Eine Stelle mit weißen Pfählen. Tausende weiße Pfähle. Und irgendwo dazwischen viele kleine grüne Pfähle. Sie sehen frisch aus. Was kann das sein? Zu Besuch auf einem Friedhof in Srebrenica.
Ein Gedenkfriedhof in Srebrenica, jenem Ort in der Republik Srpska in Bosnien und Herzegowina, der weltweit bekannt wurde durch das Massaker von Srebrenica. 1995 eroberten bosnische Serben unter der Führung von General Ratko Mladic die bosnische Enklave, verschleppten alle männlichen Personen, derer sie habhaft werden konnten, und ermordeten sie.
Hier auf dem Friedhof sind achttausend Menschen begraben. Unter ihnen zahllose kleine Jungen, die am Anfang ihres Leben standen, junge Männer, die dabei waren, sich Träume und Hoffnungen zu erfüllen, und ältere Männer, die bereits viel in ihrem Leben erlebt hatten. Sie liegen dort seit Juli 1995, seit dem Massenmord, von dem man bis heute nicht weiß, ob ihn UN-Blauhelme hätten verhindern können.
„Ich war damals, vor 16 Jahren, auch hier. Ich kenne viele von ihnen“, sagt Hasan. Er deutet auf die Gräber. Hasan ist so etwas wie ein Touristenführer für diesen Friedhof. Er ist ein Bosnier. Man hört ihm zu, schaut ihn an und fragt sich: Hätte er auch unter den Opfern sein können? Hat er einfach nur Glück gehabt? Hat ihn jemand gerettet? Wer? Noch wagt man, ihn zu fragen.
Eine neue Touristengruppe geht vorbei, die Menschen tragen Uniformen, sie kommen aus Österreich. Zögernd beginnt Hasan zu erzählen, von damals, wie es war, als Mladic mit seinen Schergen kam. Hasan sagt: „Wir waren mehrere und wir hatten beschlossen, durch den Wald zu fliehen. Dabei bin ich fast gestorben. Wir sind zehn Tage ohne Essen und Trinken gegangen. Viele Leute sind verschwunden.“ Jemand will wissen: „Wie alt warst du damals?“ „17.“
Heute ist Hasan 33 Jahre alt, schwarzhaarig, mittelgroß und stämmig. Er hat Internationales Strafrecht studiert und spricht gut Englisch, er hat als Übersetzer für die US-Armee gearbeitet. Er macht eine kurze Pause, bevor einer weiter erzählt: von der Kälte im Wald, von den schmerzenden Füßen und von den niederländischen Soldaten, die nicht geholfen haben. In der Fern zeigt Hasan auf verschiedene Gebäude. In einem großen Haus gegenüber des Friedhofs war vor 16 Jahren ein niederländischer Stützpunkt eingerichtet, jetzt ist es ein Museum. Es ist dunkel und kalt darin. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Erinnerungsstätte setzen vielfältige mediale Mittel ein, um das Gedenken an den traurigen Ort wach zu halten. Ein Video zum Beispiel zeigt Frauen und Männer vor dem Massaker. Heute sind die Männer tot, die Frauen leben noch. Jeden Tag denken sie an ihre Männer, Söhne, Brüder und Väter.
Eine dieser Frauen wohnt in der Nähe von Srebrenica, in einem großen dreistöckigen Haus. Es ist ein Haus eigens für Touristen, die zur Gedenkstätte kommen. Der Bruder der Frau hat es vor einigen Jahren gebaut, heute wohnt der Bruder in Kanada. Die Frau kocht für ihre Besucher, sie lässt sie in dem Haus übernachten. Nach dem Essen erzählt sie von sich, ihrem Mann und einem weiteren Bruder, beide hat sie durch den Krieg verloren. Sie kramt Fotos hervor und lässt sie kreisen. Sie erzählt auch von ihren Kindern, die seit einigen Jahren in Frankreich wohnen. Sie wollen, dass die Mutter zu ihnen kommt. Aber die Frau will nicht. Ihre Heimat, sagt sie, sei hier, hier in Srebrenica. Und hier bei ihrem toten Mann.