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Zur Lage der Gemeindefinanzen – Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst weiter

Lesedauer: 6 Minuten
Britta Haßelmann ist kommunalpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen. Bild: Britta Haßelmann

11. September 2012
Britta Haßelmann
Der konjunkturelle Aufschwung in Deutschland trotzt Finanz- und, Bankenkrise. Die halbjährliche Steuerschätzung entwickelt sich seit knapp zwei Jahren sehr positiv. Diese Dynamik in den Steuereinnahmen schlägt sich langsam auch in einer Entspannung der allgemeinen kommunalen Finanzlage nieder.

Der kommunale Finanzierungssaldo soll 2012 erstmalig seit 2008 positiv ausfallen. Ähnlich wie Bund und Länder profitieren die Kommunen von den steigenden Steuereinnahmen. In Relation zu den Prognosen der Mai Steuerschätzung 2010 stiegen die Steuereinnahmen der Gemeinden um

•    5 Milliarden Euro im Jahr 2010 (+7,5 Prozent),
•    9 Milliarden Euro im Jahr 2011 (+13,8 Prozent) und
•    um bislang geschätzt 9 Milliarden (+12,4 Prozent) 2012.

Ungeachtet dessen schwoll gleichzeitig das Defizit der Kommunen in den Jahren 2010 und 2011 auf 11 Milliarden Euro an. Eklatant an diesem Ausgabenüberhang ist die Verteilung innerhalb der kommunalen Familie. Zwei Drittel der Kommunen konnten in den Jahren 2010 und 2011 ihre Haushalte ausgleichen. Die Haushaltsnotlagen konzentrierten sich überwiegend auf größere Städte. So schafften im gleichen Zeitraum 66 Prozent der Großstädte den Haushaltsausgleich nicht.

Hohe Überschüsse vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen

Außerdem ist die regionale Lage der Kommune ein essenzieller Parameter für die eigene finanzielle Situation. Die außerordentlich hohen Überschüsse in den guten wirtschaftlichen Jahren 2007 und 2008 entfielen zu zwei Drittel auf Kommunen in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Gleichzeitig nahmen aber auch in diesem Zeitraum die kurzfristigen Verbindlichkeiten in Form von Kassenkrediten zu. Das Landesverfassungsgericht in Rheinland-Pfalz stellte in seinem Urteil vom Februar 2012 für einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten voller konjunktureller Auf- und Abschwünge fest: „Die finanzielle Lage der Kommunen in Rheinland-Pfalz ist seit Jahrzehnten angespannt. Bereits im 22. Jahr in Folge blieben im Jahr 2011 die Einnahmen unter den Ausgaben.“

Die finanzielle Situation der Kommunen ist sehr heterogen und entwickelt sich stetig weiter auseinander. Entlarvend für die Gräben zwischen den jeweiligen Finanzausstattungen vor Ort ist die Verteilung der  Kassenkredite. Sie erreichten 2011 die 44 Milliarden Euro Grenze. Die stetige Ausweitung der Kassenkredite ist also ein Hilferuf einer großen Gruppe von strukturell stark unterfinanzierten Kommunen. Hauptsächlich fallen die  Kassenkredite in Großstädten bzw. in Städten Nordrhein-Westfalens, Rheinland-Pfalz‘ und des Saarlandes an.

Ähnlich wie in den Jahren 2007 und 2008 wird das positive Finanzierungssaldo 2012 von den strukturellen Finanzierungsproblemen vieler Kommunen ablenken. Die Kluft zwischen Arm und Reich war damals schon offensichtlich. Saldoüberschüsse wurden von stetig zunehmenden Kassenkrediten begleitet. Jahre später stehen wir vor der gleichen Gemengelage.

Kommunale Finanzen im roten Bereich

Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise sind die Einnahmen der Kommunen im Jahr 2009 dramatisch eingebrochen und haben sich bisher nicht wieder erholt. Die Schieflage zwischen kommunalen Einnahmen und Ausgaben ist allerdings keine der Wirtschaftskrise geschuldete Momentaufnahme. Die strukturelle Natur der Unterfinanzierung ist anhand des kommunalen Finanzierungssaldos klar belegbar. Mit Ausnahme des konjunkturellen Hochs in den Jahren 2006 bis 2008 ist der Finanzierungssaldo deutlich im negativen Bereich [Siehe hierzu die grafische Übersicht in der pdf-Version dieses Artikels].

Verursacher sind dabei nicht nur konjunkturbedingte Einnahmeverluste. Stetig steigende Ausgaben und immer neue Aufgabenübertragungen ohne entsprechende Finanzierung führen zu bedeutenden Ausgabenanstiegen. Verantwortlich für die stark wachsenden Ausgaben sind in erster Linie die Aufwendungen für soziale Leistungen. Vor allem die kommunalen Pflichtleistungen der Sozialhilfe, der Unterkunftskosten für ALG II-Beziehende, Ausgaben der Jugendhilfe oder die Eingliederungshilfe steigen an. Allein die kommunalen Sozialleistungen stiegen laut Deutschem Städtetag innerhalb von 10 Jahren um 17,6 Milliarden Euro. Der Inflationsausgleich für diesen Zeitraum hätte bei 5 Milliarden Euro gelegen, d.h. 12,6 Milliarden Euro sind zusätzlich anfallende Aufwendungen. Das ist eine reale Belastungssteigerung von knapp 50 Prozent.

Infolge dessen weisen die Städte und Gemeinden selbst im sehr guten Konjunktur- und Steuerjahr 2011 ein Defizit von 2,9 Mrd. Euro aus. Konjunkturbedingt werden die Städte und Gemeinden 2012 einen positiven Finanzierungssaldo aufweisen. Ein Ende der strukturellen Unterfinanzierung ist trotz zur Zeit guter Steuereinnahmen jedoch nicht erkennbar.

Kommunale Verschuldung steigt

Kommunen dürfen sich ausschließlich für Investitionen verschulden. Laufende konsumtive Pflichtaufgaben müssen aus den Einnahmen refinanziert werden. Dieses differenzierte Verschuldungsverbot führt durch die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen zu zwei gegenläufigen Effekten. Die kommunale Verschuldung am Kreditmarkt sinkt seit einem Jahrzehnt stetig. Ausschlaggebend hierfür sind die zurückgehenden kommunalen Investitionsausgaben. Die Investitionstätigkeit ist Leidtragende des Konsolidierungsdruck. Ein aktueller Investitionsstau von rund 100 Mrd. Euro ist die Folge (Difu/KFW 2012).

Gleichzeitig ist das Kassenkreditvolumen unabhängig von Konjunkturlage und Steuereinnahmen stark gestiegen. So explodierte der Kassenkreditbestand von 6 Mrd. Euro in 2000 auf 44,3 Mrd. Euro in 2011. Ursächlich für diesen Bedeutungszuwachs der Kassenkredite ist der Abschied von der  ursprünglichen Funktion als kurzfristiges Refinanzierungsinstrument. Aktuell werden die Kassenkredite notgedrungen als langfristige Refinanzierungsquelle eingesetzt. Häufig die einzige Möglichkeit für die Kommunen den gesetzlichen Konflikt zwischen erdrückenden konsumtiven Ausgabenverpflichtungen und dem Verschuldungsverbot zu lösen.

Hohe Belastung einzelner Kommunen durch soziale Pflichtausgaben

Der Stellenwert der Kassenkreditfinanzierung ist von Kommune zu Kommune höchst unterschiedlich und besitzt auch regional ganz verschiedene Ausprägungen. Eine Gemeinsamkeit der Kommunen mit einem umfangreichen Kassenkreditbestand ist allerdings die außergewöhnliche Belastung durch soziale Pflichtausgaben, insbesondere bei den Kosten der Unterkunft. Auch besitzen gerade diese Städte nicht die Eigenmittel, um von den unterschiedlichen Förderprogrammen der Europäischen Union, des Bundes und der Länder zu partizipieren. So kann sich die allgemeine kommunale Investitionszurückhaltung leicht zu einem generellen Investitionsverzicht entwickeln. Die Infrastruktur dieser Städte leidet seit Jahren überdurchschnittlich und damit auch die interkommunale Wettbewerbsfähigkeit.

Deshalb ist der unterschiedliche Kassenkreditbestand ein ernstzunehmender Indikator für die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Kommunen. Betroffen von einem hohen Kassenkreditbestand sind vor allem Städte in strukturschwachen Regionen im Saarland, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Hälfte aller Kassenkredite entfallen auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Allein die fünf Städte Essen, Duisburg, Wuppertal, Oberhausen und Dortmund besitzen 40 Prozent der Kassenkredite Nordrhein-Westfalens und 20 Prozent des bundesdeutschen Bestands.


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Britta Haßelmann ist Parlamentarische Geschäftsführerin und kommunalpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen.

 

Dossier

3. Kommunalpolitischer Bundeskongress „Grün geht vor!“

„Grün geht vor!“ ist der Treffpunkt für grüne Kommunalpolitiker/innen. Hier finden sie fachlichen Austausch, Weiterbildung und Vernetzungsmöglichkeiten zu aktuellen stadtpolitischen Herausforderungen. Der 3. Kommunalpolititische Bundeskongress findet am 14. und 15. September 2012 in Darmstadt statt.