Prüfungskultur im Spannungsfeld von Zentralabitur und Individualisierung - Zur Konzeption von schriftlichen Prüfungen für den Geographieunterricht
Schulische Leistungserfassung kann der Selektion, Sozialisation, Legitimation, Kontrolle, Prognose, Rückmeldung, Disziplinierung, Lehr- und Lerndiagnose sowie der Lern- und Leistungserziehung dienen. Lernergebnisse können am Ende (summativ) oder während eines Bildungsabschnittes (formativ) erfasst werden. Traditionelle Instrumente der schulischen Leistungserfassung sind schriftliche und mündliche Prüfungen. Dabei finden meist mehrere Bezugsnormen Berücksichtigung. Es ist strittig, ob in der Schulpraxis Leistungen tatsächlich gemessen werden oder ob das Benoten nur formal ein Messen, inhaltlich aber ein Beurteilen darstellt, da den Testgütekriterien im Regelfall nur einge-schränkt genügt wird. Der routinemäßige Einsatz von diagnostischen Tests in der Schulpraxis gilt wegen ihrer Komplexität als nicht praktikabel. Ihre Verwendung zur Indi-vidualdiagnostik und Notengebung wird zudem kritisch gesehen.
Es gibt keinen systematischen Bundesländer übergreifenden Austausch über Zentral-abituraufgaben. Die Zusammenarbeit, die im Auftrag der Kultusministerkonferenz vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen koordiniert wird, etwa indem einheitliche Bildungsstandards formuliert werden und ein gemeinsamer Aufgabenpool für Abi-turaufgaben konzipiert wird, betrifft nur die sog. Kernfächer, zu denen das Fach Geo-graphie nicht gezählt wird.
Auch beim „Zentralabitur“ machen die Prüfungen im Unterricht der Oberstufe den Großteil der Abiturnote aus. Diese Prüfungen müssen vielfältigen Anforderungen genügen, die den Gegenpolen Standardisierung und Individualisierung zugeordnet werden können.
Im Unterricht der Oberstufe wird auf das Abitur hin unterrichtet, an das hohe Anforderungen gestellt werden. Kommen in Unterrichtsfächern in den Abschlussprüfungen zentral gestellte Aufgaben zum Einsatz, gilt es, auf dieses Prüfungsformat vorzubereiten. Gleichzeitig sollen die Schülerinnen und Schüler individuell und leistungsgerecht gefördert werden. Dabei soll allerdings nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern Kompetenzen. Hinzu kommen fächerspezifische Anforderungen. Im Fach Geographie müssen Raumbezug, Raumkonzepte, Problemorientierung, Lernen an außerschulischen Lernorten, Exkursionen, Experimente, Projektarbeit und vieles mehr berücksichtigt werden.
Kann eine an zentralen Prüfungen orientierte Klausur, eben dieses Format imitieren, und das in der im Unterricht kürzeren Prüfungszeit? Sollte nicht ein Projekt mittels Präsentation, eine Exkursion mittels Protokoll, die Studierfähigkeit mittels eigenständiger Recherche (etwa im Rahmen einer Hausarbeit), die Kompetenzen mittels Handlungen abgeprüft werden? Können Schülerinnen und Schülern, die individuell gefördert werden, leistungs-gerechte Prüfungen vorgelegt werden, die den eigenen Kompetenzzuwachs erfassen? Im Rahmen meiner Forschung möchte ich die Handlungsschemata der Lehrerinnen und Lehrern in verschiedenen Bundesländern an verschiedenen Schulformen genauer in den Blick nehmen und untersuchen, wie diese vor dem Hintergrund der vielfältigen Anforderungen und Möglichkeiten Prüfungen konzipieren, kommt ihnen doch – auch in Bundesländern mit „Zentralabitur“ – eine große Bedeutung, auch bezogen auf die Abschlussnote und damit die Hochschulzulassung, zu.
Ausgehend von einer vorbereitenden Längsschnittstudie zu Zentralabituraufgaben im Fach Geographie im Bundesländervergleich und einer Literaturauswertung zum Thema Individualisierung soll eine Bundesländer vergleichende, explorative Interviewstudie die Handlungsschemata von Lehrerinnen und Lehrern bei der Konzeption von schriftlichen Prüfungen im Fach Geographie untersuchen.
Forschungsfragen:
- 1. Wie sind zentrale, schriftliche Abituraufgaben im Fach Geographie konstruiert?
- 2. Wie konzipieren Lehrer*innen Geographieklausuren für den Unterricht?
- 3. Welche Bedeutung messen Lehrer*innen zentralen Abiturprüfungen und individualisiertem/offenem Unterricht auf das eigene Prüfen bei?
- 4. Wenn es ein Spannungsfeld zwischen zentralen Abiturprüfungen und individualisiertem/offenem Unterricht gibt, welche Handlungsstrategien entwickeln Lehrer*innen für das eigene Prüfen im Unterricht.