Herr Fücks, die Grünen haben in Schleswig-Holstein ein Rekordergebnis geschafft, aber eine klare rot-grüne Mehrheit verfehlt - und müssen sich fast als Verlierer fühlen. Was heißt das für künftige Wahlkämpfe?
Verlierer trifft gar nicht zu - es sei denn, die Grünen hätten sich in der Illusion gewogen, die nächste Regierungsbeteiligung schon in der Tasche zu haben. Das Ergebnis zeigt zunächst eine gewachsene Stärke der Grünen - auch ohne mediale Hochkonjunktur. Das lag auch am engagierten Wahlkampf und dem unkonventionellen Spitzenkandidaten Habeck. Er war erfolgreich damit, den Piraten frisches Auftreten, aber auch ernsthafte Inhalte entgegen zu setzen. Die Grünen können sich nicht mehr darauf verlassen, dass Rot-Grün kommt, auch wenn es in NRW wohl noch einmal reichen wird. Aber im Bund schrumpft die Aussicht auf eine Neuauflage einer Zweierkoalition mit der SPD. Die Schlussfolgerung ist, dass innerhalb eines Fünf- bis Sechs-Parteiensystems alle Parteien koalitionspolitisch flexibler werden müssen, wenn sie sich eine Alternative zur großen Koalition eröffnen wollen. So lange die SPD zu schwach ist, die CDU als stärkste Kraft herauszufordern und zugleich die Opposition zur Union nicht gemeinsam handlungsfähig ist, so lange hat die CDU den Schlüssel zum Kanzleramt.
Habeck hat zunächst auf "grüne Eigenständigkeit" und Offenheit für alle Koalitionen gesetzt. Das hat ihm die CDU mit einem anti-grünen Wahlkampf verhagelt.
Auf Schwarz-Grün zu setzen, wäre für die Grünen sicher ein Risiko. Aber es definitiv auszuschließen, könnte sie 2013 im Bund jeder Regierungsoption berauben, wenn es nicht gelingt, einen dritten Partner für einen Machtwechsel ins Boot zu holen. Das sind die strategischen Optionen, die sich abzeichnen: Entweder SPD und Grüne erweitern ihre Bündnisoptionen oder sie haben jeweils nur die Wahl, mit der CDU zu koalieren oder in die Opposition zu gehen.
Welche weitere Partner könnten das sein? Gibt es etwa eine Konstellation, unter der Sie sich 2013 im Bund schon eine Ampel vorstellen können?
Da braucht man schon extrem viel Fantasie. Ich glaube zwar, dass man zu früh das Totenglöckchen der FDP geschwungen hat. Aber sie ist zurzeit gar nicht politik- und koalitionsfähig. Sie muss sich erst neu finden, bevor man über Ampelkoalitionen ernsthaft nachdenken kann. Das gilt auch für die Linkspartei. In ihrer jetzigen personellen und politischen Verfassung ist die Linkspartei im Bund für uns nicht koalitionsfähig, weder in der Haushalts- und Finanzpolitik noch in der Außenpolitik.
Bleiben nur die Piraten ...
Im Bund ist das für 2013 verfrüht. Aber man wird die Piraten mittelfristig auch in Verantwortung nehmen müssen. Dann wird sich zeigen, ob sie eine politikfähige Kraft sind oder ob das eine Protestbewegung bleibt. Bisher ist ja ganz unklar, wofür die Piraten jenseits ihres basisdemokratischen Gestus stehen.
Müssen die Grünen wieder über Jamaika nachdenken?
Das können Sie vergessen. Wir werden 2013 mit Sicherheit nicht der jetzigen Koalition zur Mehrheit verhelfen.
Es gab Wahlen, da konnten die Grünen die Schwäche der SPD ausgleichen, etwa in Baden-Württemberg.
Wir sind von dem Hype nach Fukushima und Baden-Württemberg jetzt wieder auf Normalmaß. Aber ich glaube nach wie vor, dass das Potenzial der Grünen über die jetztigen 12 bis 14 Prozent hinausgeht. Das setzt voraus, dass man den Grünen zutraut, dass sie eine führende politische Rolle in der Republik spielen, so wie sie das in Baden-Württemberg tun. Dafür müssen wir das Bedürfnis nach Sicherheit mit der Bereitschaft zu Reformen verbinden. Wir müssen die Wähler überzeugen, dass man mit der Verbindung von ökonomischer und ökologischer Erneuerung Wachstum schaffen und nachhaltig aus der Krise herausfinden kann.
Interview: Steven Geyer
Erschienen am Montag, den 7.5.2012 in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau.