Moritz Müller, Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main

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Künstler der Avantgarde als Sammler indigener Kunst

Die Kunst außereuropäischer Gesellschaften hat die Menschen in Europa stets fasziniert. Bevor sie berühmte impressionistische Künstler beeinflusst und den europäischen Normrahmen erweitert hatte, wurden Objekte indigener Völker ab dem 16. Jahrhundert in Wunderkammern als Kuriositäten des unterlegen geglaubten ‚Primitiven’ oder ‚Wilden’ zur Schau gestellt. Künstler begannen ab dem 17. Jahrhundert, vereinzelt zu reisen und ebenjene Gesellschaften selbst zu malen, ohne dabei die europäische Norm zu hinterfragen.

Erst Paul Gaugin, der später selbst indigene Gegenstände sammelte, ging in seiner Wahrnehmung diesen weiteren Schritt und sah in den Objekten der Anderen fremde Kunst. Pablo Picasso und weitere Kubisten wiederum gehörten zu jener Generation, die den „Fremdheitscharakter der primitiven Kunst“ (Franzke 2000: 10) aufgehoben hatten. Ihnen folgten die deutschen Expressionisten Emil Nolde, Max Pechstein und Ernst-Ludwig Kirchner, die gewissermaßen auf den Spuren Gaugins nicht mehr nur Interesse an ‚primitiver’ Kunst, sondern von nun an auch an ‚primitiver’ Lebensweise hatten. Nach afrikanischen Kunstwerken erreichten auch nordamerikanische Objekte diese Bewegung.

Jahrzehnte später hat indigene Kunst die europäischen Künstler/innen noch immer beeinflusst; meist waren die Reisenden besser informiert über die Gesellschaften oder hatten ein spezifisches Interesse an einer Objektgruppe. Außerdem hielten sie sich über längere Zeiträume in den Herkunftsgesellschaften jener Kunstgegenstände auf. Erstmals begannen Künstlerinnen und Künstler der Moderne, auch im großen Stil indigene Kunst zu sammeln und sie zum Vorbild des eigenen Schaffens zu machen.

Der geplanten Dissertation liegt die folgende Leitfrage zugrunde: Wieso sammelten europäische Künstlerinnen und Künstler der Moderne außereuropäische Kunst? Was bewegte sie dazu, vom Künstler zum Sammler zu werden? Des Weiteren wird erforscht werden, welche Affinitäten zwischen den entstehenden Sammlungen der behandelten Künstler und ihrer eigenen künstlerischen Produktion bestehen.

Der Fokus meines Promotionsvorhabens soll auf dem deutschsprachigen Raum liegen, bedarf aber einiger Exkurse in weitere Länder, darunter vor allem zu den einzigartigen Sammlungen Armans (Armand Pierre Fernandez), des französischen Nouveau Realisme-Mitbegründers, und Alfred Barnes’, eines US-amerikanischen Industriellen, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts moderne und außereuropäische Kunst gemeinsam inszeniert und ausgestellt hat. Dieser erweiterte Blickwinkel soll dabei helfen, die öffentliche Wirkung von Sammlungen indigener Kunst darzustellen.

Während Arman in unnachahmlicher Masse Objekte akkumulierte und damit die Begeisterung des Publikums gewann, gelang es Barnes durch seine schier dramatischen Hängungen, sogenannte primitive Kunst Seite an Seite mit moderner europäischer Kunst auszustellen. Diese von ihm Ensembles genannten Wände und Räume waren schon in den 1930er Jahren für Arbeiter/innen und Industrielle öffentlich zugänglich. Bis heute – und insbesondere durch die Neueröffnung der Barnes Foundation in Philadelphia im Jahr 2012 – lehrt diese Inszenierung und gemeinsame Darstellung von Kunst aus allen Epochen und von unterschiedlichen Kulturen eine Form der Weltkunst, die universellen ästhetischen Anforderungen entspricht.