„Wir müssen Strategien entwickeln, um den Leuten begreiflich zu machen, was Populismus ist“

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Julia Bombien

Julia Bombien, 42, sitzt für die SPD im Chemnitzer Stadtrat, ist stellvertretende Vorsitzende der SPD Frauen Chemnitz und erlebt parteiübergreifende Solidarität besonders unter Frauen.

Heinrich-Böll-Stiftung: Wie sind Sie zur Kommunalpolitik gekommen? 

Julia Bombien: Ich bin vor elf oder zwölf Jahren in die SPD eingetreten und vor meiner jetzigen, also meiner zweiten Legislatur, habe ich schon mal kandidiert: 2019 wurde ich gefragt, ob ich mit auf die Liste will, als Zählkandidatin. Das war meine erste Berührung mit der Kommunalpolitik. Dann bin ich bei den SPD-Frauen mit den Themen Gleichstellung und Geschlechter-Gerechtigkeit in Berührung gekommen. Ich wollte dann 2019 auf einen Listenplatz kommen, der es auch möglich macht, in den Chemnitzer Stadtrat einzuziehen, um zu gestalten. 

Was sind Ihre Themen neben der Gleichberechtigung? 

In den letzten fünf Jahren war das vor allem Kulturpolitik. Ich war von 2019 bis 2024 kulturpolitische Sprecherin meiner Fraktion, Mitglied im Kulturausschuss, außerdem im Sozialausschuss, Strategieausschuss und im Aufsichtsrat der Städtischen Theater Chemnitz gGmbH.

Welche Ziele konnten Sie dort erreichen?

Ich bin nur ein Teil vom großen Rad, aber wir haben eine gute Zusammenarbeitet hier und konnten mit der Stadtgesellschaft erreichen, dass Chemnitz in 2025 Kulturhauptstadt Europas wird, dass wir die Kulturförderung stabilisieren konnten, sodass Theater weiter finanziert werden, und dass die Museen am ersten Freitag im Monat keinen Eintritt kosten. Der Haushaltsbeschluss 2023/2024 hat zum Beispiel gezeigt, dass die demokratischen Parteien einen wichtigen Beschluss, wie den Haushalt gemeinsam erarbeiten, aushandeln und beschließen können. 

Was erleben Sie, wie hat sich die Stimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren gegenüber den Menschen in der Kommunalpolitik verändert?

Grundsätzlich gilt, dass kaum oder wenig differenziert wird zwischen Kommunal-, Landes- und Bundespolitik. Es gibt viel Unwissenheit über Strukturen, etwa dass Kommunalpolitik ein Ehrenamt ist. Wir werden als „die da oben“ wahrgenommen, obwohl wir sehr nah an den Leuten sind. Ich beobachte auch einen Egoismus bei vielen Themen. Menschen wollen, dass ihre Straße beleuchtet ist, aber ein Beleuchtungskonzept für alle, wo vielleicht auch Themen wie Geschlechtergerechtigkeit oder sichere Wege eine Rolle spielen, ist ihnen eher egal.

Erleben Sie in Ihrer Arbeit persönliche Anfeindungen?

Nicht direkt, das liegt auch daran, dass ich nicht so bekannt bin, aber im Wahlkampf sind die Gespräche rauer geworden. Einmal saß ich mit Freunden in einer Kneipe und davor waren Jugendliche, eigentlich eher Kinder, etwa 12 oder 13 Jahre alt, und die hatten ein Doppel-Plakat von mir und einem Kollegen heruntergerissen und traten immer mit dem Fuß gegen das Gesicht von meinem Kollegen. Da bin ich dann hingegangen und habe gesagt, dass es mein Plakat sei und ob sie wüssten, dass es Sachbeschädigung ist. Es waren halt wirklich Kinder und die haben gerufen: AfD, AfD. Eine Stunde später kam die Gruppe wieder an uns vorbei, stellte sich provokativ 50 Meter entfernt auf und traten dann immer wieder in mein Gesicht auf dem Plakat.

Gibt es in der SPD Handreichungen, wie man mit aufkommendem Hass oder auch Aggressivität umgehen könnte?

Ja, zum Beispiel über das Herbert-Wehner-Bildungswerk. Die bieten auch Kurse für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker an. Und es gibt Handreichungen von Bundes- und Landes-SPD.

Welche Strategien wenden Sie an – gegen die Rechtsextremen, aber auch Strategien gegen Aggressivität?

Im Moment fragen viele nach Strategien. Aber ich würde sagen, es ist ein bisschen spät. Die Strategie hätten wir bereits in den letzten zwei, drei Jahren haben oder uns stärker damit auseinandersetzen müssen. Etwa für den Umgang mit den Menschen. Ihnen zu vermitteln, dass es eben nie nur um ihre Straße geht, die beleuchtet werden soll. In der Öffentlichkeit schafft es die AfD immer wieder, sich als Opfer zu stilisieren, wenn man ihre Anträge ablehnt. Und die Leute draußen verstehen nicht, warum wir einen Antrag ablehnen, wenn ein Antrag gut ist. Nur weil der von der AfD ist? Wir müssen Strategien entwickeln, um den Leuten wahrscheinlich mit einfacheren Mitteln begreiflich zu machen, was Populismus ist und welche Ziele Rechtsextreme in den Parlamenten verfolgen. Wir gehen dazu als neu gewählte Stadträtinnen und Stadträte der Fraktion in eine Klausur und überlegen auch mit dem Chemnitzer SPD-Parteivorstand, was wir machen können. Denn mit unseren alten Methoden sind wir ja eher gescheitert.

Was würden Sie Kolleginnen und Kollegen raten, die Drohungen ausgesetzt sind?

Es macht Sinn, jede Kleinigkeit anzuzeigen und dem RAA Sachsen zu melden. Das muss man parallel immer weiterverfolgen. Und wir müssen mit den Leuten sprechen, ihnen auch zeigen, wo die Grenzen des sag- und machbaren sind. Ich habe im Wahlkampf zum Beispiel eine Frau gesehen, die hat SPD-Plakate heruntergerissen. Dann bin ich zu ihr gegangen und sie sagte mir, dass dort gestern noch ein AfD-Plakat hing und deswegen habe sie unseres abgerissen, es würde ihr jetzt reichen. Ich entgegnete, dass die AfD noch gar keine Plakate aufgehängt hat. Habe dann den Mitarbeiter der AfD-Stadtratsfraktion angerufen, ihn gebeten ihr zu sagen, ob seine Partei schon plakatiert hat und habe ihr das Telefon weitergereicht. Mit den Leuten reden und nicht weggucken. Im Gespräch bleiben. Jeder hat einen Nachbarn, einen Bruder. Und vielleicht müssen wir uns aus unserer bequemen Komfortzone, unserer Blase auch ein bisschen herausbewegen.

Inwiefern? 

Unsere Prinzipien nicht aufgeben, aber trotzdem weiter sprechen, auch wenn es nicht unsere Meinung ist. Ich rede nicht von rassistischen Äußerungen, sondern von konservativen Meinungen, die ausdiskutiert werden müssen. Man kann auch mal sagen: Okay, ich verstehe dein Ärgernis. Und anschließend die Argumente des Gegenübers widerlegen. Dafür braucht es Argumentationshilfen, die jede demokratische Partei jetzt ihren Mitgliedern an die Hand geben sollte. Die Argumentationshilfen müssen überdacht und überarbeitet werden.

Und gibt es bei Ihnen Vernetzungen innerhalb der Partei, die unterstützend wirken?

Ja, da gibt es einmal die SPD-Frauen, von denen es immer wieder Angebote gibt. Wir vernetzen uns auch mit Frauen anderer Parteien in der Stadt. Es gibt zum Beispiel die Frauen-Initiativen der Stadt Chemnitz, wo man sich sieht, sich über Erlebtes austauschen und sich blitzschnell zusammenschließen kann. Wenn man Gewalt erfahren hat, ist man schon sehr solidarisch. 

Auch fraktionsübergreifend? 

Vielleicht suchen wir Solidarität manchmal eher bei den Grünen und Linken, weil man sich einfach ein bisschen näher ist, wir hatten aber zum Beispiel auch den Fall dieses „Bildungszentrums“ von den Identitären am Stadtrand. Und da hat mich eine CDU-Stadträtin angerufen und mich nach Unterstützung gefragt. Die demokratischen Parteien arbeiten da durchaus zusammen.

Ist das Erstarken von des Rechtsextremismus für Sie ein ostdeutsches Problem?

Ich würde sagen, es ist präsenter bei uns. Aber es gibt ja verschiedene Stadtparlamente in Deutschland, in denen die AfD stark ist. Wir hatten eine Gruppe von SPD-Mitgliedern aus Hannover zu Besuch, die uns im Wahlkampf unterstützt haben. Die waren total begeistert von Chemnitz, weil sie mit SPD-Jacken durch die Stadt gehen konnten und es ist nichts passiert. Das sei in Hannover anders gewesen. Aber das sind ja manchmal auch nur Momentaufnahmen. Die Leute, die hier in der AfD sind, die kommen aus einer extremen Ecke. Wir haben im Stadtrat AfD-Mitglieder, die in den 90er Jahren in der extrem rechten Szene in Chemnitz aktiv waren. Ich würde mich schwertun, zu sagen, dass es ein ostdeutsches Phänomen ist. Aber es gibt sicherlich einen Schwerpunkt hier.


Das Interview mit Julia Bombien führte die Journalistin Laura E. Ewert.