Welche moralische Relevanz hat die Patientenautonomie im medizinischen Kontext?
In meiner Dissertation setze ich mich mit der moralischen Relevanz der Patientenautonomie im medizinischen Kontext auseinander.
Den Ausgangspunkt meiner Betrachtungen bildet die Tatsache, dass medizinische Behandlungen an einwilligungsfähigen Patienten rechtlich und ethisch als nicht legitimierte Verletzung der körperlichen Integrität gelten, wenn der Patient nicht informiert in sie eingewilligt hat. Der informierten Einwilligung (engl. informed consent) kommt damit die Bedeutung zu, eine verbotene Handlung in eine erlaubte Handlung umzuwandeln. Hier stellt sich zunächst die Frage, wodurch die informierte Einwilligung diese Änderung des normativen Status von Handlungen bewirkt. Ich vertrete die Ansicht, dass die informierte Einwilligung eine medizinische Behandlung dadurch legitimiert, dass sie sicherstellt, dass eine autonome Patientenentscheidung herbeigeführt wurde.
Wenn die informierte Einwilligung dem Ziel dient, eine autonome Patientenentscheidung sicherzustellen, dann muss geklärt werden, wodurch eine solche autonome Entscheidung gekennzeichnet ist. In der Medizinethik gibt es eine Standardantwort auf diese Frage, der zufolge eine Patientenentscheidung dann autonom ist, wenn sie die drei Bedingungen (1) Kompetenz, (2) Informiertheit und (3) Freiwilligkeit erfüllt. Erfüllt eine Patientenentscheidung für eine medizinische Behandlung diese drei Bedingungen, dann gilt sie als autonom und zählt zugleich als informierte Einwilligung.
Ich vertrete hingegen die These, dass diese drei Bedingungen weder alleine hinreichend noch in jedem Fall notwendig für eine autonome Entscheidung sind. Um aufzuzeigen, dass die Bedingungen nicht hinreichend für autonome Entscheidungen sind, setze ich mich vor allem mit philosophie-theoretischen Ansätzen zur personalen Autonomie auseinander. Diese Autonomiekonzeptionen sind wesentlich umfassender als die medizinethische Standardtheorie zu autonomen Entscheidungen. Ich versuche aus
diesen Autonomiekonzeptionen konstitutive Bedingungen und Ermöglichungsbedingungen für autonome Patientenentscheidungen abzuleiten. Konstitutive Bedingungen sind solche, die vornehmlich auf die Fähigkeit der Autonomie verweisen. Ohne jene Autonomiefähigkeit ist eine autonome Entscheidung nicht möglich. Ermöglichungsbedingungen verweisen hingegen nicht direkt auf die Autonomiefähigkeit, sondern dienen vielmehr dazu, diese Fähigkeit abrufen zu können oder anderes gesagt, sie können den Raum für das Abrufen der Autonomiefähigkeit bereiten oder verhindern. Im Anschluss daran untersuche ich, ob es sich bei den drei Bedingungen der medizinethischen Standardtheorie um notwendige Bedingungen für autonome Entscheidungen handelt.
Sollten die drei Bedingungen tatsächlich entweder nicht hinreichend und/oder nicht in jedem Falle notwendig für eine autonome Entscheidung sein, so muss das Instrument der informierten Einwilligung angepasst werden, um tatsächlich eine autonome Entscheidung sicherstellen zu können.
Ich möchte am Ende der Dissertation eine Antwort darauf finden, wie ein ethisch angemessener Umgang mit Patienten aussehen sollte, deren Entscheidung entweder nicht den konstitutiven Bedingungen oder den Ermöglichungsbedingungen oder beiden Bedingungen für eine autonome Entscheidungen genügt.