Die Schulden und Finanzkrise hat drei große Reform-Baustellen in Europa sichtbar gemacht. Die wichtigste dieser Baustellen der europäischen Krisenpolitik ist die Verschuldung einiger Euro-Staaten, allen voran die Griechenlands. Im Fokus stehen dabei die Anstrengungen der Krisenländer selber: Diese sollen kurzfristig ihre Ausgaben senken, und langfristig durch strukturelle Reformen ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit auch ihre Einnahmen stärken. Die EU unterstützt gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) die Krisenländer, vor allem durch Überbrückungskredite und Programme für die Reform der Wirtschafts- und Fiskalpolitik. An die Rahmenbedingungen für den Schuldenabbau traut sich die EU hingegen nur zögerlich heran.
Erst als nicht länger zu ignorieren war, dass die Schuldenreduktion für Griechenland und andere Länder ein unmögliches Unterfangen ist, solange alle Einsparungen durch die Zinsaufschläge an den Anleihenmärkten mehr als kompensiert werden, bekam die Europäische Zentralbank (EZB) grünes Licht für den Aufkauf von Staatsanleihen. Weitergehende Maßnahmen, wie den vom Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagene Schuldentilgungsfonds, lehnt die Bundesregierung weiterhin ab, das gilt erst recht für die dauerhafte Schulden-Vergemeinschaftung durch Eurobonds (1). In Verruf gekommen ist auch das Mittel des Schuldenschnitts: Der erste, von der Troika aus Kommission, IWF und EZB ausgehandelte Forderungsverzicht privater Gläubiger, wird heute allgemein als großer Fehler gesehen, weil der Teilausfall bei der Schuldenrückzahlung das Szenario einer Staateninsolvenz realistischer werden ließ; die Finanzmärkte quittierten das mit Zinsaufschlägen für die Staatsanleihen. Die Alternative, öffentliche Gläubiger auf ihre Forderungen verzichten zu lassen, lehnt die Bundesregierung bisher ebenfalls rundheraus ab: schon rein rechtlich sei es unmöglich, Griechenland nach einem Forderungsverzicht mit neuen Krediten auszustatten.
Stabilität des Finanzsystems
Die zweite Baustelle ist die Stabilität des Finanzsystems. Nach anfänglichem Enthusiasmus wird hier mittlerweile mit angezogener Handbremse gearbeitet. Im Vordergrund der Krisenpolitik steht die Gründung einer europäischen Bankenunion, in der die nationalen Aufsichts- und Sicherungssysteme gebündelt und bestimmte Regelungen verschärft werden. Der Vorschlag der Europäischen Kommission konzentriert sich auf drei Säulen: eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht, ein einheitliches Einlagensicherungssystem, und ein bankenfinanzierter Restrukturierungsfond. Die Bundesregierung plant zudem gemeinsam mit weiteren EU-Staaten die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, um die Finanzmärkte an den Kosten der Krise zu beteiligen.
Mit der Finanztransaktionssteuer sind wir bei der dritten Baustelle angelangt, den strukturellen Krisenursachen, und damit bei der Frage, wie es zu der massiven Überschuldung sowohl öffentlicher als auch privater Gläubiger kommen konnte. Denn die Immobilienblasen in den USA oder Spanien und der Schuldenberg in Griechenland haben gemeinsam, dass die Kreditgeber ihre Kreditnehmer nicht sorgfältig genug geprüft haben. Die Finanzinstitute konnten diese Risiken nicht zuletzt deshalb eingehen, weil sie richtigerweise davon ausgingen, dass sie „too big to fail“ waren: Tatsächlich ist ein großer Teil der während der Finanzkrise in Not geratenen Großbanken von der Politik gerettet worden. Die Reformvorhaben im Zuge der europäischen Bankenunion können einen Beitrag dazu leisten, dass Staaten in Zukunft seltener in diese Zwangslage geraten. Der bankenfinanzierte Restrukturierungsfond und das ebenfalls von den Banken selbst zu finanzierende Einlagensicherungssystem können die Risikobereitschaft zügeln, insbesondere wenn, wie unter anderem von den Grünen gefordert, die Einlagenhöhe vom Risikoprofil der jeweiligen Bank abhängt. Einen noch größeren Beitrag könnte aber eine Reihe von Vorschlägen zur Reform des Banken- und Finanzsektors leisten, die (noch) nicht Teil der offiziellen Reform-Agenda sind, wie die Einführung von Schuldenbremsen für Banken, die Trennung von Investmentbanking und Einlagengeschäft, die frühzeitige Beteiligung von Bankengläubigern an von Insolvenz bedrohten Bankinstituten (durch so genannte „debt to equity swaps“), und die Regulierung des Schattenbankensystems (2).
Ungleiche Vermögensverteilung als strukturelle Ursache der Krise
Wir müssen aber auch eine weitere strukturelle Krisenursache in den Blick nehmen, und zwar den Zusammenhang von ungleicher Vermögensverteilung, der Anhäufung von Finanzvermögen und dem daraus resultierenden Risikoverhalten von Finanzmarktakteuren. Die derzeitige Situation ist ja paradox: Auf der einen Seiten sind viele Staaten (und ebenso Privatleute) sehr stark verschuldet; auf der anderen Seite haben die Finanzmärkte ein Mittelabflussproblem, weil die Realwirtschaft die ihnen anvertrauten finanziellen Mittel nicht komplett aufnehmen kann und viele Staatsanleihen nicht mehr sicher genug erscheinen (3). Für viele Beobachter liegt darin eine wichtige Ursache für die Entwicklung risikoreicher Finanzprodukte, die lange Zeit große Mengen Investitions-Kapital absorbiert und dann zum Ausbruch der Finanzkrise beigetragen haben. Damit wird auch deutlich, warum die Aufteilung in Länder mit Leistungsbilanzdefiziten und Leistungsbilanzüberschüsses auf Dauer problematisch ist: Wenn Überschüsse auf Dauer nicht innerhalb einer Volkswirtschaft aufgenommen werden, müssen sie woanders investiert werden und finanzieren dann Staatsschulden in Griechenland oder Immobilienblasen in Spanien.
Die Unterscheidung von drei Krisen-Baustellen macht deutlich, dass es keinen einfachen Weg aus der Krise geben kann. Eine Reihe von Vorschlägen, die über das Ziel von Schuldenabbau und Finanzmarkt- Stabilisierung hinausgehen, könnte aber auf allen Baustellen wichtige Beiträge leisten.
Der Blick nach vorn: Gemeinsame Investitionsprogramme und koordinierte Steuerpolitik
Dazu gehören zum einen gemeinsame europäische Investitionsprogramme mit einer klaren Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, also das, was bereits seit einigen Jahren als Green New Deal diskutiert wird. Ein Green New Deal kann die Wirtschaftstätigkeit vor allem in den Krisenländern beleben und über steigende Staatseinnahmen zum Abbau der Schulden beitragen. Durch klare Ziele und Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien und eine sozial-ökologische Transformation könnte ein Green New Deal auch Investitions-Sicherheit für den Privatsektor schaffen und so zur Beruhigung der Finanzmärkte beitragen. Damit drittens auch die strukturellen Krisenursachen mit bearbeitet werden, sollte die Politik als Gegenleistung für diese Investitionssicherheit eine nachhaltige Ausrichtung der Finanzmärkte einfordern und durchsetzen, statt sich mit der Stabilisierung eines nicht-nachhaltigen Systems zufrieden zu geben.
Ein zweites wichtiges Reform-Feld ist die Steuerpolitik. Maßnahmen in diesem Feld sind grundsätzlich unpopulär, aber könnten auf allen drei Krisen-Baustellen wichtige Beiträge leisten. Das gilt zum einen für die staatlichen Schulden, die neben den Krisenstaaten auch Volkswirtschaften wie die USA, Deutschland oder Japan vor sich her tragen. Global gesehen sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Einnahmen der Staaten deutlich stärker geschrumpft als die Ausgaben gestiegen; auch in Griechenland waren weniger die Ausgaben eklatant hoch, als die Einnahmen extrem niedrig. Die Finanzkrise hat noch einmal deutlich gemacht, dass eine primäre Aufgabe darin bestehen muss, Kapitaleinnahmen stärker in die Besteuerung mit einzubeziehen. Europa hat die Chance, seine Steuerpolitik stärker zu koordinieren und so dem ständigen Schreckgespenst der Abwanderung von Investitionen und Wirtschaftstätigkeit etwas entgegen zu setzen. Die gezielte Besteuerung von Kapitaleinnahmen würde auch die zweite und dritte Baustelle bearbeiten. Neben der Stabilisierung der Finanzmärkte durch eine Finanztransaktionssteuer könnten Steuern auf Kapitaleinnahmen das fragile System der Staatsfinanzierung über Finanzmärkte teilweise ersetzen. Außerdem könnten Steuerharmonisierung und Kapitalbesteuerung dazu beitragen, dass Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr in erster Linie über niedrige Reallöhne erreicht werden muss: Das würde nicht nur mehr Verteilungsgerechtigkeit erlauben, sondern auch eines der zentralen Probleme in der wirtschaftlichen Entwicklung Europas adressieren, das Auseinanderklaffen der Reallohnentwicklungen.
(1) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Verantwortung für Europa wahrnehmen. Jahresgutachten 2011/12. Erschienen im November 2011.
(2) Vgl. etwa Peer Steinbrück: Vertrauen zurückgewinnen: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte, September 2012; Grüne Bundestagsfraktion: Europäische Bankenunion: Beschleunigen statt bremsen! Fraktionsbeschluss vom 06.11.2012
(3) Die extrem niedrigen Zinsen die Deutschland für seine Staatsanleihen bezahlt sind eine Folge davon.