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Eröffnung der Konferenz „Baustelle Demokratie“

Diese Konferenz ist eine Kooperation mit dem Deutschen Theater und unseren Medienpartnern taz, Freitag und Zitty, bei denen ich mich herzlich bedanken möchte. Das gilt auch für die zahlreichen Aktivisten und Expertinnen, die gemeinsamen mit  Kollegen der hbs die Workshops am Samstag mitgestalten werden.

Weshalb „Baustelle Demokratie“?  1989/90 hegten viele die freudige Illusion, dass mit der friedlichen Revolution in MOE ein neues Zeitalter der Demokratie begonnen habe. Francis Fukushima verkündete seine These vom „Ende der Geschichte“, dem Siegeszug von liberaler Demokratie & Marktwirtschaft als konkurrenzloses Modell. Inzwischen sehen wir mit einiger Ernüchterung, dass diese Prognose mitnichten eingetroffen ist.

In Osteuropa sind wir mit neo-autoritären Systemen in Russland und Weißrussland konfrontiert. Auch innerhalb der EU stehen die Dinge nicht zum Besten: wir sehen besorgniserregende Entwicklungen in Ungarn und eine schwelende Krise der Institutionen vor allem in den Ländern, die von der Wucht der Finanz- und Wirtschaftskrise erschüttert werden.

Schwellenländer wie China und der Iran sind Bastionen repressiver Herrschaft, die offensiv für ihr Modell werben. Der demokratische Aufbruch in der arabischen Welt hat schwere Rückschläge erlitten. Syrien ist zum Schlachthaus geworden, in dem der arabische Frühling in Blut zu ersticken droht. Dennoch ist der rebellische Geist der Demokratie nicht dauerhaft zu bändigen, wie wir gerade in der Türkei erleben.

Auch in unserem eigenen Land ist die Demokratiefrage zurück auf der Tagesordnung:

Vor allem, und das ist erfreulich, haben wir es mit einem wachsenden Anspruch auf politische Teilhabe zu tun. Stuttgart 21 war da nur die Spitze eines Eisbergs. Allerorten geht es um Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in die öffentlichen Angelegenheiten auch jenseits von Wahlen.

Entscheidungen werden nicht mehr allein deshalb als legitim akzeptiert, weil sie von demokratisch legitimierten Körperschaften  getroffen wurden. Transparenz und Beteiligung sind Erwartungen, die von Parlamenten und Regierungen nicht länger ignoriert werden können.

Die neuen Medien – das Internet – verstärken diesen Anspruch und verschaffen ihm zugleich einen neuen öffentlichen Raum – allerdings einen, der stark zerklüftet ist in alle möglichen Interessengruppen und Gesinnungsgemeinschaften. Oft geht es eher um wechselseitige Bestätigung als um einen offenen Diskurs. Und oft genug werden Meinungsäußerungen im Netz zum Surrogat für politisches Engagement, das auf Veränderungen in der analogen Welt zielt. Dass auch im Netz der Konflikt zwischen Informations- und Meinungsfreiheit und staatlicher Überwachung tobt, wissen wir nicht erst seit den jüngsten Enthüllungen über groß angelegte Datenschnüffelei amerikanischer Geheimdienste.

Was als „Politikverdrossenheit“ bezeichnet wird, wäre präziser als „Parteienverdrossenheit“ zu benennen.  Die Parteien verlieren an Achtung und Zutrauen. Die Wahlbeteiligung sinkt. Das berührt den Kern der parlamentarischen Demokratie: die Entscheidung über politische Handlungsalternativen mittels Wahlen. Wenn Politik als „alternativlose“ Sachzwangverwaltung kommuniziert wird, wie das die Kanzlerin mit Vorliebe tut, erodiert der Sinn von Wahlen.

Gleichzeitig wächst die Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit der repräsentativen Demokratie. Sie macht sich v.a. fest an der Vermutung, dass Parlamente und Regierungen weitgehend ohnmächtig seien gegenüber einer globalisierten Ökonomie: Primat der Märkte statt Primat der Politik. Die Serie der Finanzkrisen der letzten Jahre hat diese Lesart noch bestärkt.

Ein weiterer Aspekt ist die Sorge um einen Verlust demokratischer Mitbestimmungschancen im Zuge der europäischen Integration: Souveränität wandert aus den Nationalstaaten in die europäischen Institutionen, v.a. in die Hände des europäischen Rats. Auch die EZB ist inzwischen nolens volens zu einem finanzpolitischen Akteur geworden, dessen Entscheidungen tief in das Budgetrecht der nationalen Parlamente hinein reichen. Wie weit diese Verlagerung von Entscheidungsmacht durch die weitere Aufwertung des europäischen Parlaments zu kompensieren ist, bleibt eine kontroverse Frage. 

Unsere  Tagung schlägt einen großen Bogen - und erfasst doch lange nicht alle Themen, die relevant und lohnend zu thematisieren wären – ich nenne nur die Frage der Wirtschaftsdemokratie oder die Debatte um das Verhältnis von Ökologie und Demokratie. Die Hoffnung, die etwa Jorgen Randers, einer der langjährigen Vordenker der ökologischen Bewegung, für das „chinesische Modell“ hegt, trifft sich mit der Bewunderung, die man auch in Wirtschaftskreisen für ein System hört, das keine großen Rücksichten auf die Zivilgesellschaft nehmen muss. Der eine sympathisiert mit der Idee eines wohlwollenden Diktators, der die Wende zum Weniger erzwingt, die anderen hadern mit der wachsenden Schwierigkeit, Großprojekt wie Stuttgart 21 oder den Berliner Regionalflughafen umzusetzen.

Für uns ist die demokratische Republik ein Wert an sich. Sie ist die Art und Weise, in der sich politische Selbstbestimmung und Freiheit artikulieren. Demokratisches Engagement zu stärken ist eine grundlegende Mission der politischen Stiftungen.
  
Demokratie ist eine Großbaustelle, die nie abgeschlossen sein wird, ein Projekt, das immer im Fluss bleibt. Sie verändert sich mit der gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen Wirklichkeit, und sie muss sich wandeln, um lebendig zu bleiben. Für die Demokratie gilt auf gewisse Weise, was Bernstein über den Sozialismus gesagt hat: der Weg ist das Ziel. Sie entsteht in der demokratischen Praxis selbst.

Zu guter Letzt möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen danken, die zu dieser Tagung beigetragen haben, insbesondere unserem Programmteam Demokratie. Namentlich nennen möchte ich unsere Referentin Anne Ulrich, Monika Steins und Andrea Mesch sowie Peter Siller, den Leiter unserer Inlandsabteilung. Nicht zu vergessen das Tagungsbüro der Stiftung, das für Technik, Organisation und unser leibliches Wohl verantwortlich zeichnet.

Ich schließe mit einem Zitat unserer heutigen Key Note-Speakerin Carolin Emcke:  
"Demokratie ist kein Ort, sie lässt sich nicht bereisen wie eine Insel in den Tropen, sie ist nicht statisch, ein Ort des Übergangs, nicht des Bleibens (...), und vielleicht erklärt das, warum die Demokratie einem wenig heimisch erscheint, wenn sie nur als abstrakte Institution gedacht wird und nicht auch als ein Netz aus Begegnungen und Gesprächen, aus dem, was erzählt und was erfunden wird, aus dem, was gezeigt und was verborgen wird (...). Eine Demokratie besteht aus all diesen (..) Praktiken und Überzeugungen, die sich nur verstehen lassen, wenn man im Modus des Suchenden bleibt"

Schön gesagt. Damit darf ich das Wort an die Verfasserin übergeben: Carolin Emcke, Philosophin und Publizistin, preisgekrönt für ihre Berichterstattung von vielen Brennpunkten der Weltpolitik. Seit 2009 moderiert sie die Debatten im "Streitraum" -  eine Veranstaltung der Schaubühne am Lehniner Platz und der Bundeszentrale für politische Bildung. Im ZEIT-Magazin reflektiert sie fortlaufend den deutschen Politikbetrieb. Und ganz nebenbei ist sie auch Mitglied der MV der Heinrich-Böll-Stiftung.

Liebe Carolin, wir freuen uns auf Deine Überlegungen. 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 
 
 

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.