Seit langem haben scharfsinnige Beobachter argumentiert, dass Spanien - und nicht Griechenland, Irland oder Portugal - die eigentliche Zerreißprobe des Euros sein wird. Jetzt ist der Moment gekommen: werden die Entscheidungsträger wieder behaupten, dass die Schwierigkeiten in Spanien ein spanisches Problem sind, die Spanien mit zeitlich beschränkter Unterstützung allein lösen muss. Oder werden sie endlich erkennen, dass die Eurokrise eine gemeinsame Verantwortung darstellt, die nur durch gemeinsame Anpassungen und Maßnahmen gelöst werden kann.
Immobilienblase: Startpunkt der spanischen Krise
Was sich in Spanien abspielt, ist die unvermeidliche Zuspitzung der Spirale aus Schuldenabbau (Deleveraging), Rezession und Deflation. Die Ursache des spanischen Problems ist die gewaltige Immobilienblase, die sich ab dem Jahr 2000 aufblähte und im Jahr 2008 platzte, just in dem Moment als die globale Finanzkrise ausbrach. Während Spanien noch bis zum Jahr 2008 als ein finanzpolitisches Vorzeigemodell galt, hat der implodierende Immobilienmarkt den Staat quasi erdrosselt.
Spaniens Staatshaushalt wurde von allen Seiten angegangen. Den Anfang machte das Abebben der Einnahmen aus der Grundsteuer, die eine wichtige Quelle der Staatseinnahmen darstellte. Es folgte ein enormer Anstieg der Arbeitslosigkeit - vor allem unter den Jungakademikern und vormaligen Bauarbeitern - wodurch die Einkommenssteuereinnahmen einbrachen und Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung sprunghaft anstiegen. Die Regierung unterstützte außerdem Banken, die durch eine hohe Prozentzahl von Kreditausfällen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Schließlich ist die Regierung sowohl auf nationaler wie auch auf regionaler Ebene mit ungeheuer hohen Zinsbelastungen konfrontiert. Sie muss Zahlungsrückstände refinanzieren und Kapital für Defizite beschaffen.
Unter dem Druck der Finanzmärkte und wegen neuer Vereinbarungen innerhalb der Eurozone, hat die spanische Regierung schon beachtliche Sparmaßnahmen durchgeführt. Es zeigte sich jedoch, genau wie in anderen Ländern, die das gleiche Rezept ausprobierten, dass dies die Lage nur verschlimmert. Die Wirtschaft rutscht nun weiter ab, da neben privatwirtschaftlichen Schuldenabbau auch die Regierung den Gürtel enger schnallt und die Arbeitslosigkeit steigt. Dies verschärft wiederum alle Steuer- und Abgabebelastungen. Arbeitslose sind nicht in der Lage ihre Kredite zurückzuzahlen, was sich wiederum auf die Banken auswirkt. Diese jedoch tragen nicht zum Staatshaushalt bei, sondern existieren auf dessen Kosten. Die Finanzmärkte glauben zu Recht, dass diese Situation nicht fortdauern kann und ziehen sich folglich zurück.
Wachstumsstrategien anstelle von Sparpolitik
Um aus dieser Falle herauszukommen, gibt es nur einen einzigen Ausweg: die Sparpolitik lockern, den Schwerpunkt auf Wachstum und Arbeitsplätze setzen und die Finanzierungskosten minimieren. Keine dieser Maßnahmen kann Spanien im Alleingang umsetzen. Die Eurozonenpartner müssen Spanien mindestens fünf Jahre Zeit geben, bevor man sich auf eine steuerpolitische Ausbalancierung konzentrieren kann. Die nördlichen Länder mit ihrem finanzpolitischen Spielraum und geringer Arbeitslosenquote sollten bereit sein, Steueranreize vorzunehmen und eine vorübergehend höhere Inflation hinzunehmen, um so den Peripherieländern die Chance zu geben der Krise zu entwachsen. Darüber hinaus sollten die nördlichen Länder zumindest die Vergemeinschaftung des Schuldenanteils akzeptieren, der die Altlast der Krise ausmacht. Das muss nicht notwendigerweise für zukünftige Schulden gelten.
Gemeinsame Verantwortung für die Krise
Diese Maßnahmen werden schon seit geraumer Zeit von einer zunehmenden Anzahl von Beobachtern vorgeschlagen. Der Grund, warum sie (noch) nicht umgesetzt worden sind, ist, dass die meisten Politikerinnen und Politiker der nördlichen Länder noch nicht erkannt haben, dass die Krise in einer gemeinsamen Verantwortung liegt. Oder aber diese Politiker trauen sich nicht dies öffentlich auszusprechen.
Es gibt unterschiedliche Gründe für diese fatale Verschleierung. An erster Stelle steht der „Griechenland-Effekt“. Die Eurozonenkrise begann in Griechenland. Im Gegensatz zu anderen Ländern, ist ein Großteil der Verantwortung für die griechische Krise einer finanzpolitischen Misswirtschaft der eigenen Regierung zuzuschreiben. Weil dies – zuweilen mittels ungeheuerlicher Übertreibung und klischeehafter Zuordnung – fälschlicherweise auch auf andere Peripherieländer übertragen wurde, sind diese Länder behandelt worden, als ob sie für ihre eigenen Sünden rechtmäßig bestraft würden.
Zweitens ist die gegenläufige Meinung vor allem in Deutschland verbreitet, dass die AAA-Länder eine Belohnung verdient hätten und nicht gebeten werden sollten, für die Schulden der „Sünder“ aufzukommen. Nach Einführung des Euros hätten die AAA-Länder schmerzliche Opfer erbracht, wofür sie jetzt kompensiert werden sollten. Wenn die südlichen Länder also weiterhin die Vorzüge einer Eurozonen-Mitgliedschaft genießen wollten, so sollten sie dazu bereit sein, die gleichen Anpassungen vorzunehmen.
Drittens gibt es eine kulturell bedingte Tendenz innerhalb stabilitätsorientierter Länder davon Abstand zu nehmen, den Not leidenden Ländern durch finanzpolitische und monetäre Stimuli zu helfen, weil dies ein angebliches moralisches Fehlverhalten ermutigen würde und zu einer Inflation führte und dadurch letztendlich zur Instabilität.
Gäubigerländer übersehen eigene Verantwortung
Verheerenderweise übersehen die Gläubigerländer dabei ihre eigene Verantwortung an der derzeitigen Krise. Da die Krise weitgehend durch einen systemischen Planungsfehler ausgelöst wurde, sind die Gläubigerländer als ‘Väter’ dieses Systems genauso verantwortlich für seinen Crash wie die Schuldnerländer.
Alle sind sich darin einig, dass die gegenwärtigen Probleme die Folge von fahrlässiger privater wie öffentlicher Kreditaufnahme sind. Aber für jeden fahrlässig geliehenen Euro gibt es einen fahrlässigen Kreditgeber als Gegenpart. Abgesehen von der gemeinsamen Verantwortung für die systemisch bedingten unangemessenen Kapitalströme sind die in Deutschland durchgeführten deflationären Reformen – wie zum Beispiel die Hartz IV-Gesetze - auch nicht schuldlos. In einer Währungsunion sind individuelle, die Wettbewerbsfähigkeit steigernde Maßnahmen, die durch Lohn- und Preisbeschränkungen erreicht werden, für die Gemeinschaft genauso schädlich, wie eine unverantwortliche Finanzpolitik.
Nur wenn Politiker der nördlichen Länder schnell deren Mitverantwortung an der Krise erkennen, diese ihrer Bevölkerung erklären und entsprechend handeln, besteht eine Überlebenschance für den Euro. Sollte sich im umgekehrten Fall das Narrativ wiederholen, wonach die Krise ein spanisches Problem sei – ausgelöst durch ein enges Verhältnis zwischen korrupten Bankern, Politikern und Bauträgern, durch strukturschwache Arbeitsmärkte, durch größenwahnsinnige und unverantwortliche Regionalregierungen – kurzum ein Problem, das allein von Spanien gelöst werden soll, dann wird das sehr bald das Ende vom Lied für den Euro sein.
Dr. Ferdi De Ville ist Assistenzprofessor am Zentrum für EU Studien der Fakultät für Politikwissenschaft der Universität von Gent, an der er zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Eurokrise lehrt und veröffentlicht.
Aus dem Englischen übersetzt von Sandra Wagner.