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Eröffnung 3. kommunalpolitischer Bundeskongress der Heinrich-Böll-Stiftung: Grün geht vor!

Lesedauer: 7 Minuten
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Foto: Ludwig Rauch

17. September 2012
Ralf Fücks
Darmstadt, 14/15. September 2012

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste!

Ich begrüße Sie zum mittlerweile dritten kommunalpolitischen Bundeskongress, den die Heinrich-Böll-Stiftung ausrichtet. Unsere Partner in diesem Jahr sind die Heinrich-Böll-Stiftung Hessen sowie die Vereinigung „Grüne und Alternative in den Kommunalvertretungen Hessen“ – vielen Dank für die freundschaftliche Zusammenarbeit! 
Wir freuen uns, dass Sie so zahlreich hierhergefunden haben.

Nach den Konferenzen „KlimaKommunal“ in Münster 2008 und „Auf dem Weg zur kommunalen Mehrheitspartei“  in Berlin 2010 sind wir nun zu Gast in Darmstadt. Diese Wahl ist nicht zufällig.  Darmstadt hat mindestens drei Anknüpfungspunkte für einen kommunalpolitischen Bundeskongress zu bieten:

  • Darmstadt ist erstens die "heimliche Hauptstadt der Solararchitektur und des energieeffizienten Bauens". Falls Sie heute morgen an den Exkursionen teilgenommen haben, haben Sie sich bereits davon überzeugen können. Sie führten zu zwei Vorzeigeprojekten: das Betriebsgebäude des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft Darmstadt, ein Gewerbebau im Passivhausstandard, sowie das Energie-Plus-Haus des renommierten Architekten Manfred Hegger, das den amerikanischen Preis Solar Decathlon gewonnen hat.  Wie Sie vielleicht wissen, ist die Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung ebenfalls ein Büro- und Veranstaltungszentrum im Niedrigenergiestandard. Energieeffizientes Bauen ist für uns auch ein prominentes Thema im Rahmen unseres Arbeitsschwerpunktes ökologischer Umbau der Industriegesellschaft.
  • Darmstadt ist zweitens eine grüne Hochburg. Die Grünen stellen hier seit dem vergangenen Jahr den Oberbürgermeister. Ich bin gespannt, was uns Jochen Partsch später über die Geheimnisse grünen Erfolgs verraten wird.  Die Grünen sind außerdem die stärkste Fraktion im Rat - mit Verhältnissen wie in Tübingen. Dabei hat Darmstadt kein übertriebenes Öko-Image. Das grüne Profil entstand hauptsächlich in der Sozialpolitik - und in einer transparenten Bürgerorientierung. Die grünen Wahlerfolge sind auch eine Reaktion auf Klüngel und Vetternwirtschaft, die nicht nur in Darmstadt anzutreffen waren. Soziale Teilhabe, Ökologie, Bürgerbeteiligung und Transparenz – das ist so etwas wie das magische Viereck grüner Kommunalpolitik. Wenn dann noch die richtigen Leute zur richtigen Zeit antreten, ergibt das eine unwiderstehliche Mischung.
  • Darmstadt liegt drittens in Hessen – einem grünen Stammland mit großen Erfolgen bei den Kommunalwahlen der letzten Jahre. Hier konnten die Grünen im vergangenen Jahr die Zahl ihrer kommunalen Mandate glatt verdoppeln. Bundesweit entfallen auf sie inzwischen mehr als 10.000 kommunale Mandate - so viele wie nie zuvor. Für eine Partei von 60.000 Mitgliedern ist das eine beachtliche Zahl – und eine enorme Herausforderung, für qualifizierten Nachwuchs zu sorgen, damit die alten Hasen nicht bis zum Umfallen weitermachen müssen.

Kommunalpolitik steht immer in Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren. Wer sich ehrenamtlich in Gemeinderäten und Stadtparlamenten engagiert, hat kaum noch Zeit und Luft, Erfahrungen auszutauschen und Konzepte zu diskutieren. Dafür braucht es besondere Formate und Gelegenheiten. Kommunalpolitische Datenbanken und Internetforen sind wichtig, können aber die persönliche Begegnung nicht ersetzen. Die kommunalpolitischen Bundeskonferenzen sollen dafür ein Forum bieten.

Eine große Herausforderung besteht darin, die vielen Neuen, die erstmals auf grünen Listen kandidieren, bei ihrer Arbeit zu unterstützen, damit sie die politische Arena nicht bald frustriert wieder verlassen. Das ist auch eine große Bildungsaufgabe, über die Steffi Lemke gleich im Anschluss noch sprechen wird. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung trägt durch die Weitbildungs-Angebote der Landesstiftungen und das Engagement von GreenCampus dazu bei, diesen Aufwuchs zu bewältigen.

Politische Ämter, sei es im Rat oder in der Stadtverwaltung, bedeuten immer eine Verpflichtung gegenüber der gesamten Bürgerschaft – nicht nur gegenüber den eigenen Wählerinnen und Wählern. Eine Stadt mit einer kräftigen grünen Handschrift sollte im besten Sinne eine "Stadt für alle" sein. Ich meine das nicht im Sinn paternalistischer Fürsorge. Zuallererst beweist sich bürgernahe Politik bei der Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten.

Die Grünen sind historisch aus Protestbewegungen und Bürgerinitiativen hervorgegangen mit dem erklärten Willen, selbst Stadt zu gestalten bzw. "Staat zu machen". Sie waren eine Antwort auf die Legitimationskrise der repräsentativen Demokratie in den 70er Jahren. Jetzt müssen sie Antworten darauf finden, dass andere politische Mitwirkung fordern.

Man kann Stuttgart 21 als Krise der Institutionen lesen, aber auch als Ausdruck eines neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins, als Bereitschaft zur Einmischung aus Wut und Lust heraus. Den Lustfaktor zu unterschätzen wäre ein Fehler – es motiviert ungemein, wenn man erlebt, welche durchschlagende Wirkung gemeinsames Handeln gegenüber der Obrigkeit hat. Grüne waren auf unterschiedlichen Ebenen daran beteiligt, Lösungen für den Konflikt um Stuttgart 21 zu finden. Ihr Wahlsieg in Baden-Württemberg speiste sich auch aus der Protestenergie gegen ein umstrittenes Projekt und eine arrogante Landesregierung. Jetzt müssen sie das Kunststück vollbringen, das Ergebnis des landesweiten Volksentscheids umzusetzen, ohne ihre politische Glaubwürdigkeit zu ruinieren. Welche Lehren sie aus dieser Erfahrung ziehen, davon wird Gisela Erler heute berichten.

Auch die Erfolge der Piratenpartei sind ein Ausdruck frei flottierender Teilhabeansprüche. Mehr Demokratie zu wagen ist immer noch aktuell. Und kein Ort eignet sich dafür besser als die Kommune, die Gemeinschaft der Bürger, die über ihre Anliegen öffentlich verhandeln.

Ein unvermeidliches Thema unseres Kongresses sind die kommunalen Finanzen. Auffällig sind die krassen Unterschiede in der Finanzlage. Ein Teil der Kommunen hat von der guten Konjunktur, wachsender Beschäftigung und steigenden Steuereinnahmen profitiert. Am anderen Ende der Skala schreibt ein Drittel aller Städte chronisch rote Zahlen. Das gilt vor allem für diejenigen, die zu den Verlierern des industriellen Strukturwandels gehören.

Die Kluft zwischen gut situierten und de facto bankrotten Kommunen wächst. Insofern spielt sich innerhalb der Bundesrepublik ein ähnlicher Differenzierungsprozess ab wie innerhalb der Eurozone. Man darf gespannt sein, wann auch aus den überschuldeten Städten der Ruf nach einem Schuldentilgungsfonds ertönt. Die Debatte, wie Kommunen jenseits des Dauersparens wieder Spielräume für Investitionen bekommen können, wird uns jedenfalls auch hier beschäftigen.

Ein weiteres Thema ist die Energiewende. Städte sind ein zentraler Schauplatz und ein zentraler Akteur für die Transformation unseres Energiesystems. Sie sind Großverbraucher an Strom und Wärme und zugleich haben sie viel Potential für eine ressourceneffiziente, klimaneutrale Energieversorgung. Stadtwerke haben bisher – gemeinsam mit  privaten Haushalten – am meisten in den Ausbau der Erneuerbaren investiert. Der Trend zur Rekommunalisierung von Energie¬dienstleistungen ist unübersehbar. Dabei geht es nicht nur um Technik und Tarife. Auch Stadtwerke brauchen eine neue Unternehmenskultur der Offenheit und des Dialogs. Auch darauf werden wir im Verlauf der Konferenz zu sprechen kommen.

Genug der Vorrede – es gibt zu viele Baustellen der Kommunalpolitik, um sie alle im Rahmen einer Tagung bearbeiten zu können. Je lebendiger die Demokratie, desto mehr Baustellen. Demokratie macht Arbeit. Ich hoffe, sie macht auch Spaß. Das soll zumindest für diese Konferenz gelten.

Ich möchte folgenden Personen sehr herzlich danken, die durch ihr Engagement zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben: Zuallererst Hildegard Förster-Heldmann und Christine Kelter-Honecker aus Darmstadt für die tolle Unterstützung vor Ort. Außerdem danke ich Christian Flöter von der kommunalpolitischen Vereinigung sowie Ralf Zwengel von der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen für ihre inhaltliche und organisatorische Mitwirkung.
Für materielle Unterstützung danke ich der Thüga AG sowie der Entega AG. Und last not least möchte ich mich bei dem Team der Heinrich Böll Stiftung bedanken, das diese Tagung konzeptionell und organisatorisch vorbereitet hat – an erster Stelle Sabine Drewes, unsere Referentin für Kommunalpolitik.
 
Ich wünsche uns allen eine kurzweilige und produktive Konferenz mit vielen Anregungen für den politischen Alltag.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Audiomitschnitt "Grün geht vor"