Maselheim, 4.300 Einwohner, 20 km bis Biberach: Hier regiert seit 1991 der erste grüne Bürgermeister der Republik: Elmar Braun. Wer bei grün geprägten Orten nur an Konstanz, Freiburg, Tübingen, Darmstadt oder Stuttgart denkt, hat also schon etwas übersehen. Grüne können seit geraumer Zeit Mehrheiten in Kommunen ganz unterschiedlicher Struktur hinter sich bringen, so zuletzt in Mayen (15.000 Einwohner) in Rheinland-Pfalz.
Auf den ersten Blick sind die Wahlergebnisse der letzten zehn Jahre leicht interpretierbar. In den Städten schneiden wir besser ab als in den Landgemeinden, in den Großstädten besser als in den Kleinstädten, in Universitätsstädten besser als in Arbeiterstädten, in den urbanen Zentren besser als in den Vororten. Das folgt den allgemeinen soziologischen Erkenntnissen zur Zusammensetzung der grünen Wählerschaft.
Spannend wird es erst, wenn man Maselheim, Mayen und Kretschmanns Baden-Württemberg hinzunimmt. Es zeigt sich, dass Grüne weit über die klassischen Milieus hinausgreifen können und dann in Regionen und Gemeinden Mehrheiten erringen, die mit der bisherigen Beschreibung von Hochburgen nicht erfasst waren. Für sie steht exemplarisch Kreuzberg. Für die neuen Hochburgen steht Stuttgart. Die Ergebnisse mögen sich ähneln, die Milieus sind höchst verschieden, nicht nur wegen Wecken oder Schrippen.
In den klassischen Hochburgen sind die traditionellen grünen Themen weiterhin ausschlaggebend: Rechte für gesellschaftliche Minderheiten, Fahrradwege, sozialer Wohnraum. In den neuen Hochburgen sind die Grünen auch für die Themen der Mehrheit zuständig: Wirtschaft, Arbeit, Finanzen genauso wie Energie, Umwelt, Verkehr. Eine solche Aufzählung provoziert gelegentlich das Missverständnis, die Farbe Grün verblasse dabei. Das muss nicht so sein. Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben ist die von Fritz Kuhn gefundene Formel zur Überwindung dieses scheinbaren Widerspruchs.
Von Fritz Kuhn stammt auch die Analyse, in den urbanen Milieus seien grüne Themen hegemonial geworden. Das stimmt. Konstitutiv war dafür der gesellschaftspolitische Aufbruch der Frauen, Migranten und Homosexuellen. Hinzugekommen sind der Lifestyle of Health and Sustainability und die Latte Macchiato. Die Menschen in der Stadt wollen gut leben, aber nicht auf Kosten der Umwelt und der nachfolgenden Generationen.
Dafür brauchen sie kurze Wege, gute Busverbindungen und Radwege, Kneipen und Geschäfte um die Ecke. Autos brauchen sie hin und wieder, aber die Stadt dem Auto unterordnen wollen sie nicht, weil das ihr eigenes Leben beeinträchtigt. Familie ist in der Stadt, wo Kinder sind – und die KiTa nicht weit ist. Die Energiewende treibt man auf dem Dach der Grundschule gemeinsam mit einer Solaranlage voran. Und auch denen, die weniger haben, soll es nicht schlecht gehen.
Wenn der grüne Bürgermeister aus diesen weichen Standortfaktoren harte Steuereinnahmen macht, dann ist die Hegemonie erreicht. Eine solide Haushaltspolitik ist der Nachweis, dass Nachhaltigkeit ernst gemeint ist. Kein Oberbürgermeister kommt ohne die eigene Stadt aus, wenn er über Kommunalpolitik schreibt. Die Erfolgsfaktoren grüner Kommunalpolitik aus Tübinger Sicht lassen sich in einige nüchterne Zahlen fassen.
In den sechs Jahren, in denen ich OB bin, ist der Energieverbrauch aller städtischen Gebäude um 20 Prozent und der CO2-Ausstoß pro Kopf um 10 Prozent zurückgegangen, wurde der Etat für Radwege verzehnfacht, haben die Stadtwerke vier erneuerbare Großkraftwerke realisiert, ist die Zahl der Arbeitsplätze um mehr als 10 Prozent gewachsen, wurde die Quote der Kleinkindbetreuungsplätze von 25 auf 60 Prozent gesteigert, haben sich die Investitionen in städtische Wohnungen vervierfacht und die Gewerbesteuer verdoppelt, während die Verschuldung auf Null zurückgegangen ist.
Ja, das würde heute jeder Bürgermeister in einer Erfolgsbilanz nicht vergessen. Weil wir Grüne an diesen Themen länger als die anderen gearbeitet haben, sind wir damit auch erfolgreicher. Von Maselheim bis Stuttgart und hoffentlich weit darüber hinaus.
Boris Palmer ist seit 2007 grüner Oberbürgermeister von Tübingen.