liebe Gäste von fern und nah!
Veranstaltungen zu eröffnen fällt unter die Pflichten eines Vorstands der Heinrich-Böll-Stiftung. Das klingt nach Routine. Aber es gibt auch nach vielen Jahren noch Projekte, von denen ich begeistert bin. Das spürt man hoffentlich auch heute.
Ich freue mich auf all die spannenden Gäste, die im Zentrum dieser Veranstaltung stehen – schon die Lektüre ihrer Kurzbiographien jagt den Erwartungspegel nach oben. Wir begegnen ihnen in einer bunten Mischung von Formaten: Lesungen und Gespräche, Filme und Konzerte.
Wir treffen an diesem Wochenende Künstler und Intellektuelle, die bei aller Verschiedenheit eines gemeinsam haben: sie trennen nicht zwischen Kunst, Journalismus, Wissenschaft und politischer Intervention. Hier geht es nicht um „radical chic“ und revolutionäre Posen, sondern um Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten mit anderen Mitteln. Viele der Künstlerinnen oder Blogger, die hier auftreten, sind mit ihren Aktionen ein hohes persönliches Risiko eingegangen.
Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin und der Literaturhäuser in Köln und Freiburg berichten Literaten, Wissenschaftlerinnen, Musiker, Malerinnen, Journalisten und Kuratoren aus dem Arabischen Raum und aus der östlichen Hälfte Europas zwei Tage lang über ihren Widerstand gegen politische und kulturelle Unterdrückung.
Ermöglicht wurde dieses Projekt mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes und durch eine engagierte Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus Köln, Freiburg und Berlin, bei denen ich mich herzlich bedanken möchte. Wer schon einmal eine internationale Konferenz organisiert hat, kann ermessen, welche Leistung dahinter steckt, ein solches Programm zu komponieren und so viele Individualisten aus so vielen Ländern an einem Wochenende zu versammeln. Mein Kompliment dafür!
Die globale Situation hat sich seit dem großen demokratischen Aufbruch in Osteuropa 1989 dramatisch verändert. Das Aufbegehren gegen autoritäre Herrschaft, das in Leipzig, Warschau, Prag und Budapest begann, hat sein Echo im arabischen Frühling gefunden, der vor gut einem Jahr mit viel Enthusiasmus und Energie losbrach. Wir wissen schon aus Osteuropa, dass der Aufbruch zur Demokratie eine komplizierte, langwierige Reise ist, eher ein Marathonlauf als ein kurzer Sprint. Er verläuft nicht gerade aus, sondern im Zickzack, und oft ist der Ausgang nicht klar. Von der Idee des linearen Fortschritts haben wir uns nach den Schrecken des 20. Jahrhunderts schon lange verabschiedet.
Wenn wir heute in den Nahen Osten blicken, sehen wir Bilder gewalttätiger Exzesse, aber auch demokratische Aufbrüche voller Idealismus und Hoffnung. In Ägypten wie in anderen arabischen Ländern ist der Kampf zwischen autoritären und freiheitlichen Kräften in vollem Gang. Und in Osteuropa erleben wir im Kraftfeld Russlands die Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen. Das Schlagwort der „gelenkten Demokratie“ ist ja nur eine Tarnung für die Kontrolle von Politik und Ökonomie durch neue Machteliten. Aber auch innerhalb der europäischen Union müssen Freiheit, Vielfalt und demokratische Mitbestimmung immer wieder neu erkämpft werden. Ungarn ist dafür nur ein besonders drastisches Beispiel.
An diesen gesellschaftlichen Kämpfen sind vielfach auch Künstlerinnen und Künstler beteiligt. Hier verschwimmt die Grenze zwischen Kunst und Aktivismus – politische Praxis und Reflektion werden eins.
Die Heinrich-Böll-Stiftung ist seit vielen Jahren in Mittel-Osteuropa und im Nahen Osten engagiert. Mit einer Vielzahl von Partnern vor Ort wollen wir den demokratischen Aufbruch und bürgerschaftliches Engagement stärken. Dazu gehört auch der Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern, die als Seismographen des Wandels die gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln. Wir wollen ihnen das Wort geben und so erfahren, was die Menschen in ihren Ländern bewegt.
„Wider die Müdigkeit“ – der Titel dieses Projekts – nimmt die These der „Müdigkeitsgesellschaft“ auf, die der Philosoph Byung-Chul Han dem Westen anheftet. Er bezeichnet damit die Tendenzen von Stagnation und Ermattung, von denen Europa befallen ist: Zukunftspessimismus, Abschottung nach außen, Deindustrialisierung und wachsende öffentliche Verschuldung. Zu diesen Symptomen gehört auch, dass die europäische Politik vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Sie erscheint kraftlos und unengagiert gegenüber den Umbrüchen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Wo bleibt die ausgestreckte Hand Europas gegenüber den arabischen Gesellschaften? Und was ist aus dem Traum vom gemeinsamen europäischen Haus geworden, das vom Atlantik bis zum Kaukasus reicht?
Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass wir uns nur die Geschichten von Widerstand und Aufbruch aus unserer Nachbarschaft anhören müssten, um den Geist der Veränderung auch im eigenen Land zu entfachen. Dazu sind die Verhältnisse zu verschieden. Aber vielleicht springt doch einiges von den Erfahrungen dieser Menschen über, von ihrer Haltung des aufrechten Gangs und ihrem beharrlichen Engagement, das nicht nach schnellem Erfolg fragt.
Auf jeden Fall wünsche ich uns allen einen aufgeweckten Austausch in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung. Dazu laden wir Sie ein und freuen uns auf die Gespräche mit Ihnen und unseren Gästen.
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Ich darf Sie nun in unseren Saal bitten, wo Sie das Ensemble Olivinn mit einem musikalischen Auftakt empfangen wird.