Vorwort

Cover der Publikation "Zur Lage der Welt 2012", oekom, München

18. April 2012
Robert Engelman
Gelegentlich kann man den Eindruck gewinnen, die einzigen Menschen, die glauben, die Umweltkonferenzen der Vereinten Nationen könnten etwas bewirken, seien diejenigen, die der UNO und allem staatlichen Handeln misstrauen. In den amerikanischen Medien hört man über die Agenda 21 – dem Abkommen, das 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro beschlossen wurde – vor allem, dass bestimmte politische Kräfte sie als Teil einer gefährlichen internationalen Verschwörung ansehen, deren Ziel es ist, Besitz zu enteignen und Reichtum umzuverteilen. Sucht man in den USA auf YouTube nach »Agenda 21« wird man, statt auf Hoffnungsvolles, eher auf diesen hetzerischen Unfug stoßen. Ich, als einer von vielen Tausend Menschen aus aller Welt, die 1992 in Rio zusammenkamen, um eine gemeinsame Vision von einem gerechten und ökologisch nachhaltigen 21. Jahrhundert zu entwerfen, könnte darüber fast lachen, wäre es nicht gar so traurig.

Geht man weiter zurück in der Zeit – doppelt so weit, bis 1972 und zur ersten Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm – wird das Gefühl, Jahre seinen vergeudet worden, noch stärker. Fast genau 40 Jahre vor diesem Buch warnte die Umweltwissenschaftlerin Donella Meadows in der US-Zeitschrift Newsweek, der Glaube, Wohlstand ließe sich durch grenzenloses Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum erreichen, müsse auf einem begrenzten Planeten in die Katastrophe führen. 1972 zeichnete sich ein menschgemachter Klimawandel, zeichnete sich das Ende billiger fossiler Energien noch nicht ab. Heute, vier Jahrzehnte später und trotz zahlreicher Belege dafür, dass Meadows Recht hatte, regiert der Wachstumsglaube immer noch.

So kam es, dass ich in den Wochen nach der gescheiterten Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen, als Worldwatch-Präsident Christopher Flavin vorschlug, wir sollten uns in Zur Lage der Welt 2012 auf die anstehende UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung (Rio+20) konzentrieren, eher skeptisch war. Natürlich waren die Themen der Konferenz – darunter Beschäftigung, Energie und Ernährung – wichtig für die Aufgaben und die Arbeit des Instituts. Aber, fragte ich mich, was bewirken solche Treffen wirklich – und wie relevant sind sie selbst für solche Menschen, die sich für Umweltthemen interessieren?

Was mich dann, nachdem ich Mitte 2011 die Leitung des Worldwatch Institute übernommen hatte, doch noch davon überzeugte, diese Idee voranzutreiben, war der Gedanke, dabei nicht so sehr auf die Konferenz selbst zu sehen, sondern auf die grundlegenden Fragen, die auf ihr verhandelt werden. Nachdem nun schon ein Dutzend Jahre des 21. Jahrhunderts verstrichen sind, bleibt uns wenig Zeit, für die Menschen auf der Erde – deren Zahl die Sieben-Milliarden-Marke überschritten hat und weiter zunimmt – gemeinsamen Wohlstand zu schaffen, ohne dadurch künftigen Generationen eine überhitzte, ressourcenarme und biologisch verarmte Erde zu hinterlassen. Doch so eindeutig und überzeugend die uns vorliegenden wissenschaftlichen Beweise für das uns drohende Schicksal auch sein mögen, die Länder der Welt haben es bisher nicht geschafft, Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die die Umweltrisiken spürbar reduzieren und eine gerechte menschliche Entwicklung vorantreiben.

Dieser quälende Widerspruch ist – ungeachtet der Kosten in Form von Geld, Zeit und, ja, CO2-Emissionen – Grund genug, einmal mehr in die Schlacht zu ziehen, die eine Umweltkonferenz ja immer auch ist. Zu dem Zeitpunkt, da ich dieses Vorwort schreibe, hält sich das Interesse der Medien an der Rio+20-Konferenz noch in Grenzen, und es ist keineswegs ausgemacht, dass sich die Regierungschefs der Welt einfinden werden. Selbst unter Nichtregierungsorganisationen verspüre ich nur einen Hauch des kreativen Aufwinds, der, wie ich mich noch gut erinnere, in den Monaten vor dem Erdgipfel in Rio 1992 immer mehr an Macht gewann. Trotzdem wird, wie Jacob Scherr vom Natural Resources Defense Council ganz richtig sagt, die Konferenz nun eben einmal stattfinden. Rio+20 wird nicht nur Regierungsvertreter, Entwicklungsexperten und UN-Delegierte zusammenbringen, auch viele Tausende Aktivisten und andere Vertreter der Zivilgesellschaft werden vor Ort sein, um darüber nachzudenken, wie wir in einer endlichen Welt auf nachhaltige Weise Wohlstand für alle schaffen können. Eben darin liegt eine Chance – und das ist der vielleicht wichtigste Grund für die thematische Ausrichtung des vorliegenden Buchs. Mit den erfahrenen Projektleitern Michael Renner und Erik Assadourian am Steuer und einem neuen Verlag, Island Press, für die amerikanische Ausgabe von Zur Lage der Welt, konzentrieren wir uns dieses Jahr weniger auf eine Stadt, eine Konferenz; vielmehr geht es um den Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte, für den beide stehen.

Irgendwann werden die Emissionen von Treibhausgasen ihren Gipfelpunkt überschreiten und sinken müssen. Irgendwann wird die Fertilität der Menschheit auf ein Level sinken müssen, das die Weltbevölkerung nicht weiter wachsen lässt. Irgendwann wird die menschliche Entwicklung eine Schwelle erreichen, ab der alle Menschen angemessenen Zugang zu sauberem Wasser, gesunden Nahrungsmitteln, kohlenstoffarmer Energie sowie einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung, guten Schulen und ausreichend Wohnraum erwarten können. Nach den beherzten Versuchen, die Regierungen der Welt auf den UN-Umweltkonferenzen von 1972 und 1992 (sowie auf mehreren Versammlungen seitdem) zu entschlossenem Handeln hinsichtlich der globalen Umwelt und Entwicklung zu drängen, können wir nur hoffen, dass die Ideen und Vorschläge dafür, eine nachhaltige Welt zu schaffen, bis zu dem Punkt gereift sind und sich ausgebreitet haben, an dem Zeit und Gelegenheit endlich zusammenkommen. Wir können nur hoffen, dass trotz der vielen Ablenkungen und trotzt der Sachzwänge der »normalen« Politik viele Akteure innerhalb und außerhalb von Regierungen dieses Jahr das empfinden, was Martin Luther King Jr. in einem zwar anderen, aber doch verwandten Zusammenhang  den »zwingenden Druck des Jetzt« nannte, das heißt, sie müssen sich vorstellen können, das Ruder entschlossen und schnell herumzuwerfen.

Die Berichte und Ideen, die Sie auf den folgenden Seiten finden, sind nicht als Vorlage für die Diskussionen in Rio gedacht, sondern als Vorschläge für den Wandel, Vorschläge, die auf der Konferenz und nach ihrem Ende diskutiert, betrachtet und weiter ausgearbeitet werden können. Dieses Buch ist das Kernstück eines umfassenderen Worldwatch-Projekts, das noch mindestens bis Ende 2012 weiterlaufen wird und dessen Ziel es ist, zu werben und neue Ideen zu entwickeln für mess- und spürbare grüne Jobs, gesunde Nahrungsmittel, nachhaltige Energie, sicheres Trinkwasser, gesunde Ozeane, blühende Städte und einen besseren Schutz vor Katastrophen – sprich dafür, geteilten Wohlstand für alle zu schaffen, einen Wohlstand, der sich für Jahrhunderte bewahren lässt. Unter www.worldwatch.org finden Sie mehr Informationen, weitere Artikel und Meldungen zu anstehenden Gesprächen und anderen wichtigen Ereignissen sowie State of the World 2012 in wenigstens 20 Sprachen – Übersetzungen, für die unsere vielen Partner in aller Welt verantwortlich sind.

Vor allem aber: Bereichern Sie Rio+20 und die politischen Ansätze, die auf die Konferenz folgen werden, mit Ihrem Einsatz und Ihren Ideen. Was auch immer Präsidenten, Parlamente und Konferenzen zu Wege bringen oder auch nicht, in vielen Fällen sind es gesellschaftliche Bewegungen und engagierte Menschen, die die wichtigsten Veränderungen anstoßen. Das ist bei der Naturschutz- und der Umweltbewegung der Fall, und bei der US-Bürgerrechtsbewegung und der Frauenbewegung war es nicht anders. Wie auch immer es um die Umwelt und die menschliche Entwicklung steht, es gibt Hoffnung und es gibt viel Zukunft, die wir gestalten müssen. Wir hoffen, dass dieses Buch zu den Stimmen gehört, die dabei helfen, uns den Weg weisen.

Robert Engelman ist Vorsitzender des Worldwatch Institute  

Zur Lage der Welt 2012

Nachhaltig zu einem Wohlstand für alle: Rio 2012 und die Architektur einer weltweiten grünen Politik