Bei den Senatswahlen im Oktober 2012 waren die tschechischen Grünen (Strana zelených, SZ) erfolgreich und sind nach dem Ausscheiden 2010 nun wieder im tschechischen Parlament vertreten: Zwei der insgesamt sechs Kandidatinnen und Kandidaten haben ein Mandat gewonnen. In der zweiten Runde erzielten Eliška Wagnerová (unabhängige Kandidatin für die Grünen) und Libor Michálek (unabhängiger Kandidat für eine Koalition der Grünen, Christdemokraten und Piraten) jeweils 74 Prozent der abgegebenen Stimmen. Gewählt wurden in zwei Wahlrunden 27 Senatorinnen und Senatoren, also ein Drittel des Senats.
Auch bei den Regionalwahlen, die zeitgleich mit der ersten Runde der Senatswahlen stattfanden, verzeichneten die Grünen Erfolge: Bisher waren sie in keiner der Regionen vertreten, nach diesen Wahlen haben sie in zwei Regionen in Nordböhmen insgesamt neun Mandate inne (Liberec 17%, Usti 8%). Außerdem beteiligten sich die Grünen an einer weiteren Koalition in der Region Olomouc, die erfolgreich war (11%). Aufgrund einer Besonderheit im Wahlgesetz (Präferenzstimmen) erzielten sie hier allerdings kein Mandat.
Eva van de Rakt hat mit Ondřej Liška, dem Parteivorsitzenden der tschechischen Grünen gesprochen.
Ondřej, was ist der Grund für das ausgesprochen gute Abschneiden von Eliška Wagnerová und Libor Michálek?
Ondřej Liška: Der wichtigste Grund, warum die beiden erfolgreich waren, ist, dass es zu einer Verbindung von starken, parteilosen Persönlichkeiten mit der Grünen Partei kam. Die Bevölkerung hat generell ein großes Misstrauen gegenüber der Politik und sie ist auch nach wie vor enttäuscht über die Regierungsbeteiligung der tschechischen Grünen von 2007 bis 2009. Ich bin überzeugt, dass das Vertrauen nur durch Persönlichkeiten mit glaubwürdigen Standpunkten wiederhergestellt werden kann, die sich zu den Grünen bekennen und sie vertreten. Und das ist bei Eliška Wagnerová und Libor Michálek der Fall. Beide wären vielleicht auch ohne die Unterstützung der SZ gewählt worden, die Verbindung mit den Grünen war aber naheliegend. Die Grünen trugen zu einer gut organisierten Kampagne und zur programmatischen Profilierung der beiden bei. Außerdem ist die SZ eine Partei, die im Gegensatz zu anderen Parteien nicht mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht wird. Die Grünen haben durch den Erfolg wiederum starke Gesichter sowie die Möglichkeit gewonnen, am legislativen Prozess mitzuwirken und ein breiteres Wählerspektrum zu erreichen. Außerdem erhalten wir dank des Wahlerfolgs eine staatliche finanzielle Unterstützung für unsere politische Tätigkeit.
Libor Michálek war ein gemeinsamer Kandidat der Grünen, Christdemokraten und Piraten. Wie kam es zu dieser Koalition? Was war der Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit zwischen den genannten Parteien?
Ja, im Unterschied zu Eliška Wagnerová, einer Kandidatin der Grünen, war Libor Michálek gemeinsamer Kandidat der Grünen, Christdemokraten (KDU-ČSL, Anm. der Red.) und Piraten. Diese Koalition mag für manche Beobachterinnen und Beobachter, vor allem aus dem Ausland, sehr heterogen erscheinen. Bei genauerer Betrachtung ist das aber nicht so. Ein erster Grund für die Koalition ist die Tatsache, dass gerade die Wahlkreise der Senatswahlen in Prag eine Festung etablierter, vor allem rechtskonservativer Parteien sind. Die Chancen auf einen Erfolg erhöhen sich im Mehrheitswahlsystem zum Senat unter der Voraussetzung, dass sich kleinere Parteien auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Zweitens handelt es sich in allen drei Fällen um Oppositionsparteien. Die Christdemokraten vertreten im tschechischen Kontext vor allem die politische Mitte. Sie traf das gleiche Schicksal wie die Grünen, als sie bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus aus dem Parlament ausgeschieden sind. Die Christdemokraten haben in Prag im Grunde genommen eine sehr geringe Unterstützung, die Grünen können in Prag auf eine stabile Wählerschaft zählen. Der Zusammenschluss mit der KDU-ČSL als Partei der Mitte wirkte auf die grünen Wählerinnen und Wähler im insgesamt rechtskonservativ orientierten Prag daher nicht fremd, im Gegenteil, es zeigte symbolisch, dass wir in der Lage sind, unsere Kräfte zu vereinen, wenn es darum geht, die großen, etablierten Parteien im linken und rechten Spektrum zu schlagen.
Die Zusammenarbeit mit den Piraten hatte einen etwas anderen Charakter. Diese Partei ist programmatisch nicht besonders entwickelt, nur in wenigen Fragen bzgl. Autorenrechte, Internet und Transparenz. Ähnlich wie die SZ und KDU-ČSL versteht sie sich als Oppositionspartei, ja sogar als eine Antisystempartei. Die Piratenpartei hat in der gesamten Tschechischen Republik ungefähr 180 Mitglieder und ihre Unterstützung liegt daher eher im Image als Anti-Establishment Bewegung. Angesichts der Tatsache, dass die Piraten sich programmatisch in z.B. energie- und sozialpolitischen Fragen nicht stark von uns unterscheiden, sind wir nicht auf Hürden in Bezug auf eine einmalige Zusammenarbeit gestoßen. Es bleibt zu erwähnen, dass weder die tschechischen Grünen noch die Piraten sich gegenwärtig eine andere Art der Zusammenarbeit vorstellen können, als diese einmalige Gelegenheit bei den Senatswahlen und in gerade diesem Prager Wahlkreis.
Für die Gründung einer politischen Fraktion im Senat braucht man mindestens fünf Senatorinnen und Senatoren. Welcher Fraktion werden Eliška Wagnerová und Libor Michálek angehören?
Beide haben sich von Beginn an um die Gründung einer neuen Fraktion bemüht, in der sie als Unabhängige wirken und ihre Expertise einsetzen können – Eliška Wagnerová als ehemalige Verfassungsrichterin und Libor Michálek in den Bereichen öffentliche Verwaltung und Korruptionsbekämpfung. Momentan formieren sich zwei Fraktionen, in denen parteilose Senatorinnen und Senatoren einen großen Anteil haben, allerdings gibt es bei diesen Fraktionen auch Probleme bzgl. der Zusammensetzung. Eliška Wagnerová und Libor Michálek waren beide bei der Gründung der „Fraktion für eine Erneuerung der Demokratie“ beteiligt, in der drei christdemokratische und fünf unabhängige Senatorinnen und Senatoren Mitglieder sind. Eine starke Komplikation stellt für uns die Tatsache dar, dass mittlerweile zwei Senatoren Mitglieder dieser Fraktion wurden, die für ihre fremdenfeindlichen Standpunkte bekannt sind. Einer von ihnen wurde sogar gegen den Willen unserer Senatorin und unseres Senators in den Vorsitz des Senats nominiert. Das ist inakzeptabel und macht ein Bleiben von Eliška Wagnerová und Libor Michálek in der Fraktion unhaltbar. Es gäbe auch die Möglichkeit, in die zweite Fraktion parteiloser Senatoren einzutreten, die fünf Mitglieder hat, aber eher rechtskonservativ orientiert ist und im Grunde genommen die gegenwärtige Regierung stützt, gegenüber der wir in grundsätzlicher Opposition sind. Momentan finden Verhandlungen über das weitere Vorgehen statt, inbegriffen die Möglichkeit, keiner Fraktion anzugehören, was momentan am wahrscheinlichsten ist. Dabei verfolgen wir das Ziel, für beide optimale Bedingungen im Senat abzusichern und gleichzeitig eine Verbindung mit denjenigen zu vermeiden, die eine Politik im Widerspruch zum grünen Programm implementieren. (Kurz nach diesem Interview trat Eliška Wagnerová aus der „Fraktion für eine Erneuerung der Demokratie“ aus, Anm. der Red.)
Eliška Wagnerová wird höchstwahrscheinlich Vorsitzende der Verfassungskommission. Welche Ziele wird sie für die Grünen im Senat verfolgen?
Als eine sehr anerkannte Juristin und ehemalige Verfassungsrichterin hat Eliška Wagnerová große Chancen, im Senat ihre Fähigkeiten zur Geltung zu bringen – sowie ihre Überzeugung, dass in das Handeln des Staates Werte wie Respekt und die Verteidigung der Würde des Menschen zurückkehren müssen, dass man den Zerfall des Rechtsstaates verhindern muss. Die Grünen sind, wie auch Eliška Wagnerová, davon überzeugt, dass es nicht ausreicht, Politikerinnen und Politiker auszuwechseln, sondern dass das gesamte politische System in der Tschechischen Republik geändert werden muss. Als Vorsitzende der Verfassungskommission des Senats hätte Eliška Wagnerová die einzigartige Möglichkeit, Probleme auf die Tagesordnung zu bringen, die ein Hindernis dafür darstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger einen größeren und gerechteren Anteil an Entscheidungsprozessen über ihre Zukunft erhalten und dass die Regeln für Staat, Gesellschaft und Politik in Tschechien fairer werden.
Auch bei den Regionalwahlen konnten die Grünen Erfolge erzielen. Das erste Mal habt ihr – in Koalitionen – Mandate in Regionalparlamenten gewonnen. Wofür stehen diese Koalitionen? Haben sie ein starkes grünes Profil?
In beiden Regionen, in denen wir erfolgreich waren, haben die Koalitionen ein starkes grünes Profil. Das ist schon dadurch gegeben, dass ihre Spitzenkandidaten bekannte Persönlichkeiten sind, die mit den Grünen in Verbindung gebracht werden – Přemysl Rabas und Jan Korytář. Auf beiden Listen waren Mitglieder der tschechischen Grünen stark vertreten und wir erzielten mehr Mandate, als ursprünglich angenommen, da unsere Kandidatinnen und Kandidaten einen hohen Anteil der Präferenzstimmen erhielten. Das gilt für Jaromír Bax in der Region Liberec und Vladimír Buřt in der Region Ústi. Im Fall von Vladimír Buřt ist das besonders erfreulich, weil er sich schon lange gegen eine Aufhebung der Begrenzungen der Kohleförderung wehrt, die die Landschaft und Gesundheit der Bevölkerung zerstört. Für die grüne Bewegung ist sein Wahlerfolg eine große Genugtuung.
Beide Koalitionen entstanden aus grünen und lokalen Initiativen. Ihr Hauptziel war, eine Alternative zu den korrupten Parteien des linken und rechten Parteienspektrums ins Leben zu rufen. Man kann sagen, dass es sich um Bürgerkoalitionen gegen Korruption mit starken grünen Akzenten handelt. Die Aufgabe der gewählten grünen Vertreterinnen und Vertreter ist nun, das gewonnene Vertrauen einzulösen und die Bedingungen für eine Stärkung der Grünen nicht nur auf regionaler Ebene, sondern auch im Kontext der anstehenden Parlamentswahlen in 2014 zu schaffen.
In den Regionen, in denen die SZ alleine antrat, verfehlte sie die Fünfprozenthürde. Warum? Wie deuten die tschechischen Grünen diese Ergebnisse?
Eine genauere Analyse der Ergebnisse zeigt eine eindeutige Nachricht. Überall dort, wo wir kommunal aktiv sind – z.B. durch unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, aber auch dank aktiver Parteimitglieder – haben wir überdurchschnittlich gut abgeschlossen. In Gemeinden, wo wir starke Persönlichkeiten haben, haben wir bis zu 24 Prozent geschafft. In Brünn haben wir in einigen Stadtteilen rund 18 Prozent erzielt, in der gesamten Stadt 7 Prozent. In den verbleibenden Gemeinden der Region waren die Ergebnisse aber leider sehr niedrig. Das heißt, dass das „grüne Label“ alleine nicht zu einem Erfolg führt. Wenn allerdings glaubwürdige grüne Repräsentantinnen und Repräsentanten aktiv sind, ist ein Erfolg von 20 Prozent keine Ausnahme. Die Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist ziemlich klar – es ist nötig, dass die Arbeit der Grünen auf kommunaler Ebene ausgewogener wird und sich nicht nur auf größere Städte und Gemeinden beschränkt. Dort, wo Grüne langfristig dank glaubwürdiger Gesichter präsent sind, werden sie gewählt. Wenn wir außerdem unser Profil auf gesamtstaatlicher Ebene stärken, habe ich keine Zweifel daran, dass die Grünen auch bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erfolgreich sein werden.
Die Regierungskoalition schleppt sich seit Monaten von einer Krise zur nächsten. Das Land erscheint politisch gelähmt. Da die Senats- und Regionalwahlen für die ODS katastrophal ausfielen, wird über vorgezogene Neuwahlen spekuliert. Kommt es deiner Einschätzung nach zu Neuwahlen?
Es sieht danach aus, dass es trotz der destruktiven Politik dieser Regierung und trotz der schweren Krise in Bezug auf Personal und Programm, in der sich die Regierungsparteien befinden, nicht zu vorgezogenen Neuwahlen kommen wird. Der reguläre Termin der Wahlen ist in eineinhalb Jahren. Die Interessen hinter den Kulissen, die diese Regierungskoalition zusammenhalten, sind so stark, dass ein Regierungssturz unwahrscheinlich ist. Die Koalition wird weiter vor sich hin vegetieren, auch wenn sie die Mehrheit verloren hat. Das führt zweifellos zu einer weiteren Zunahme der Politikverdrossenheit in der Bevölkerung.
Ende November findet der Parteitag der SZ statt. Was steht auf der Tagesordnung?
Die SZ wählt einen neuen Parteivorstand. Dieser Vorstand führt die Partei zu vier Wahlen in 2014: zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus, den EP-Wahlen, sowie den Senats- und Kommunalwahlen. Für die Grünen ist das eine außerordentliche Chance und Herausforderung. Ich habe mich entschlossen, wieder für den Parteivorsitz zu kandidieren und bin froh, dass ich Gegenkandidaten habe. Für den Parteivorstand kandidieren sowohl neue Leute mit neuen Ideen und Energie als auch sehr erfahrene Parteimitglieder. Das ist mehr als ein gutes Signal für die derzeitige Verfassung der tschechischen Grünen.
Ondřej, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Eva van de Rakt, Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag.
Übersetzung aus dem Tschechischen: Eva van de Rakt