Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Litauen sagt Nein zur Atomkraft

Lesedauer: 4 Minuten

Fast 65 Prozent der Litauer haben am Sonntag gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerks gestimmt. Wie die Wahlkommission in Litauen mitteilte, ist das Referendum gültig, da mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen haben. Der Website der Wahlkommission zu Folge haben sich nach Auszählung von 1.914 der 2.017 Stimmbezirke 64,78 Prozent der Wähler gegen den Bau eines neuen AKW ausgesprochen.

Im vergangenen Jahr hatten zwei ähnliche Referenden stattgefunden, ein landesweites in Italien und ein regionales in der polnischen Kleinstadt Mielno. Somit hat nach dem Unfall in dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi im vergangenen Jahr nun das dritte Referendum in Europa mit einem Votum gegen die Atomindustrie stattgefunden.

Referendum verdeutlicht Haltung der Gesellschaft zur Atomenergie

Es sei daran erinnert, dass das einzige Atomkraftwerk in den Staaten des Baltikums – das zu sowjetischen Zeiten gebaute AKW Ignalina – am 31. Dezember 2009 auf Druck der EU wegen Sicherheitsbedenken außer Dienst genommen wurde. Bereits vor einigen Jahren hatte es in Litauen ein Referendum gegeben, bei dem über eine Laufzeitverlängerung dieses alten Atommeilers entschieden werden sollte. Es war jedoch wegen zu geringer Beteiligung für ungültig erklärt worden. Dieses Mal haben sich die Menschen in Litauen entschlossen, zur Urne zu gehen, was die dortige Haltung der Gesellschaft zur Atomenergie deutlich macht.

Der Ausgang des jetzigen Referendums hat nur Empfehlungscharakter. Es wird jedoch den Hitachi-Konzern, der eine Beteiligung an dem neuen AKW-Projektes in Litauen angeboten hatte, beträchtlich unter Druck setzen. Darüber hinaus haben auch die Behörden in Lettland und Estland, die eine Beteiligung am Bau des litauischen AKW zu bewerten haben, das Referendum mit Spannung verfolgt.

Zur gleichen Zeit jedoch wird im benachbarten russischen Gebiet Kaliningrad das Atomkraftwerk „Baltijskaja“ gebaut. Das Schicksal dieses AKW hängt allerdings insofern fast vollständig von den Nachbarstaaten ab, als es wegen der ausreichenden Stromversorgung im Gebiet Kaliningrad allein für den Stromexport gebraucht wird. Falls Litauen, Polen und die anderen Staaten in der Region dieses AKW-Projekt weiterhin boykottieren, indem sie ihren Bedarf über das europäische Stromsystem abdecken, wird dieses Projekt des russischen Staatskonzerns Rosatom endgültig jeden Sinn verlieren.

Zukunft von AKW-Projekten in Russland und Belarus ungewiss

In diesem Jahr ist übrigens ein Bericht über das AKW im Gebiet Kaliningrad veröffentlicht worden, dessen Ko-Autor der ehemalige stellvertretende Atomenergieminister Russlands Bulat Nigmatullin ist. In diesem Bericht wird konstatiert, dass ein Bau dieses AKW die Probleme in der Region nicht lösen wird, dass die Preise des dort erzeugten Stromes wegen der überaus hohen Projektkosten selbst auf dem europäischen Markt nicht konkurrenzfähig sein werden, und dass darüber hinaus in der Region die Netzkapazitäten fehlen, um die erzeugte Strommenge aufzunehmen. (Bericht als pdf in englischer Sprache

Zudem ist auch im benachbarten Belarus mit dem Bau eines Atomkraftwerks begonnen worden. Seit Projektbeginn sind die Kosten bereits um das Vierfache gestiegen. Sie werden derzeit – für zwei Reaktoren vom Typ WWER-1200 – auf 10 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dieses Projekt ähnelt genauestens dem AKW im Gebiet Kaliningrad, ist aber anderthalb Mal teurer, wofür es keine adäquate Erklärung gibt. Möglicherweise versucht das Regime Lukaschenka, das in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, auf diese Weise lebenswichtige Gelder zu erhalten. Auch bei diesem AKW besteht eine Abhängigkeit von einem möglichen Stromexport. Wenn die Staaten des Baltikums das belorussische AKW weiterhin boykottieren, könnte Rosatom sein Interesse an diesem Projekt verlieren. 

Solange sich der russische Atomkonzern jedoch Hoffnung macht, dass Strom aus diesen Atommeilern exportiert werden kann, wird der Bau weitergehen. 


Wladimir Sliwjak ist Ko-Vorsitzender der Umweltorganisation „Ecodefense!“ und Dozent für Umweltpolitik an der Hochschule für Wirtschaft in Moskau.
Übersetzung: Hartmut Schröder

Zum Warenkorb hinzugefügt: