Maike Jung, Humboldt-Universität zu Berlin

Katholizismus im Umbruch. Transregionale Perspektiven auf die Bistümer Trier, Luxemburg, Lüttich und Metz (c. 1830 – 1870)

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Die Zeitspanne zwischen Vormärz und Reichsgründungmarkiert für die katholische Kirche – als Institution wie als Religionsgemeinschaft – eine tiefgreifende Umbruchphase: In der Folge der Französischen Revolution, der anschließenden Säkularisation und der territorialen Veränderungen durch den Wiener Kongress war sie zunächst gezwungen, ihren gesellschaftlichen Standort neu zu definieren, sich aber auch längerfristig angesichts religiöser Pluralisierung und gesellschaftlicher Säkularisierungsschübe zu behaupten sowie das Verhältnis zu ihren Gläubigen zu konsolidieren. Produkt dieser Aushandlungsprozesse war ein grundlegend gewandelter Katholizismus. Dieser zeichnete sich durch eine zentralistische Organisationsstruktur und eine stetig zunehmende ideelle Orientierung an Rom und der Kurie aus, er war gesellschaftlich so massentauglich wie mobilisierungsfähig und nicht zuletzt durch die Zentrumspartei mit einer politischen Stoßrichtung versehen. Das Dissertationsprojekt fokussiert diesen Transformationsprozess und fragt, inwiefern der neue Katholizismus des späten 19. Jahrhunderts nicht nur das Ergebnis innerkonfessioneller Profilierungsbestrebungen und interkonfessionellen Auseinandersetzungen, sondern auch grenzüberschreitender Verflechtungen war. Ein solcher transregionaler Zugriff ermöglicht es, neue Zugänge zu vermeintlichen nationalhistorischen Entwicklungen und Spezifika zu entwickeln, die bislang meist aufgrund eines methodologischen Nationalismus aus endogenen Faktoren heraus erklärt wurden. Die Bistümer Trier, Metz, Lüttich und das apostolische Vikariat Luxemburg konstituieren den Untersuchungsraum, der als institutionell und diskursiv verflochtene Region angenommen wird. Innerhalb dieses transregionalen Raumes dient das Massenphänomen der Marienverehrung als Sonde, um Aspekte der Neuformierung des Katholizismus im Vorfeld der europäischen Kulturkämpfe neu zu perspektivieren. Anhand der wichtigsten zeitgenössischen Marienbruderschaft, der 1836 in Paris gegründeten Bruderschaft des Heiligsten und Unbeflecktesten Herzens Mariä zur Bekehrung der Sünder, wird die Bedeutung der Frömmigkeit für den Prozess der Neuformierung im Spannungsfeld zwischen Universalisierung und Internationalisierung auf der einen sowie Gegentendenzen der Pluralisierung und Partikularisierung auf der anderen Seite analysiert. Die global verbreiteten Herz-Mariä-Bruderschaften mit ihrem standardisierten, hierarchischen Aufbau sowie ihren uniformen Symbolen, v.a. aber ihren Eigenpublikationen, bildeten nicht nur kommunikative und  organisatorische  Knotenpunkte, sondern  sie schufen auch institutionelle Rahmenbedingungen, die es den Gläubigen – insbesondere Frauen – ermöglichten, aktiv am Kult und so der Kirche insgesamt zu partizipieren. Die Organisationsform der Bruderschaften trug also maßgeblich zur Entstehung einer grenzüberschreitenden katholischen "community of sentiment" sowie einer überregionalen katholischen Öffentlichkeit bei. Ob staatliche Regulierungsversuche zusammen mit religiös-konfessionellen Pluralisierungserfahrungen innerhalb dieser gefühlten Gemeinschaft als Bedrohung wahrgenommen oder als solche diskursiv konstruiert wurden und inwiefern durch die grenzüberschreitende Rezeption dieser Erfahrungen ein gemeinsames Minoritätenbewusstsein – vielleicht sogar eine politisierte (Massen)Religiosität – entstand, ist darüber hinaus Gegenstand der Untersuchung