Marcus Franken, Chefredakteur des Magazins zeo2, befasst sich seit mehr als einem Jahrzehnt intensiv mit den großen Fragen der Umwelt- und Energiepolitik. Am 6. Juni erschien das Buch "Bericht aus der Zukunft – wie der grüne Wandel funktioniert", dessen Autor er ist.
Herr Franken, der erste Satz des Buches lautet: „Dies ist ein Buch der Zuversicht in schwierigen Zeiten“. Warum sind die Zeiten so schwierig, und wie können Sie ihnen trotzdem mit Zuversicht begegnen?
Wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Buches in den letzten zwei Jahren ansieht, sieht man schon, wie viel passiert. Damals lauteten die Schlagzeilen: „Energiewende – ist das möglich?“. Heute lautet die Frage nur noch „Energiewende – wie genau wird’s gemacht?“. Ob wir in 30 Jahren alle Herausforderungen von Klimawandel bis Ressourcenknappheit gelöst haben, kann Ihnen niemand sagen. Aber das Buch zeigt: Es gibt die Chance, das Ganze zum Guten zu wenden. Und diese Chance müssen wir ergreifen.
Das heißt, die „Zukunft“ im Titel des Buches ist mehr Ihr Wunsch als Ihre feste Überzeugung?
Nein, ich bin überzeugt, dass es auf die Lösungen hinaus laufen wird, die ich beschreibe. Das sind bewusst keine Utopien, sondern „Beispiele des Gelingens“, die nicht nur in einer kleinen Nische funktionieren. Diese Beispiele sind auf die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft übertragbar, ohne dass es zu großen Einbrüchen, Wohlstandsverlusten oder überhöhten Kosten kommt. Was ich beschreibe, ist das Stück Zukunft, das in unsere Gegenwart reicht.
Wenn der Wandel schon heute machbar ist, wer oder was bremst uns noch? Warum ist das Buch ein Bericht aus der Zukunft und nicht aus der Gegenwart?
Uns halten politische Beharrungskräfte und Besitzstandswahrung auf. Eine nachhaltige Zukunft hat andere wirtschaftliche Player als die heutige. Gerade die fossilen Energiekonzerne haben viel zu verlieren. Ihr Wert, soweit er auf Öl-, Gas- und Kohlevorkommen beruht, verfällt – da gibt es kaum einen Ausweg. Daneben gibt es, gerade in Deutschland, Ingenieursbetriebe, Maschinenbauer, Autobauer, alle Arten von Denk- und Softwareschmieden. Die können Teil der Veränderung werden, für die bringt der Wandel auch wirtschaftliche Chancen. Aber jeder Wandel macht Angst, auch bei den Maschinenbauern und Co. gibt es Kräfte, die lieber alles so lassen wollen, wie es ist. Und dann gibt es heute schon die Gewinner dieser Veränderung, die Branche der Erneuerbaren Energien und all die Unternehmen, die sich an ein nachhaltig denkendes Publikum wenden, bis hinunter zum Bio-Bäcker oder zum Produzenten für nachhaltige Kleidung. Aber die fossilen Energiekonzerne und ihre geistigen Anhänger in Politik und Gesellschaft haben Milliarden zu verlieren. Deren Lobby tut alles, um zu bremsen.
Sie sprechen in Ihrem Buch von Wachstumsoptimisten und Wachstumspessimisten. Wer ist damit gemeint?
Das sind die beiden Seiten einer ideologisch aufgeheizten Debatte zwischen Leuten, die dasselbe Ziel haben: eine nachhaltige Zukunft; die sich aber über den Weg streiten. Ein Bruderzwist. Die einen wollen Wachstum weiter zulassen, die anderen glauben, dass der nötige Wandel zur Nachhaltigkeit nur mit Verzicht und einem negativen Wachstum zu machen ist. Ich finde diese Debatte unheimlich banal, soweit sie sich nur auf eine Rechengröße der Ökonomie bezieht. Und diese Debatte verbraucht unnötig Energie: Wir können bei unseren Zukunftsentwürfen nur von dem ausgehen, was heute schon in Ansätzen da ist, was wir gedanklich fortschreiben können. Da helfen uns Grundsatzdebatten zwischen Suffizienzanhängern und Effizienzanhängern nicht weiter. Das Buch weist über die aus meiner Sicht überkommene Wachstumsdebatte – auch innerhalb der Grünen – hinaus. Darf ich das noch in ein Bild kleiden?
Bitte.
Drei Leute stehen um ein kaputtes Rad herum. Die Reparatur ist schwierig, es fehlt an Spezialwerkzeug. Der eine sagt sofort: „Das schaffen wir“, und beruft sich ganz generell auf den Erfindungsreichtum der Gattung Mensch. Der andere sagt: „Das schaffen wir nie“. Und lamentiert über die Verhältnisse, die uns zwingen, Spezialwerkzeuge zu kaufen. Während der dritte schweigend beginnt, an dem Rad herumzubasteln, wird der Diskurs der beiden anderen immer lauter, grundsätzlicher, öffentlicher. Bald bekommen beide Professuren, haben ihre Fans und bekriegen sich von ihren Lehrstühlen aus. Alles was sie sagen, ist unheimlich klug. Sie sind so verliebt in ihren Diskurs, dass sie nie erfahren haben, ob und wie der stille Typ das Rad am Ende repariert hat.
Auch wenn die Debatte überholt ist, würden Sie sich trotzdem eher auf der Seite der Effizienz-Befürworter verorten?
In die Kiste würde man mich wohl erst mal stecken. Dabei würde ich nie behaupten, dass der Weg der Effizienz ein Selbstläufer ist oder dass er ganz ohne Wertewandel funktioniert. Das sind nicht nur technische, sondern auch politische Fragen, die am Ende entscheidend sind. Man kann aber schon heute zeigen, dass der Effizienz-Pfad funktionieren kann und dass wir keinen neuen Menschen voraussetzen müssen, um die Herausforderungen zu meistern. Aber: Bestimmte Exzesse des Konsums müssen wir schon ausschließen. Der berühmte SUV, also ein Auto, das im innerstädtischen Verkehr 25 Liter Benzin verbraucht, ist natürlich nicht mit einer Nachhaltigkeitsstrategie zu vereinen. Jeder denkende Mensch außerhalb der Suffizienz-Effizienz-Wagenburgen wird doch sagen: Wir brauchen beides.
Wir brauchen auf der einen Seite eine Effizienzrevolution – Tauschen und Teilen ist ein Teil davon; und wir müssen die Exzesse der Verschwendung eingrenzen. Unter falschen politischen Rahmenbedingungen setzen sich die Effizienz-Techniken nicht durch. Aber unter den nötigen Beschränkungen, wird kein Mensch leiden – oder glauben Sie, dass Ihr Leben ohne SUV nichts mehr Wert ist? Auch die Suffizienz-Seite dieser Debatte will nicht, dass wir alle zurück in die Höhlen der Steinzeit kriechen. Sie plädiert eher für einen asketisch-calvinistischen Lebensstil, also im Sinne einer gewissen Mäßigung. Das ist in eine grundsätzlich ethische, beinahe religiös geprägte Haltung gegen Verschwendung, die ich für mich persönlich teile. Man muss die Sinnhaftigkeit in ökologischen Fragen aber einzeln überprüfen. Wir hatten in Deutschland eine lange Debatte darüber, dass man Wasser sparen muss. Das ist natürlich nur sinnvoll, wenn wir eine Wasserknappheit haben. Wenn man einen Überfluss an Wasser hat, bringt Wasser-Askese uns einer ökologischen Lösung nicht näher. Aber ich schrecke viele Leute ab, weil sie glauben, sie dürften nicht mehr duschen.
Wenn nur einige wenige von uns Enthaltungen hinnehmen müssen, kann ich mich dann beruhigt zurücklehnen und darauf warten, dass technische Innovationen die Welt retten?
Wenn Sie es für sich dauerhaft und zufrieden schaffen, wie ein „Öko-Priester“ zu leben, dann ist das auch okay. Die meisten Menschen werden aber immer Öko-Laien bleiben und nur zu einem gewissen, punktuellen Verzicht bereit sein. Und das Buch zeigt, dass ein Totalverzicht nicht notwendig ist. Sie sollten aber als politischer Mensch und Wähler die Seite unterstützen, die das Ganze in die richtige Bahn lenkt. Denn wir brauchen beides: Die Bereitschaft des Einzelnen, nicht exzessiv zu konsumieren. Und die Unterstützung der Politik, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.
Machen wir es uns damit nicht zu einfach: Grün wählen und mit dem Fahrrad ins Büro fahren, und alles
wird sich zum Besseren wenden?
Die zwei großen Ziele zurzeit sind CO2-Verminderung und sparsamerer Umgang mit Ressourcen. Und alle Studien der letzten Jahre zeigen, dass diese Ziele mit den heute verfügbaren technischen Mitteln erreichbar sind, ohne dass wir auf viel Komfort verzichten müssen. Wenn wir die Exzesse im Konsum ausschließen, können wir einen Lebensstandard halten, den wir nicht als Verzicht empfinden. Wir wären auf einem guten Weg, wenn wir die richtigen politischen Rahmenbedingungen schaffen und die richtigen Technologien fördern.
Ohne einen grundsätzlichen Wandel unseres Wirtschaftssystems?
Das kapitalistische System ist ja auf eine sympathische Art dumm, das kann sich jeder zum Sklaven machen. Da geht es immer nur um Profitmaximierung, und zwar innerhalb der Rahmenbedingungen. Wenn ich die Rahmenbedingungen so setze, dass der Verbrauch von Ressourcen nicht mehr zur Gewinnsteigerung der Unternehmen führt, dann kann dieses dumme und blinde System in Richtung Klimaschutz, Ressourcensparen und Lebenszufriedenheit steuern. Das ist doch praktisch. Die totalitären Systeme früher in Russland, heute in China, haben der Umwelt jedenfalls mehr geschadet als die marktwirtschaftlichen Demokratien.
Ihren Optimismus nehmen Sie vor allem aus positiven Beispielen in Deutschland. Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch sind aber weltweite Probleme. Aufstrebende Länder wie China, Indien oder Brasilien fangen erst an, sich unserem Wohlstand anzugleichen, was mit mehr Verbrauch und mehr Emissionen einhergeht. Kann der grüne Wandel diese Entwicklung überholen?
Gerade in einem Industrieland wie Deutschland ist es notwendig zu zeigen, dass man auch mit Null-CO2-Verbrauch und sinkendem Verbrauch von Ressourcen in Wohlstand leben kann. Hier gibt es alle sozialen und technischen Voraussetzungen um zu zeigen, dass das möglich ist. Die Deutschen stellen nur ein Prozent der Weltbevölkerung. Der einzige Einfluss, den wir auf die Welt haben, ist, ein Vorbild zu sein. Wenn wir den Menschen die Angst nehmen vor der Veränderung, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auch um Umwelt und Nachhaltigkeit kümmern. Was wir in Deutschland machen, ist nur unter der Maßgabe relevant, dass es Außenwirkung entfaltet.
Warum sollten gerade wir Deutschen ein solches Vorbild sein, dass ein Brasilianer lieber Carsharing nutzt, wenn er sich endlich ein eigenes Auto leisten kann?
Deutschland ist weltweit ein Vorbild. Wenn diese Autonation für sich entdeckt, dass ein geteiltes Auto eher ein Komfortgewinn als ein Verzicht ist, dann spricht sich das rum. Und die Brasilianer, Chinesen oder Russen sind ja ethisch nicht rückständig: Sie lieben ihre Kinder nicht weniger als wir und wollen, dass diese Kinder eine Zukunft haben. Doch damit dieses Bewusstsein wirkungsmächtig wird, muss man auch Freiräume haben. Erst wenn man nicht mehr den ganzen Tag und bis zur Erschöpfung arbeitet, erst wenn man sich bilden kann und Freiräume entwickelt, kann man auch Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
Es ist also ein Luxus, sich über die Zukunft der Erde Gedanken zu machen, den man erst erreicht, wenn man über die nötige soziale Sicherheit verfügt. Glauben Sie wirklich, dass sich die Mehrheit der Menschen diesen Luxus in naher Zukunft leisten kann?
Sie stellen jetzt eine Frage der Art: „Herr Franken, wie geht die Geschichte aus?“ Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Und jeder, der ehrlich ist und sich nicht als Guru gebärdet, wird antworten: Alles über zehn Jahre hinaus kann ich nicht voraussagen. Man kann zwar als Forscher viel Geld mit solchen Szenarien verdienen, aber eigentlich weiß man darüber wenig. Ich würde mich immer an meine „Beispiele des Gelingens“ halten: In Indien gab es schon immer eine starke Umweltbewegung, und kein anderes Land investiert so viel in Erneuerbare Energien wie China. Die Regierung dort hat zuletzt ihren Wachstumskurs kritisiert und beschlossen, mehr für den Umweltschutz zu tun. Das sind Ansätze. Ob sie umgesetzt werden, kann Ihnen niemand ehrlich beantworten. Aber wir können dabei helfen, indem wir den Menschen in China die Angst nehmen, Umweltschutz würde für sie Verzicht auf den Wohlstand bedeuten, den wir ihnen in Europa vorleben.
Herr Franken, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Marcus Franken, Jahrgang 1968, hat in Berlin Umwelttechnik studiert, ist dann in den Journalismus gewechselt und hat für Titel wie Zeit, Spiegel, Geo und Fachmagazine wie neue energie und die VDI nachrichten gearbeitet – meist zu Umweltthemen. Er leitet heute das Magazin zeo2, das Umweltmagazin der taz.
Das Gespräch führte Nikolas Linck.
Bericht aus der Zukunft
Wie der grüne Wandel funktioniert
oekom Verlag, München 2013, 288 Seiten, viele farbige Abbildungen
Preis: € 24,95, ISBN 978-3-86581-416-6
Zu bestellen unter: www.boell.de