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Wunderbare Analystinnen der Gesellschaft

Johannes Manz: Wie nutzt → Filastiniyat digitale Medien und soziale Medien für ihre Arbeit?

Wafa' Abdel Rahman: Wir beobachten die herkömmlichen Medien wie Tageszeitungen und TV – und analysieren, inwieweit ihre Berichterstattung über Männer und Frauen voreingenommen ist. Nach dem  Aufkommen der sozialen Medien war Filastiniyat eine der ersten palästinensischen Organisationen, die sich darauf spezialisiert haben. Auch wenn Blogs, Facebook, Twitter oder YouTube gute Plattformen sind, um unsere Ideen zu verbreiten oder zu mobilisieren, dürfen wir nicht den Fehler machen, die konventionellen Medien für unsere Arbeit aus den Augen zu verlieren. Momentan arbeiten wir gerade intensiv an der Errichtung und Einführung einer feministischen Nachrichtenagentur.

Wie unterstützen Sie insbesondere Frauen in Ihren Projekten?

Mittlerweile liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit bei den sozialen Medien. In unserem Journalistinnenklub sind ungefähr 170 Journalistinnen, die Gruppen auf Facebook gründen oder twittern, um zum Beispiel Frauen, die von den Israelis inhaftiert wurden, zu unterstützen. Sie arbeiten Teilzeit für Filastiniyat und können so Arbeitserfahrung sammeln. Zusätzlich unterstützen wir sie im Online-Marketing, um ihre Aussichten auf Jobs – gerade auch im Hinblick auf die Konkurrenz zu männlichen Bewerbern – zu erhöhen.

Was sagen die Frauen über ihre Arbeit – was ist ihnen daran
besonders wichtig?

Eine Frau aus unserem Netzwerk erzählte mir, dass es ihr sehr viel bedeutet, dass sie bei ihrem Blog von keinem Chefredakteur zensiert wird und Sätze formulieren kann, die ihr nicht durchgestrichen werden, nur weil sie – aus Sicht der konservativen Gesellschaft – zu progressive Ansichten vertritt. Eine andere Frau aus dem Gazastreifen sagte, dass sie anonym über soziale Phänomene, über Religion oder über Politik schreiben kann, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, direkt von der Gesellschaft oder den Parteien angegriffen oder denunziert zu werden.

Können Sie uns ein Beispiel für ein heikles Thema geben?

Kürzlich berichtete mir eine Frau von ihrer Recherche über drogenabhängige Frauen. Dass jemand über dieses Thema in Palästina schreibt, war mir bis dahin noch nicht begegnet – es ist ein absolutes Tabu. Wenn über Drogenabhängigkeit in den Medien diskutiert wird, dann nur im Zusammenhang mit Männern. Das zeigt, dass sich mit den sozialen Medien insbesondere für Frauen ganz neue Räume eröffnen.

Werden bestimmte Themen in den sozialen Medien vor allem von Frauen diskutiert?

Zuallererst ist die palästinensische Gesellschaft, auch die der Frauen, keine geschlossene Einheit. Wird zum  Beispiel eine Facebook-Gruppe über Frauenrechte gegründet, so gründen sich oft Gegeninitiativen auf Facebook, darunter auch von Frauen selbst. Viele von ihnen glauben, dass aufgrund der Scharia Frauen nicht gleichberechtigt sind. Aber solche Debatten können fruchtbar sein. Mich stören die verschiedenen Meinungen nicht, solange sie nicht in gewaltsame Aktionen übergreifen. Ich befürworte grundsätzlich, dass gesellschaftliche Perspektiven jetzt viel häufiger diskutiert werden, vor allem unter Frauen – sie sind in den sozialen Medien sehr viel aktiver als die Männer. Sie sind übrigens sehr stark in ihrer Argumentation. Und es ist sehr schade, dass es bisher kaum Tageszeitungen gibt, in denen sie ihre Ansichten vertreten können, obwohl sie wunderbare Analystinnen der Gesellschaft sind. 


Wafa' Abdel Rahman hat in Palästina die Medien-NGO Filastiniyat für Jugendliche und Frauen gegründet. 

Filistiniyat kämpft dafür, dass ihre Stimmen in den Medien – herkömmlichen wie digitalen – gehört werden, und bildet Journalistinnen in der Nutzung der sozialen Medien aus.

Johannes Manz studierte Islamwissenschaften und Neuere Geschichte in Freiburg, Zürich und Berlin und arbeitete als Praktikant bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.