Zusammenfassung
In einer Landgemeinde der Provinz Kratie trafen sich Frauen, die mehr Gleichberechtigung wollten, und dazu versuchten sie den Frauen in ihren Gemeinden neue Rollen, neue Möglichkeiten zu eröffnen. Entstanden ist so ein Netzwerk, das das Selbstvertrauen und die Befähigungen von Frauen stärkt. Gemeinsam gelang es den Frauen hier, überkommene Rollen abzuschütteln und auf neue Art öffentlich und gesellschaftlich aktiv zu werden.
Mit Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen (NROs), und indem sie sich die seit den Kommunalwahlen von 2002 erfolgte Dezentralisierung zunutze machten, bei der Verantwortung an LokalpolitikerInnen übertragen wurden, gelang es diesen Frauen, in kommunale Führungspositionen aufzusteigen. Schließlich, bei den Kommunalwahlen von 2007, wurde eine Frau zur Gemeindevorsteherin gewählt. Nach Aussagen der Frauen haben sich hierdurch in den Gemeinden die Einstellungen zur Rolle der Frau und zum Verhältnis der Geschlechter gewandelt, und dies hat dazu geführt, dass häusliche Gewalt – vielerorts in den Familien traurige Realität – deutlich zurückgegangen ist.
Dieses Praxisbeispiel zeigt, mit welchen Ansätzen es Frauen gelingen kann, in der Politik und in ihren Gemeinden eine aktive Rolle zu spielen und sich dabei für die Gleichberechtigung der Geschlechter stark zu machen. Aus diesem Grund führt die Heinrich-Böll-Stiftung seit 2008 eine Gesprächs- und Forschungsinitiative durch, in deren Rahmen versucht wird, von den Versuchen und Erfolgen dieser Frauen und ihrer Gemeinden zu lernen.
Zuallererst soll in dieser Untersuchung auf die Frage eingegangen werden, wie es den Frauen gelingen konnte, in ihren Gemeinden und in der Lokalpolitik Einfluss zu gewinnen. Den Aussagen der Frauen zufolge, begann alles damit, dass sie ein Netzwerk von Freiwilligen aufbauten, welches Frauen dabei half, an medizinische Versorgung und Aufklärung zu kommen. Vor allem ging es darum, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der Frauen zu stärken und das Gefühl, unzulänglich und unfähig zu sein – eine Folge der Benachteiligung – abzubauen. Frauen wurden ermutigt, neue Aufgaben zu übernehmen, beispielsweise in Fischereiausschüssen, bei der Verwaltung der Reisreserven oder in Entwicklungsprojekten. Die anfängliche Gruppe erreichte bald schon die kritische Masse von um die 20 Frauen, die sich alle in verschiedenen Bereichen ihrer Gemeinden engagierten.
Das persönliche Engagement der Frauen trug erheblich dazu bei, dass es ihnen gelang, eine Führungsrolle zu übernehmen, es machte aber auch Änderungen im privaten Bereich nötig. Es brauchte Geduld und Geschick, die Ehemänner dahin zu bringen, die neue führende Rolle ihrer Frauen zu akzeptieren. Belohnt wurden dies durch das Ansehen, welches sie unter den Frauen ihrer Gemeinde gewannen. Sie sind zu Vorbildern geworden und haben bewiesen, dass sich Verhältnisse ändern lassen und Frauen wie Männer ihre Rollen neu aushandeln und zufrieden und harmonisch miteinander leben können.
Während die Frauen sich diese leitenden Positionen erarbeiteten, mussten sie sich mit Krisen auseinandersetzen, speziell dort, wo Ressourcen der Gemeinde wie Waldland und Wasserquellen in Gefahr waren. Den Frauen gelang es dabei, die DorfbewohnerInnen anzuspornen, für ihre Rechte zu kämpfen. Sie wurden so zu glaubwürdigen und verantwortlichen Führerinnen ihrer Gemeinden, da sie zum Wohle der Gemeinschaft die Initiative ergriffen und Risiken eingingen. Bemerkswert ist auch, dass diese Frauen teils unterschiedlichen politischen Lagern angehören, diese Vielfalt jedoch nicht zu Spaltungen oder Spannungen geführt hat. Die Frauen waren in der Lage, politische Meinungsverschiedenheiten hinten anzustellen und zusammenzuarbeiten.
Ein zweiter Aspekt unserer Untersuchung war die Frage, wie es den Frauen gelang, sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen – und speziell auch gegen die in Kambodscha weit verbreitete häusliche Gewalt vorzugehen. Die Frauengruppen gingen diese Fragen unterschiedlich an. Einerseits haben sie Frauen dazu ermutigt, Gewalt anzuzeigen und die Hilfe der Gerichte zu suchen – und nicht wie bisher Gewalt still zu erdulden und dies als Teil ihrer Rolle als Hausfrau zu begreifen. Opfer häuslicher Gewalt in den jeweiligen Gemeinden machten die Erfahrung, dass jene Frauen, die leitende Positionen übernommen hatten, einfühlsam und genau zuhörten, wenn sie von ihren Problemen berichteten, und dass sie, eher als ihre männlichen Kollegen, dazu bereit waren, mit ihnen nach Lösungen zu suchen. Das Frauennetzwerk sowie Frauen, die innerhalb ihrer Gemeinden unterschiedliche Rollen ausfüllen, sorgten für Bildungsangebote über Frauenrechte und standen bei schwierigen Fällen mit Rat und Tat zur Seite. Am wichtigsten war jedoch, dass sie häusliche Gewalt vom rechtlichen Blickwinkel aus angingen, das heißt als ernsten Gesetzesverstoß, und den Tätern gegenüber keine Nachsicht zeigten. Sie bewegten die Polizei dazu, ihre Pflicht zu tun und, wo erforderlich und angemessen, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, Verhaftung inklusive.
Die in dieser Fallstudie vorgestellten Frauen in Führungspositionen sind nach wie vor Vorbilder für die Menschen in ihren Gemeinden, und die Menschen dort schätzen ihre Arbeit, schätzen, dass sie penibel und verantwortungsbewusst handeln. Viele Menschen in den jeweiligen Gemeinden sprachen über die Veränderungen innerhalb der Familien und bei den Ehemännern der Frauen, die leitende Positionen übernommen hatten – davon, dass diese Männer bereit waren, sich an Hausarbeiten wie Kochen und Waschen zu beteiligen, damit ihre Frauen reisen und politischen Aufgaben erfüllen können. Derartige Veränderungen regen andere dazu an, Ähnliches zu tun, und auch unter Männern stoßen solche neuen Geschlechterrollen auf ein gewisses Interesse.
Die häusliche Gewalt hat abgenommen, und vielerorts merken die Frauen, dass die Behörden auf ihre Beschwerden reagieren und diesen nachgehen. Von einigen Frauen hingegen war zu hören, dass sich nichts grundlegend geändert habe und es in einigen Familien nach wie vor häufig zu Gewalt komme. Bei weiteren Gesprächen zeigte sich aber, dass die Zahl der Fälle deutlich zurückgegangen ist. Eine Gemeindevorsteherin erzählte, zu Beginn ihrer Amtszeit habe das Telefon Nacht für Nacht kaum stillgestanden, und fast täglich habe sie sich mit Fällen häuslicher Gewalt auseinandersetzen müssen. Die aktuell verbliebenen Fälle seien vielschichtiger und tiefer verwurzelt, und dies beeinflusse die Art, in der das Problem wahrgenommen werde. Die Studie hat zudem gezeigt, dass Alkoholismus bei Männern – ein häufig uneingestandenes Problem – zunimmt und in Zusammenhang steht mit Gewalt gegen Frauen.
Es zeigte sich auch, was sich während den Jahren unserer Untersuchung geändert hat. In den Gesprächen wollten die Frauen häufig nicht so sehr über ihre Führungsrolle und lieber über alltägliche Probleme wie Landmangel, fehlende Arbeit und den Zerfall von Familien sprechen. Noch 2008 war in den Gemeinden von Problemen der Landnutzung fast nichts zu hören gewesen; 2011 jedoch war dies zu einem erheblichen Problem geworden. Seit 2008 sind die Landpreise gestiegen, und viele Familien haben ihr Land verkauft und leben nun als Landarbeiter. Durch Pachtverträge ist zudem der Zugang zu Waldland, das DorfbewohnerInnen vormals als Nahrungsquelle diente, eingeschränkt. Die Frage des Landbesitzes scheint ausgesprochen verwickelt und nur die mächtigsten Personen in der Lage, ihre Interessen zu schützen.
Binnenmigration und Auswanderung haben deutlich zugenommen, nicht zuletzt, da Berichte in den Medien junge Frauen häufig dazu bringen, als Hausangestellte oder Fabrikarbeiterin nach Malaysia oder Südkorea zu gehen. Verstärkt wird dies durch den Eindruck, die Firmen, welche die Auswanderung vermitteln, würden von der Regierung unterstützt, und es handele sich um einen sicheren und simplen Weg, an Geld zu kommen. Von den Probleme der jungen Frauen, ihrer Einsamkeit und dem fehlenden rechtlichen Schutz, ist hingegen nicht viel zu hören.
In Kambodscha sind zwar die Zuständigkeiten kommunaler Verwaltungen erweitert worden, die Verantwortlichen vor Ort haben jedoch keinen Einfluss auf die regionale Entwicklungspolitik. Bei Krisen stehen Kommunalpolitikerinnen oft mit leeren Händen da, und sie können bestenfalls bei kleineren Infraktrukturprojekten mitreden. Zudem hat das Programm zum Gender-Mainstreaming, das mit der Dezentralisierung einhergeht, mittlerweile an Schwung gewonnen, wodurch sich der Umgang mit Genderfragen deutlich verändert hat: Statt eines Bewusstseins geschlechtsspezifischer Diskriminierung sowie der Notwendigkeit, Frauen Selbstvertrauen und Selbstachtung zu geben, herrscht heute die Sicht vor, Genderfragen seien „Frauen- und Kinderangelegenheiten“. Dieser Diskurs, den die offiziell mit Gender-Mainstreaming befassten Einrichtungen verbreiten, erreicht über Workshops usw. auch die Frauen in den Kommunen, und dort werden solche Sichtweisen wiederholt, ohne dass die geschlechtsspezifische Benachteiligung und ihre Folgen weiter untersucht oder bekämpft würden.
Schwerwiegender noch ist, dass NROs nichts tun, um diese Entwicklung zu stoppen, und dass sie den Frauen vor Ort nicht länger jene Anregungen und Werkzeuge vermitteln, die diese benötigen, um solche neuen Entwicklungen zu untersuchen und in Frage zu stellen. Es scheint als hätten sich die NROs in Genderfragen davon verabschiedet, neue, fortschrittliche Ansätze zu vertreten – als seien sie eingeknickt vor dem institutionellen Gender-Mainstreaming.
Die Erfahrungen in den konkreten Gemeinden zeigen, es ist möglich, die Teilhabe von Frauen am gesellschaftlichen Leben und an Entscheidungen deutlich zu verbessern. Dazu müssen Frauen mobilisiert, Netzwerke aufgebaut, Selbstvertrauen hergestellt und Diskriminierung bewusst gemacht werden. Auch zeigt sich, dass es hierzu Frauen braucht, die beispielhaft und umsichtig handeln. Die Rollen der Geschlechter müssen persönlich, gesellschaftlich, kulturell und politisch weiterentwickelt werden. Die Frauen, um die es in dieser Studie geht, hatten Erfolg, weil sie Vorbilder sind. Um die erreichten Errungenschaften zu sichern, ist es nötig, Ergebnisse beständig zu prüfen und Strategien anzupassen – was nur gelingen kann, wenn die Frauen und Gemeinden vor Ort daran teilhaben. Sollten sich die Frauen, die Führungspositionen übernommen haben, darauf beschränken, dem konservativen Programm zu folgen, das ihnen von Institutionen vorgegeben wird, werden sie dazu nicht länger in der Lage sein – und das politische und gesellschaftliche Kapital, das sie so hart erarbeitet haben, wird wieder verloren gehen.