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Lebenslanger Einsatz für liberalen Islam und interreligiöse Verständigung

Dr. Asghar Ali Engineer (1939-2013): Ein Nachruf

Dr. Asghar Ali Engineer hat sich sein ganzes Leben hindurch für einen liberalen Islam, für Frauenrechte und für die Verständigung unter den Religionen eingesetzt. Für sein Engagement in Indien und weltweit erhielt er 2004 den Right Livelihood Award. Seit den 1990er Jahren unterstützt die Heinrich-Böll-Stiftung die Arbeit des von ihm gegründeten Center for Study of Society and Secularism, das Trainingsveranstaltungen für Jugendliche und muslimische Frauen durchführt, aber auch Fortbildungen für Polizistinnen und Polizisten, die zu einem adäquateren Umgang mit kommunalen und religiösen Spannungen befähigt werden sollen. 

Dr. Asghar Ali Engineer verstarb am 14. Mai 2013 in Mumbai (ehemals Bombay). Der folgende Nachruf erschien am 15. Mai 2013 in englischer Sprache in der großen indischen Tageszeitung The Hindu. Seine Autorin Meena Menon leitet das Büro des „Hindu“ in Mumbai.
  


Asghar Ali Engineer (1939-2013): Ein Kämpfer gegen den Kommunalismus 

Ein Leben lang kämpfte er unermüdlich für Frieden und Harmonie zwischen den Religionen und für religiöse Reformen in seiner eigenen Gemeinschaft.

Als Kind in Wardha, zur Zeit der politischen Teilung des indischen Subkontinents, hörte er „schreckliche Geschichten von Menschen, die getötet wurden, und Zügen voller Leichen“. Diese Geschichten, so schrieb er in seiner Autobiographie „A Living Faith“, beunruhigten ihn sehr, und er begann früh darüber nachzudenken, warum Menschen im Namen der Religion töten. 

Dann, 1961 als Student in Jabalpur, war er tief betroffen von den damaligen Unruhen, den bis dahin schlimmsten im unabhängigen Indien. Für Engineer waren diese Unruhen der Anfang seines lebenslangen Kampfs gegen den pathologischen Kommunalismus und Auslöser für sein Engagement, Frieden zwischen den Religionen zu erreichen.

Erst im vergangenen Dezember, am 20. Jahrestag der Unruhen in Mumbai 1993, nach der Babri Masjid Demonstration, war er noch Teil einer Kampagne gewesen, die auf diese blutige Vergangenheit der Stadt aufmerksam machte. Obwohl bereits gesundheitlich angeschlagen, war er dennoch beherzt und überzeugt von der Notwendigkeit, an diese Unruhen zu erinnern: „Nicht aus Rache, aber um sicher zu gehen, dass sowas nicht wieder passiert.“

Sein ganzes Leben hat er sich für Frieden und kommunale Harmonie eingesetzt. Seine zweite Leidenschaft galt der Demokratisierung und Verantwortlichkeit des religiösen Establishments. Er wurde sechs Mal physisch angegriffen, wegen seines Glaubens und der Befürwortung religiöser Reformen. Seine Familie war oft besorgt um seine Sicherheit, berichtet sein Sohn Irfan.

Engineer wurde am 10. März 1939 in Salumbar geboren, einer Stadt in Rajasthan in der Nähe von Udaipur. Er wuchs in einem orthodoxen Umfeld auf. Sein Vater war Priester und wurde in verschiedene Städte versetzt, um den dortigen Bohra-Gemeinschaften religiösen Beistand zu leisten. Aber, so erinnerte er sich, sein Vater habe nie etwas gegen andere Religionen gesagt.

Während seiner Schulzeit in Dewas, als er und andere junge Muslime als „Befürworter Pakistans“ gehänselt wurden, wurden ihm die Unterschiede zwischen Religionen und Kasten bewusst. Schon damals schrieb er Artikel, meist über den Islam und über Probleme der Muslime. Dies hat er bis zuletzt fortgeführt.

Im Februar schrieb er aus dem Krankenbett eine Nachricht von seinem Laptop für eine Veranstaltung in Indonesien, zum Dialog zwischen den Religionen. Zwei Jahre zuvor übermittelte er, ebenfalls vom Krankenhaus aus, den Text einer eineinhalbstündigen Rede für eine Konferenz über sein Mobiltelefon. Verpflichtung blieb Verpflichtung, so Irfan über seinen Vater.

Als Intellektueller und Autor von über 70 Büchern sowie zahlreicher Artikel sei Engineer ein sehr bescheidener Mensch gewesen, so sein Sohn weiter. Er konnte sich auch mit seinen Kritikern auseinandersetzen und Meinungsunterschiede geduldig erörtern. Irfan, der den Kampf von Engineer fortführt, erinnert sich an einen liebenswürdigen und verständnisvollen Vater und Freund.

Frauenrechte

Frauenrechte und Gleichberechtigung gehörten zu seiner Mission. Engineer setzte sich für ein Verständnis des Korans ein, der, so war er überzeugt, Frauen gleiche Rechte gibt. Die mittelalterliche Rechtsprechung habe Frauen übergangen, und er wollte ihre Rechte wiederherstellen. Zur Unterstützung religiöser Reformen wurde im Februar 1977 in Udaipur eine Konferenz abgehalten, um einen demokratisch gewählten Vorstand für die Gemeinschaft der Dawoodi Bohras einzuführen. Engineer selbst wurde zum Generalsekretär gewählt. Später gründete er das Institute of Islamic Studies in Mumbai und das Center for Study of Society and Secularism.

Engineer zählte Ghalib zu seinen bevorzugten Urdu-Dichtern und gibt zu, dass unter anderem der Sunni-Gelehrte Iqbal ihn tief beeinflusst habe. Anfangs habe ihn der Marxismus aufgrund des ihm innewohnenden Atheismus abgeschreckt. Später jedoch konnte die marxistische Lehre ihn „für sich gewinnen, da sie den islamischen Werten sehr nahe“ sei. Man müsse nicht unbedingt Atheist sein, um Marxist zu sein. Engineers Vater hatte beschlossen, ihn nicht zur Weiterführung der Priester-Tradition zu zwingen. Als sein Vater ihn das erste Mal mit nach Bombay nahm, um die Füße des Syedna [des religiösen Führers der Bohras] zu küssen, fand Engineer dies abstoßend.

Als er 1963 wieder nach Bombay kam, fand er einen Arbeitsplatz als Ingenieur in einem städtischen Unternehmen, den er 1983 wieder kündigte. Er begann über die Unterdrückung der Dawoodi Bohras in Udaipur zu schreiben. Er wurde deshalb bedroht, und man erwartete von ihm, sich zu entschuldigen. Seine Familie boykottierte ihn. Einige der Angriffe gegen ihn brachten ihn ins Krankenhaus. Sein Center for Study of Society and Secularism wurde verwüstet.

Er bemühte sich intensiv, den Ursachen kommunaler Ausschreitungen, die Indiens soziales Gefüge beschädigen, auf den Grund zu gehen. Neben seinen Initiativen für die Harmonie zwischen den Religionen war Engineer auch ein Islam-Gelehrter. Sein grundsätzliches Interesse sei es gewesen, eine Theologie des Islam zu entwickeln, die sich mit den Bedingungen der modernen Welt auseinandersetzt und zugleich in diesen fest verwurzelt ist, so Yoginder Sikand in Muslims in India since 1947: Islamic Perspectives on Inter Faith Relations. Engineers größter Beitrag lag darin, die kontextuelle Hermeneutik des Koran zum Ausdruck zu bringen. Diese, so war er überzeugt, werde es Muslimen erleichtern, mit den Herausforderungen des täglichen Lebens umzugehen. 

Engineer verband seine Leidenschaft für Wissen und Religion mit praktischem Engagement. Er brachte führende Schriftsteller, Journalisten und Mitglieder fortschrittlicher Bewegungen zusammen, um für religiöse Reformen zu kämpfen – und gegen das, wie er es verstand, „un-islamische“ Aufzwingen von Glaubenssätzen des Syedna.

Bevor er vergangenen Dienstag an Diabetes starb, hatte er sich weitgehend von einer langwierigen, über drei Monate dauernden Krankheit erholt und war am 26. April aus dem Krankenhaus heimgekehrt. 
Er starb zu einem Zeitpunkt, an dem viele der Fragen, um die er sich sorgte, weit von einer Lösung entfernt sind. Gerade jetzt brauchen wir Toleranz, kommunale Harmonie und den Dialog zwischen den Religionen – die Werte, für die Engineer sein ganzes Leben lang kämpfte.
 


Übersetzung: Lara Chahal, Praktikantin im Indien-Büro der Heinrich Böll Stiftung in New Delhi.