früheren Bürgermeister von Bogotá von den Medien wohlwollend genannt wurden, als Plattform für ihre politischen Ambitionen diente. Aus der Opción Centro wurde kurzerhand die Partido Verde.
Kaum waren im Frühjahr 2010, die Wahlen angesetzt, setzte sich Mockus zunächst in einer offenen Stichwahl deutlich gegen seine innerparteilichen Mitstreiter Peñalosa und Garzón durch. Mit einer geschickten, auf soziale Netzwerke abzielenden Kampagne gewann die neue Partei in den urbanen Zentren und insbesondere unter Intellektuellen, Künstlern, Erstwählern und Studenten rasch Zulauf. Werber, Universitätsprofessoren und Köpfe aus der Zivilgesellschaft, stellten sich kostenlos in den Dienst des Wahlkampfes, der mit den sozialen Netzwerken rasch an Fahrt aufnahm. Mit mehr als 600.000 Facebook-Freunden entwickelte sich Mockus zu einem Polit-Popstar der neuen Medien. Noch-Präsident Uribe kürte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos zum politischen Erben.
Bis zur Wahl blieben den Parteien kaum mehr als drei Monate. Wahlkampfprogramme war unter den hektischen Umständen beweglich, ein work-in-progress. Während Santos die Kontinuität mit dem im Wahlvolk weithin beliebten Uribe betonte, setzte Mockus Akzente in Politikfeldern wie Erziehung und Bildung sowie Menschenrechte und in der Außenpolitik auf Entspannung mit den Nachbarstaaten. Seine radikale Anti-Korruptionsagenda und Leitlinien wie „Der Zweck heiligt nicht alle Mittel“ („no todo vale“) oder „Das Leben ist heilig“ („La vida es sagrada“) traf den Nerv des wachsenden Unmutes im Lande. Kurzzeitig überflügelte Mockus in einigen –allerdings notorisch unzuverlässigen – Umfragen alle anderen Kandidaten.
Vom Politikstil und in ihren öffentlichen Auftritten mochten sich die führenden Kandidaten radikal voneinander unterscheiden. Programmatisch aber war die Grüne Partei in Kolumbien auf zentralen Politikfeldern gar nicht so weit entfernt von der Regierungspartei. Im Wirtschaftsprogramm erschienen die Vorschläge von Mockus vergleichsweise orthodox, auch in der ökologischen Frage war die Partei – trotz des symbolischen Bezugs zur Sonnenblume als Markenkern – alles andere als radikal. Die Farbe grün, vom Vorgänger Opción Centro übernommen, mochte sich als Couleur im Parteienspektrum ganz gut machen. Ökologie hingegen spielte im Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle, während Mockus sich dezidiert von allen Positionen distanzierte, die als „links“ interpretiert werden konnten. Der praktische Umweltschutz bis hin zum umstrittenen Bergbau gehören bis heute nicht zu den Schlüsselfeldern „grüner“ Initiativen.
Bereits kurz vor dem ersten Wahlgang begann die Flutwelle der für viele überraschenden Ola Verde abzuebben. Mockus erzielte zwar mit über 21 Prozent der Stimmen den zweiten Platz und übernahm damit die offizielle Herausfordererrolle in einer finalen Wahlrunde. Doch Santos hatte bereits doppelt so viele Stimmen auf sich vereinigt, im letzten Wahlgang konnte er die Differenz fast auf das Dreifache ausbauen.
Am 20. Juni 2010 erhielt der grüne Präsidentschaftskandidat 27 Prozent aller abgegebenen Stimmen im Lande. Das war weniger als ein Drittel aller Wähler und Wählerinnen – und gegenüber dem Umfragenhoch in der Frühphase des Wahlkampfes eine herbe Enttäuschung. Immerhin 3.587.975 Menschen setzten auf Mockus, seine Partei und einen neuen Politikstil: eine politische Kultur ohne Korruption, eine politische Kommunikation ohne Populismus und schwarze Propaganda. Mockus hatte ihnen eine glaubwürdige Diagnose der politischen Probleme, die das Land plagten, geliefert. Die dreieinhalb Millionen Wähler waren das Kapital der Ola Verde, einer in der Kampagnen-Doku Antanas´ Way eindringlich geschilderten Bürgerrechtsbewegung, die für einen Neuanfang in der politischen Kultur stand.
Partei in der Defensive: Die Partido Verde und die Regierung Santos
Nach dem Amtsantritt von Santos wurden auch die Grünen überrascht von der politisch raffinierten, auf Konsens angelegten Umarmungsstrategie des neuen Präsidenten, der Partei um Partei für sein Regierungsprojekt der Unidad Nacional zu gewinnen suchte. Mit dieser Einbindung setzte sich Santos dezidiert von seinem Amtsvorgänger Uribe ab, der die politische Landschaft wie die Gesellschaft vornehmlich in Freund/FeindKategorien behandelt hatte. Zudem gewann er Spielraum für wichtige Reformprojekte wie die Entschädigung von Opfern des bewaffneten Konflikts („Restitucion de Tierras“ als Teil einer umfassenden „Ley de Víctimas“), die Justizreform oder eine Strategie gegen eine ausufernde Korruption, welche die Erfolge der letzten Jahre zu überdecken drohte.
Unter diesen Umständen Oppositionspolitik zu gestalten, erscheint nicht einfach und aufgrund von Santos erfolgreicher Konsensbildung gab es bald nur noch eine wahrnehmbare Oppositionspartei, die des linksgerichteten Polo Democrático. Die Grünen konnten sich nicht einigen, ob sie in die Fundamentalopposition gehen oder konstruktiv mit der sich anbietenden Regierung zusammen arbeiten wollten.
Von Nachteil war auch die schwache Personaldecke der Grünen im Parlament. Sie stellten gerade mal fünf SenatorInnen *) und drei Kongressabgeordnete **). Das Abgeordnetenhaus und der Senat waren bereits im März 2010 gewählt worden – die grünen Kandidaten profitierten noch nicht vom späteren Höhenflug ihres Präsidentschaftskandidaten.
Im Parlament beteiligten sich die Abgeordneten der Partido Verde zwar an konstruktiver Sachpolitik, fielen in der öffentlichen Debatte aber nur mit eigenständigen Initiativen auf. Alfonso Prada setzte sich für städtische Sicherheit ein. Gilma Jimenez machte sich mit einer Kampagne für lebenslange Haftstrafen für pädophile Straftäter einen Namen, während ihre Parteigenossin Robledo Beiträge zur Liberalisierung des Strafrechts lieferte. Sudharsky nahm sich Reformen der politischen Institutionen vor, scheiterte aber, noch ehe seine Vorlage im Parlament diskutiert werden konnte. Mockus blieb nach seiner Wahlniederlage Monate lang abgetaucht.
Zu schaffen machte der „Grünen Partei“ überdies die konstitutionell schwache Stellung der Oppositionsparteien. Kritik und gesellschaftlicher Widerstand artikulieren sich auf der Straße oder in politisch motivierter Gewalt. Parlamentarische Opposition hingegen entfaltet eine vergleichsweise schwache Kraft in Kolumbiens jüngerer Geschichte. Seit der Zwei-Parteienherrschaft der Nationalen Front (Frente Nacional, 1957-1974) gilt parteiübergreifendes Regieren als Patentrezept gegen offenen Bürgerkrieg. Mehr als dreißig Jahre lang teilten sich die Liberalen und Konservativen, die beiden traditionsreichen Alt-Parteien, die Ministerien – unabhängig vom eigentlichen Wahlausgang.
Überhaupt: Parteien hält man seit der letzten großen Violencia, der zwischen 1948 und 1957 200.000 Kolumbianer zum Opfer fielen, geradezu für ein Problem. In der aktuellen Verfassung von 1991 wurden ihre Funktionen beschnitten – und ihre Pluralisierung beschleunigt. 2003 gab es 72 Parteien, deren Namen, Logos und Personal fast beliebig wechselten. Die „Parteien“ sind besser als lockere Wahlverbünde, als Allianzen von Wählerstimmen, zu verstehen; trotz wiederholter Reformversuche scheint der Weg zu programmatisch kohärenten und organisatorisch stabilen Institutionen noch weit.
Die eigene Destabilisierung besorgten die Grünen selbst. Strategische Differenzen, im Wahlkampf noch unter der Decke gehalten, lösten nach der Wahlniederlage von Mockus innerparteiliche Verwerfungen aus. Lagerbildung zeichnete sich ab: hier die Mockusisten, die sich für eine unabhängige Oppositionspolitik stark machten, dort die Anhänger von Peñalosa, der eine größere Nähe zum Regierungswirken und pragmatische Allianzen suchte. Die Pattsituation über die strategische Grundausrichtung wurde verschärft von der Notwendigkeit, in dieser Konstituierungsphase überhaupt erst einmal Parteistrukturen zu bilden und geeignete Kandidaten für die 2011 anstehenden Regional- und Kommunalwahlen zu rekrutieren.
Nach außen drang aus der Parteizentrale monatelang nur beredte Stille. Die Medien spekulierten, die hoffnungsvolle Wählerschaft zeigte sich zunehmend verwundert über das Mauerblümchendasein der gerade noch selbstbewussten Partei, die monatelang die politische Öffentlichkeit von sich eingenommen hatte. Die Parteiführung rang sich weder zu einer erkennbaren Kritikerrolle durch, noch stieg sie in die Regierungskoalition ein, obwohl sie die meisten Gesetzesentwürfe am Ende unterstützte. Zum Jahresende 2010 zeichnete sich ab, dass der parteiinterne Machtkampf nicht nur, wie oftmals vermutet, die persönliche Rivalität zwischen Mockus und Peñalosa reflektierte, sondern eine tief greifende Uneinigkeit über den zukünftigen Kurs der Partei.
Die innerparteilichen Spannungen entzündeten sich schließlich an der Frage, mit welchem Mandat Enrique Peñalosa in den Kampf um das zweitwichtigste Amt im Lande, den Bürgermeisterposten von Bogotá, gehen würde. Als alter Weggefährte von Uribe wollte Peñalosa diesmal das Hauptstadt-Rathaus mithilfe der Uribisten gewinnen, deren Partido de la U im Stadtrat die größte Fraktion stellten.
Die historisch einmaligen Zustimmungsquoten für den Expräsidenten lagen kaum ein Jahr zuvor noch zwischen 70% und 80%, mit den einkommensschwächeren Wählerschichten verbanden ihn jene starke Loyalitäten, die Peñalosa fehlten. Während sich Peñalosa für eine Wahlkampf-Allianz mit der Partido de la U die Unterstützung der Parteiführung, sicherte, wandte sich Mockus strikt gegen einen Pakt mit dem politischen Gegner.
Monatelanges Tauziehen war die Folge. In der entscheidenden Sitzung im Mai 2011 suchte Mockus ein Aufweichen des Parteifundaments („No todo vale“) zu verhindern – vergebens. Am 6. Juni 2011 trat Mockus aus der Partei aus und ebnete Peñalosa den Weg zu einem Wahlkampf als gemeinsamer Kandidat zweier vermeintlich unvereinbarer Parteien: der Partido Verde und der Partido de la U.
Für das Fußvolk, und vor allem viele der Aktivisten, die den Wahlkampf im Jahr zuvor maßgeblich mit befeuert hatten, war der Parteiaustritt der Führungsfigur Mockus eine herbe Enttäuschung, ja das Ende einer Partei, die vorgeblich ausgezogen war, den politischen Alltag eben nicht mit taktischen Manövern und zynischer Machtpolitik zu bestreiten. Als Mockus mittels der eigens für ihn umbenannten Partei Alianza Social Independiente (ASI) gegen Peñalosa in den Wahlkampf um Bogotá zog, folgten ihm vieleseiner Anhänger ins andere Lager. In der grünen Partei selbst verblieb eine wortstarke Minderheit von Mockusianern, darunter die angesehenen SenatorInnen Angela Maria Robledo und John Sudarsky.
Noch im Sommer 2010 hatte sich die Partido Verde Wählern, Beobachtern und Kommentatoren als frische, nunmehr zweitstärkste Kraft im Lande präsentiert. Ihr Führungstrio Mockus, Peñalosa und Garzón und der quer über Parteicouleurs hinweg populäre Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Sergio Fajardo, saßen auf beträchtlichem politischem Kapital. Doch der Riss zwischen Peñalosa und Mockus, die sich zur wechselseitigen Unterstützung ihrer Wahlkämpfe zusammengeschlossen hatten, blockierte die Partei und frustrierte zusehends ihre hoffnungsvolle Anhängerschaft. Er führte weit über Bogotá hinaus zur Schwächung und im Frühjahr dieses Jahres zu einer Spaltung der Partei. Fajardo verabschiedete sich aus einer Parteispitze, die beschlossen hatte, sich an den Mesa de Unidad Nacional, den politikvorbereitenden Konsenstisch des Präsidenten, zu setzen.
Von der offenen Unterstützung der Regierungskoalition erhoffte sich die grüne Parteispitze endlich eine größere Aufmerksamkeit, ein Abfärben der präsidentiellen Popularität, irgendwie auch eine Anerkennung des eigenen politischen Gewichtes. „Wir haben im ersten Jahr praktisch 95 Prozent aller Regierungsvorhaben unterstützt, wir sind eine Partei der Mitte und deshalb weitgehend einverstanden mit den eingeschlagenen Reformen.“ So erklärte Alfonso Prada, der Sprecher der Verdes, die Entscheidung, sich in die Regierungspolitik einbinden zu lassen. Nach außen hin verkaufte man das als Deal ohne Preisschild. Formelle Zugeständnisse oder künftige Berücksichtigung am Kabinettstisch habe man hierfür vom Präsidenten nicht erhalten.
Krise oder Konsolidierung? Nach den Kommunalwahlen am 30. Oktober 2011
Aus den Kommunalwahlen gehen die Grünen – je nach Perspektive – sowohl gestärkt als auch geschwächt hervor. Eigentlich sollten die Kommunal- und Regionalwahlen das im Präsidentschaftswahlkampf gewonnene politische Kapital in die regionalen und lokalen Parlamente tragen und in Amtssitze verwandeln. Traditionell tun sich neue Parteien außerhalb der Städte in der kolumbianischen Kommunalpolitik schwer, die weithin von klientelistischen Maschinerien sowie illegalen, aber einflussreichen Gruppen beherrscht wird. Allzu hochfliegende Ambitionen waren spätestens mit dem Parteiaustritt des Publikumslieblings Mockus hinfällig. Und dennoch hätte die Partei die Wahl als Triumph verbuchen können, wenn – ja, wenn das zweitwichtigste Amt im Land tatsächlich, wie fest eingeplant, an Enrique Peñalosa gefallen wäre.
Unübersichtlicher Wahlkampf, umstrittene Allianz: Enrique Peñalosa verliert Bogotá
Die Voraussetzungen für dessen Erfolg in Bogotá waren günstig. Der Polo Democrático, der die beiden letzten Bürgermeister gestellt hatte, hatte abgewirtschaftet und zuletzt nur noch mit Korruption und Großskandalen von sich reden gemacht. Der Bürgermeister selbst, Samuel Moreno, saß seit Monaten in Untersuchungshaft wegen millionenschwerer Schmiergelder, die in öffentlichen Ausschreibungen geflossen sind. Die Stimmung in der Stadt befand sich auf rasanter Talfahrt. Dauerstau, erhöhte Kriminalität und eine verwahrloste öffentliche Infrastruktur hatten auf das Lebensgefühl der Hauptstädter geschlagen; gesucht wurde nun ein Rathauschef, der die Stadt wieder auf die Beine stellt. Was lag näher als einen erfahrenen und selbst in den Augen erklärter Gegner erfolgreichen Stadtplaner und Verwaltungsexperten wie Peñalosa aufs Schild zu heben? Er hatte in seiner nur dreijährigen Amtszeit den TransMilenio, das moderne öffentliche Bussystem, in die Tat umgesetzt, einige der spektakulären Bibliotheksbauten eingeweiht, das Radwegenetz ausgebaut und den öffentlichen Raum deutlich erweitert. Dafür erhielt er internationale Preise.
Allerdings hatte sich der (in seinen eigenen Worten) „Erfinder des Gehsteiges“, um dies durchzusetzen, mit starken Lobbys wie den Taxifahrern, den ambulanten Händlern und der Busfahrerzunft angelegt. Vermutlich waren es Erinnerungen an seine innerstädtische Opposition, die ihn seinerzeit fast des Amtes enthoben hätte, die Peñalosa in die politischen Arme von Uribe zurücktrieben, obwohl dieser in den vergangenen Monaten erheblich an Ansehen eingebüsst hatte. Mit Uribe wollte Peñalosa, der Urbanist und Technokrat aus dem reichen Stadtnorden, in den unteren sozialen Schichten punkten, wo er auffällig erfolglos geblieben war und einen Ruf als miserabler Wahlkämpfer genoss. Doch das bürgerliche Lager blieb gespalten, der Wahlkampf außerordentlich unübersichtlich.
Bei gleich zehn Bewerbern und einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent genügte am Ende eine einfache Mehrheit, um das Rathaus zu erobern. Politische Beobachter schreiben es vor allem der umstrittenen Allianz mit Uribe zu, dass der lange in den Umfragen führende Vertreter der Grünen den früheren M-19-Guerillero und Anti-Korruptionskämpfer Petro mit deutlichem Vorsprung an sich vorbei ins Rathaus ziehen lassen muss.
Auf Landesebene errang die Grüne Partei zwei der 32 Gouverneursposten, in drei Landeshauptstädten (Tunja, Cúcuta, San José del Guaviare) und in 50 kleineren Städten das Bürgermeisteramt, 27 Landtagsmandate in den Regionalparlamenten und schließlich fast 800 Stadtratssitze. In Wahlkoalitionen gewannen von den Grünen unterstützte Kandidaten zudem die Regionen Chocó und Narino. Misst man die Wahlerfolge an den von der Ola Verde ausgelösten Erwartungen, hält sich die Begeisterung über das Erreichte freilich in Grenzen. Ernüchternd ist auch der Vergleich mit den letzten Regionalwahlen 2007. Dort holte die Vorgängerpartei Partido Verde Opcíon Centro bereits 2 Gouverneursposten, 10 Abgeordnetenstühle und 350 Rathaussitze.
Bedeutsam für die landesweite Zukunft der Partido Verde dürften die Gouvernments sein. In Amazonia ist Carlos Rodríguez der neue Gouverneur. Politisch ist der randständige und bevölkerungsschwache Bundesstaat im Süden (Hauptstadt: Letizia) ohne große Bedeutung. Die Amtsführung in der Region im Süden des Landes könnte allerdings eine symbolische Wirkung auf den ökologischen Anstrich der Partei haben. Politische Ziele wie ländliche Entwicklung, nachhaltiger Tourismus und Klimaschutz ließen sich zu einer Agenda verbinden und das in einem Landstrich, der die einheimische indigene Bevölkerung mit erheblichen Rechten gegenüber dem Zugriff großer Konzerne ausstattet. Größtes Problem in dem Dreiländereck von Peru, Brasilien und Kolumbien ist der illegale Holzhandel.
Mit der Welle nach oben: Sergio Fajardo, grüner Gouverneur von Antioquia
In Antioquia zieht der frühere Bürgermeister von Medellín (2004-2007), Sergio Fajardo, erwartungsgemäß ins Büro des Gouverneurs ein. Dieses Amt ist im Machtgefüge Kolumbiens nicht ganz so gewichtig wie etwa das der Länderchefs in der Bundesrepublik, doch eine erfolgreiche Amtszeit als Gouverneur ist - wie der Rathaussessel in der Hauptstadtmetropole - ein Sprungbrett für nationale Ambitionen. Fajardos Erdrutschsieg gibt diesem nun ein besonders starkes Mandat. Da es sich bei Antioquia zudem um Uribes persönliche wie politische Heimat handelt, ist mit Fajardo auch über die Grenzen der Landespolitik zu rechnen. Der Wahlerfolg Fajardos wird komplettiert durch ein packendes „voto finish“ des von ihm unterstützten liberalen Kandidaten für die einstige Problemstadt Medellín, Aníbal Gaviria. Dieser errang den Rathausthron unter großer Anteilnahme der nationalen Medien gegenüber dem Kandidaten von Uribe und konservativen Kreisen mit Nähe zu Paramilitärs und Mafia.
Mit Fajardo, der bereits als Vize-Kandidat im Präsidentschaftswahlkampf die politischen Phantasien beflügelt hatte, besitzen die Grünen nun ein politisches Schwergewicht in einer von Kolumbiens traditionell einflussreichsten Regionen. Wenn er dies will, wird sich das Gravitationszentrum der Grünen Partei in seine Richtung verschieben. Vorerst bestätigt hat die Parteispitze in diesen Tagen, daß die Partido Verde weiter in der großen Allparteienregierung von Santos bleibt, in die sie erst im Juni eingetreten war. In ihrer letzten Sitzung Anfang Dezember stärkte sie zudem Lucho Garzón, dem Parteichef der Grünen, demonstrativ den Rücken. Garzón hatte unmittelbar nach den Wahlen zunächst den Parteivorsitz zur Disposition gestellt und Parteifreund Fajardo aufgefordert, seine persönlichen Ambitionen und programmatischen Ziele innerhalb der Partei zu artikulieren. Der kommende Parteitag im ersten Quartal 2012 soll die programmatische Ausrichtung neu justieren.
Inwiefern Fajardo seinen Machtgewinn dazu nutzen wird, die Partei nach seinem Bild zu formen, wird sich zeigen. Er wird zunächst sein starkes Mandat nutzen, um Antioquia zu modernisieren und zu einem Modell – „Antioquia la más educada“ – für andere Regionen zu entwickeln, ehe er sich für höhere Aufgaben empfiehlt. „Was für ein großartiger Erfolg, wenn man bedenkt, dass wir vor zwölf Jahren mit ein paar Leuten bei Null hier angefangen haben, in Medellín!“, freut sich Fajardo über seinen Wahlsieg. Die Ola Verde war für ihn ein großer Vertrauensvorschuss.
Den Wahlkampf führte er indes weitgehend ohne Unterstützung der nationalen Parteigranden. „Wir bauen weiter an der Partei, aber von hier aus, von unten, von den Rändern des Landes zum Zentrum des politischen Systems. Wir arbeiten jetzt erstmal daran, unsere Ideen und Vorsätze in Medellín und in Antioquia umzusetzen. Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Anders geht das nicht.“ Forschung, Technologie und Bildung, soziale Gerechtigkeit, Gewalt und Korruption sind für ihn die Schlüsselfelder seiner Administration. „In Antioquia muss es uns um jeden Peso gehen.“ Zu seinem Job bringt er aber auch ein ganzes Stück Pragmatismus. Der einstige Mathematikprofessor ist überzeugt: „Was wir hier bei uns verändern, wird sich auch anderswo in Kolumbien durchsetzen können.“
Ausgewiesene Ansprechpartner und Aktivisten - jenseits der Partido Verde
Wer den Draht zu jenen politischen Kräften gespannt halten möchte, die sich gezielt für Umwelt- und Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung, Anti-Korruption, Menschenrechte und soziale Bewegungen einsetzen, sollte indes nicht nur die Zukunft der Partido Verde verfolgen. Grüne Themen finden auch in Teilen der Liberalen Partei Anklang. Mit Juan Carlos Flórez, der wie Mockus im Frühjahr zur ASI übergewechselt war, zog ein ausgewiesener Mitstreiter für ökologische Belange ins Stadtparlament von Bogotá. Interessante Perspektiven bietet überdies die weitere Entwicklung eines möglichen Mitte-Links-Bündnisses rund um die gerade vom neuen Bürgermeister Bogotás gegründeten Progresistas. Bei der Siegesfeier von Gustavo Petro, dem Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt werden, wurde nicht ganz zufällig auch ein Vertreter der französischen Grünen begrüßt.
Die Regierung selbst hat ihrerseits jüngst das Ministerium für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung, das Uribe geschlossen und mit dem Amt für Wohnungsbau zusammengelegt hatte, wiedereröffnet und mit einem politischen Seiteneinsteiger besetzt: Der erfolgreiche Unternehmer Frank Pearl, unter Uribe bereits vier Jahre lang Präsidenten-Berater für die Reintegration bewaffneter Gruppen und zuletzt interimistisch Hochkommissar für Frieden, hat zwar bislang keine Erfahrungen auf seinem neuen Wirkungsfeld, holte sich in diesen ersten Tagen aber einschlägig ausgewiesene Experten in sein Führungsteam. Als Gegenspieler des mächtigen Energieministers Mauricio Cárdenas soll er den anschwellenden öffentlichen Protesten, wonach dem Land mit einer fortgesetzt unregulierten Bergbau- und Energiepolitik der ökologische Raubbau drohe, auch am Kabinettstisch eine Stimme geben.
Wertvolle Kontaktepartner sind die verschiedenartigen indigenen Gemeinden und Initiativen, darüber hinaus eine aktive Szene von sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen. Zu den ersten Ansprechpartnern gehören Experten und Aktivisten wie Manuel Rodríguez Becerra (Kolumbiens erster Umweltminister, 1990-94), Guillermo Rudas (Universidad Externado), José Yunis (Nature Conservancy) oder Netzwerke wie Fondo Nacional Ambiental, Ecofondo (Rafael Colmenares) oder das Colegio Verde von Margarita Marino de Botero. Ein erfahrener Mittelsmann für nachhaltige Verbindungen ist seit einem Monat fest in Berlin installiert: Juan Mayr, Umweltminister in der Regierung Pastrana (1996-2000) und seit langem international ausgewiesener Umweltpolitiker, wurde soeben als neuer kolumbianischer Botschafter in der Bundesrepublik akkreditiert.
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*) 5 Senator/innen: Gilma Jimenez, Bogotá; Jorge Eduardo Londono Ulloa, Boyacá; John Sudarsky, Bogotá, Ivan Name Vàsquez, Magdalena; Felix José, Cèsar
**) 3 Kongressabgeordnete: Hernando Alfonso Prada, Bogotá; Angela Maria Robledo, Bogotá; Carlos Andrés Amaya, Boyacá
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Oliver Schmidt, Ph.D. (Harvard), Zeithistoriker, Stadtforscher und Amerikanist. Lebt und arbeitet seit 2010 in Bogotá.