Martin Sommerfeld, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Lesedauer: 3 Minuten

Staatensouveränität und Ius cogens

Zwingendes Völkerrecht (ius cogens) und Staatensouveränität – kaum ein Begriffspaar beschäftigt die neuzeitliche und moderne Völkerrechtstheorie so intensiv und steht dabei zugleich für scheinbar fundamental divergierende Erwartungen an das Völkerrecht.
Das Konzept der Staatensouveränität wird dabei nicht erst seit Hobbes und Hegel, mit der Erwartung nationaler Autonomie und Selbstbestimmung assoziiert. Nach dem, auf Hegel und Hobbes aufbauenden, Konzept des Staatsvoluntarismus ist es allein der „Wille“ des „dinglich“ verstandenen, verkörperten Staates der das Völkerrecht schuf und noch heute bleibt die Konstruktion des Völkerrechts ohne Referenz auf den Staatswillen diffizil.

Das Konzept des (völkerrechtlichen) Ius cogens steht hingegen in engem Zusammenhang mit der Debatte um die „Existenz“ einer internationalen Gemeinschaft. Zunehmend wird es dabei als „formelles Verfassungsrecht“ der Internationalen Gemeinschaft verstanden. Gleichwohl ist dabei weder das Konzept der „Internationalen Gemeinschaft“ noch des „Ius cogens“ formell definiert oder materiell greifbar. Jenseits von beliebig anmutenden, akademischen „Wunschlisten“ besteht erstens keine Einigkeit darüber, welche Normen völkerrechtlich absolut zwingende Wirkung entfalten. Zweitens existiert große Unsicherheit, welche Rechtsakte von einer etwaigen Rechtsfolge des ius cogens erfasst werden und wie diese Normen dogmatisch verankert werden können. Drittens erscheint bis heute offen, wie diese Normen, insbesondere mit Blick auf den Staatsvoluntarismus, gesetzt werden – sind die Staaten doch zugleich Normgeber und Normadressaten (Normparadoxon). Es verwundert insofern kaum, dass in der Literatur fortwährend auch Stimmen anzutreffen sind, die das Konzept des ius cogens auf ein System des Naturrechts rückführen wollen.

Die vorliegende Arbeit versucht, die Konzepte des ius cogens und der Staatensouveräntiät einer vergleichenden, rechthistorischen Analyse zu unterziehen. Mit dieser wird die These untermauert, dass ideen- und rechtsgeschichtlich das Konzept ius cogens, ebenso wie Gedanke der Staatensouveränität, auf das römisch-ciceronische Grundmodell des ius publicum rückführbar ist.

Hinter dem Konzept des ius publicum verbirgt sich dabei nach vorliegend vertretener Ansicht der Gedanke, dass eine die Allgemeinheit betreffende Angelegenheit (res publica) von den betroffenen Gemeinsam unter Einbeziehung aller betroffenen Interessen zum allgemeinen Wohl (utilitas publica) hin geregelt werden muss. Demnach bildet das Konzept des ius publicum insofern das Grundkonzept einer funktionalen Selbstverwaltung durch die jeweils von der Sachmaterie betroffenen.

Dieser Kerngedanke des „Öffentlichen“ wird in einem ersten Schritt auf seine aristotelisch-ciceronischen Wurzeln hin untersucht. Der ciceronisch-aristotelische Rechtsgedanke wird dabei in seiner dichotomischen Struktur zwischen Positivität und Ethik analysiert. In einem zweiten Schritt wird dargestellt, wie sich aus ihm sowohl das Konzept des ius cogens als auch der Staatensouveränität im Hochmittelalter entwickelte. In einem dritten Schritt wird dann untersucht, inwieweit sich dieses rechtshistorische Konzept im modernen Völkerrecht, insbesondere im Zusammenspiel von „Public Interest“ und „Common Good“ wiederfindet und mit Blick auf eine handhabbare Konzeptualisierung des ius Cogens nutzbar ist.

Durch eine umfassende Analyse des antiken Kerngedankens des ius publicum Konzepts soll mithin zum einen die aktuelle Debatte um das ius cogens Konzept rechtshistorisch bereichert werden. Zum anderen soll auf der Grundlage dieser tradierten Ordnungskonzeption eine Verständnismöglichkeit eröffnet werden, die ius cogens und Staatensouveränität nicht mehr als Gegensätze versteht, sondern als Ausprägungen des gleichen rechtshistorischen, funktionalen Ordnungskonzepts.

Zum Warenkorb hinzugefügt: