Anna-Lena Glesinski, Universität Hamburg

Der ecological turn des 21. Jahrhunderts - eine Analyse zeitgenössischer lateinamerikanischer Literaturen

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Ohne die Natur hat der Mensch keinen Raum, in dem er existieren kann, daher muss das menschliche Subjekt immer im direkten Zusammenhang mit ihr gedacht werden. Wie nach dem postcolonial turn die subalternen Subjekte eine Stimme und Präsenz im gesellschaftlichen Diskurs bekamen, muss im Weltverständnis des 21. Jahrhunderts die Artikulation der Natur in den menschlichen Diskurs einbezogen werden.

Wir schauen heute nicht mehr nur auf das Problem des Postkolonialismus oder Neokolonialismus, sondern durch die postkoloniale Linse. Mein Ziel ist es die ökologische Linse zu beschreiben.

Das ökokritische Konzept (engl. ecocriticism) entstand in den 1970er Jahren im angloamerikanischen Raum und weitete sich auf internationaler Ebene aus. Nachdem sich der Diskurs anfänglich auf die inhaltlich-referentielle Analyse fiktionaler narrativer Prosaliteratur beschränkte, fand mithin auch die Analyse poetologischer Aspekte auf der Ebene des narrativen Diskurses Eingang. So können Lebensprozesse und Diskurselemente, die den Text selbst organisieren sichtbar gemacht werden.

Das Promotionsvorhaben widmet sich der Verortung der ökologischen Wende in Gesellschaft, Literatur und Literaturwissenschaft. Ausgehend von Doris Bachmann-Medicks Definition von cultural turns (2006) wird herausgearbeitet wie Schreiben und Sehen in der Beziehung zwischen Mensch und Natur im 21. Jahrhundert funktionieren

In der erzählerischen Vermittlung von Subjektaussagen beispielsweise werden außerliterarische Kommunikationsstrukturen verarbeitet und ein spezifisches Aussagefeld entfaltet. An dieser Stelle knüpft meine Forschung an die Gedanken Hubert Zapf zur Kulturökologie und Literatur (2008) an.

Er betrachtet die Literatur als dekonstruktive und regenerative Kraft innerhalb des größeren Diskurs- und Wissenssystems der Kultur und sieht in ihr ein Sensorium und Reflexionsmedium verdrängter Informationen und Widersprüche, in dem artikuliert und kritisch reflektiert wird, was im jeweils dominanten Zivilisationssystem marginalisiert oder ausgegrenzt ist (vgl. Zapf 2008: 9f.).

Um der Vielfalt der lateinamerikanischen Literatur gerecht zu werden und die ökologische Wende multiperspektivisch analysieren zu können, soll sich die Untersuchung auf Autor*innen mit unterschiedlichem regionalen und kulturellen Hintergrund beziehen. Jeder Text soll diskursanalytisch behandelt werden.

Hierbei werden erzählerische Raumkonzeptionen (z.B. Zwischenraum, Heterotopie, Utopie, Dystopie), Chronotopoi indigener Kosmovision sowie deren Artikulationen (Stimme, multisensorische Wahrnehmung) und geschlechterspezifische Verhältnisse Schwerpunkte der praktischen Analyse sein. Die Werke sollen auf allen Ebenen der Textkonstitution untersucht werden.