Auswirkungen des Klimawandels auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft im Norden von Mato Grosso
Von Nilfo Wandscheer
Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien
Geschichte
Die Erschließung der nördlichen Region des Bundesstaats Mato Grosso wurde von der Militärregierung in den 1960er und 1970er Jahren mit der Absicht vorangetrieben, die „demografische Leere“ des Landes zu bevölkern. Auf den Fotos der Pioniere erkennt man Spruchbänder mit der Aufschrift „Vaterland, Familie und Eigentum“, Parolen der Diktatur. Obwohl die Region als unbewohnt galt, gab es verschiedene indigene Bevölkerungen, die beim Bau der Bundesstraße BR 163 von Cuiabá in Mato Grosso nach Santarém in Pará dezimiert wurden. Lucas do Rio Verde ist eine Stadt, die an dieser Straße entstanden ist und sich sehr schnell entwickelt hat. Bis Ende der 90er Jahre war die Stadt nicht ans Stromnetz angeschlossen, zur Stromversorgung der Stadt gab es nur Diesel-Generatoren. Als das Wirtschaftswunder der Monokulturen allgemein bekannt gemacht wurde, kamen Menschen aus anderen Regionen des Landes in die Stadt. Aber es gab kein „frei verfügbares Land“ mehr. Den Migranten (aus São Paulo, Pará, Maranhão und Mato Grosso) blieb nichts anderes übrig, als auf den Fazendas zu arbeiten.
Der Norden des Bundesstaats wurde von Goldsuchern erschlossen. Nachdem das Goldschürfen verboten wurde, nahmen diese Menschen das Land in Besitz, holzten die Wälder ab und begannen, extensive Rinderzucht zu betreiben. Der Norden von Mato Grosso ist zum Hauptanziehungspunkt für Investitionen des Agrobusiness geworden. Die Gemeinde Lucas do Rio Verde gilt als erste Gemeinde im Land, in der Soja geerntet wurde und als größter Produzent von Safrinha-Mais (wird nach einer Sommerkultur angepflanzt) in Brasilien. Die natürliche Vegetation besteht in den höher gelegenen Gebieten aus Cerrado (Savannen Zentral-Brasiliens Buschsteppe) und in den tiefer gelegenen Gebieten aus Galeriewäldern und Amazonas-Regenwald. Trotzdem gehört die Gemeinde nach dem brasilianischen Bundesamt für Statistik und Geographie, IBGE (Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística), nicht zum Amazonas-Biom, sondern nur zum Cerrado.
Die Region muss sich nun weiterentwickeln in Bezug auf Abfallbehandlung, Kanalisation, öffentliche Kulturpolitik, öffentliche Verkehrsmittel und die Wiederherstellung gesetzlich festgelegter Reservate. Im Cerrado müssen laut Umweltgesetzgebung 35% der natürlichen Vegetation bewahrt werden, im Amazonasgebiet sind es 80%.
Die Institution
Die Landarbeitergewerkschaft von Lucas do Rio Verde ist eine Vereinigung von Landwirten, die die Verbesserung der Lebensqualität der LandarbeiterInnen und KleinbäuerInnen anstrebt. Die Gewerkschaft hat im Norden des Bundesstaats Mato Grosso mit finanzieller Unterstützung der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung, USAID (United States Agency for International Development), das Projekt „Proteger-Consórcio Estradas Verdes“ (Schützen - Interessengemeinschaft Grüne Straßen) durchgeführt. Im Rahmen des Projekts fanden Mobilisierungsaktionen und Schulungen zur Vorbeugung von Waldbränden und Einführung nachhaltiger wirtschaftlicher Alternativen statt, wobei sehr viel Wert darauf gelegt wurde, dass Frauen und Jugendlichen mit einbezogen wurden.
Außerdem wurden mit Unterstützung des Umweltministeriums, MMA (Ministério do Meio Ambiente), Maßnahmen zur Stärkung des Netzwerks „Arbeitsgruppe Amazonien“, GTA (Grupo de Trabalho Amazônico), im Norden von Mato Grosso durchgeführt, mit dem Ziel Organisationen und soziale Bewegungen der Region zu stärken.
Die Landarbeitergewerkschaft STR (Sindicato dos Trabalhadores Rurais) spielt eine wichtige politische Rolle auf der Achse der Bundesstraße BR 163 in Mato Grosso und nimmt aktiv an Diskussionen über den Plan einer nachhaltigen Bundesstraße BR163 und an der Kampagne „´Y Ikatu Xingu“ (sauberes und gutes Xingu-Wasser) zum Schutz und zur Sanierung der Wassereinzugsgebiete und Galeriewälder im Xingubecken, teil.
Deshalb koordiniert die Landarbeitergewerkschaft STR ein Netzwerk sozialer, umweltverträglicher Demonstrationsprojekte, in denen Alternativen zu Entwaldung und Brandrodung in dieser Region aufgezeigt werden, finanziert von der GTZ über die KfW in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Umweltministerium.
Die Landarbeitergewerkschaft STR ist Teil der Interessengemeinschaft „Waldregierung in den Wassereinzugsgebieten des Xingu“ (Governança Florestal nas Cabeceiras do Xingu), die von der Europäischen Gemeinschaft finanziert wird. So werden weiterhin KleinbäuerInnen mobilisiert, Schulungsmaßnahmen zur Vermeidung von Bränden durchgeführt und der Zusammenschluss in Gruppen, die mit ökologischer Landwirtschaft in ihren land- und viehwirtschaftlichen Produktionssystemen ihr Einkommen verbessern, gefördert.
Agroökologie
Wirtschaftliche Alternativen schließen das Verständnis für agroökologische Techniken als strategisches Element für einen Wandel in Produktion und sozialer Organisation mit ein. Die Agroökologie versucht alle Bestrebungen nach einem umfassenden technologischen Modell, das sozial gerecht, ökonomisch existenzfähig und ökologisch tragfähig ist, zu systematisieren; ein Modell, das einen neuen Bezug zur Natur herstellt und in dem Gerechtigkeit und Solidarität unerlässliche Werte sind. Man könnte sagen, dass Agroökologie die wissenschaftlich-technologische Grundlage für eine nachhaltige Landwirtschaft ist. Sie ist eine neue Betrachtungsweise der Landwirtschaft, die verschiedene agrarwissenschaftliche, ökologische und sozioökonomische Aspekte bei der Beurteilung der Auswirkungen der Landwirtschaftstechniken auf die Nahrungsmittelproduktion und die Gesellschaft als Ganzes mit einbezieht. Die kleinbäuerlichen Familien haben unschätzbare Kenntnisse über die Naturressourcen und ihre Umwelt, und wenn sie in den Dialog mit Wissenschaftlern einbezogen werden, haben sie mit kreativen Ideen viel zur Innovation der Agroökologie beigetragen.
Konflikte
Von den beiden in enger Nachbarschaft existierenden Landwirtschaftsmodellen, die auf ganz unterschiedlichen Grundlagen basieren, sind die Kleinbauern im Nachteil. Kredite sind für Kleinbauern schwieriger zu erhalten und die Investition in Monokulturen belastet noch immer den Haushalt des Landwirtschaftsministeriums. Die extensive Landwirtschaft gefährdet die kleinbäuerliche Landwirtschaft, da die Menge an Pflanzenschutzmitteln, die beim Soja- und Maisanbau eingesetzt werden, die Produktion auf ihren Feldern gefährdet. Außerdem wollen viele Kleinbauern biologische Nahrungsmittel anbauen, und das ist unmöglich, wenn das Gift mit Flugzeugen auf den Fazendas direkt neben den ländlichen Siedlungen versprüht wird. Viele dieser Fazendas haben illegale Besitzrechte. In verschiedenen Fällen wurde staatseigenes Land mit gefälschten Papieren in Besitz genommen wurden.
Das aktuelle Entwicklungsmodell funktioniert nach dem Ausschlussprinzip, da die Mechanisierung der Landwirtschaft eine schnellere Ernte und Aussaat ermöglicht, jedoch weniger Arbeitskräfte benötigt. Der hohe Einsatz externer Betriebsmittel zeigt seine wirtschaftliche Anfälligkeit und hat weit reichende Folgen für die Umwelt.
Klimawandel
Das Ergebnis dieses wirtschaftlichen Entwicklungsmodells, das die Abholzung der Urwälder vorantreibt, sind unregelmäßige Niederschläge, hohe Temperaturen, starke Winde und folglich eine erhöhte Brandgefahr.
Mato Grosso hat aufgrund der regelmäßigen Niederschläge eine herausragende Position als produktive Kornkammer. Mit der Entwaldung haben sich die Niederschläge verändert, und man kann bereits feststellen, dass sich der Beginn der Regenzeit verzögert und im Januar und Februar starke Regenfälle auftreten, was der Sojaernte schadet. Auch die Pflanzungen der Kleinbauern sind von diesen Phänomenen betroffen und obwohl sie nicht in den nationalen Schlagzeilen stehen, ist die Nahrungsmittelproduktion gefährdet.
Der Einfluss von Temperatur und Niederschlagsverteilung auf die Kulturfolge und die natürliche Vegetation hat Konsequenzen wie niedrigere Ernten und Qualitätseinbußen, was für den Kleinbauern oder Sammler großen finanziellen Schaden bedeutet und die Ernährungssouveränität gefährdet.
Die für die Trockenperiode typischen höheren Temperaturen und starken Winde, zusammen mit großen vegetationslosen Flächen sind Faktoren, die zum Brandrisiko beitragen und genau dieses Phänomen bekommen die Kleinbauern zu spüren. In den Projekten, die die Landarbeitergewerkschaft STR unterstützt, werden Wiederaufforstung mit Setzlingen oder Samen, Bienenzucht, das Halten Stachelloser Bienen, sowie die Produktion hochwertiger Nahrungsmittel gefördert, und all das wird vom Feuer zerstört.
Brände in Mato Grosso
Die Brandrodungen im Norden sind für ungefähr 2% des weltweiten Klimawandels verantwortlich und tragen mit ca. 75% zu den Klimaveränderungen in Brasilien bei.
Im September 2007 haben Brände im Norden von Mato Grosso große Waldflächen, Wiederaufforstungsgebiete und agroökologische Versuchsflächen in Siedlungen der Agrarreform zerstört. Dies geschah, weil in diesem Jahr die Trockenperiode länger andauerte, das Landesumweltministerium aber trotzdem am Stichtag, dem 15. September, festhielt und die Brandrodung freigab. Da es noch nicht geregnet hatte, wurde aus einer Brandrodung, die man normalerweise unter Kontrolle gehabt hätte, schnell ein großflächiger Brand, der enorme Schäden verursacht hat.
In den Monaten Juni bis September 2007 wurden in Mato Grosso 44 621 sogenannte Hitzepunkte registriert. Von Hitzepunkt spricht man, wenn die Temperatur an der Bodenoberfläche über 47°C beträgt. Hitzepunkt ist nicht gleichzusetzen mit Feuer. Dieser Wert ist ein Anstieg um 72% im Vergleich zur Vorjahresperiode (25 938 Hitzepunkte) und liegt noch unter den 56 784 Hitzepunkten, die im gleichen Zeitraum 2005, im Jahr der großen Dürre, registriert wurden. Betrachtet man jedoch nur den Monat September, dann lag die Anzahl der Hitzepunkte im September 2007 (26 781) über der vom September 2005 (21 937), laut „Bulletin zur Waldtransparenz“ (Boletim de Transparência Florestal) des Instituts für Mensch und Umwelt in Amazonien, IMAZON (Instituto do Homem e do Meio Ambiente da Amazônia), und des Instituts Lebenszentrum, ICV (Instituto Centro de Vida), vom September 2007.
Der Rauch dieser Brände belastete die Atmosphäre mit sehr vielen Partikeln, die die Wassertröpfchen in den Wolken umschlossen und verhinderten, dass diese sich zusammenschließen und Tropfen mit dem für Niederschlag notwendigen Gewicht bilden. Das Ergebnis war ein Rückgang der Regenfälle. Damit ist die Wahrscheinlichkeit neuer Brände beträchtlich gestiegen. Das Feuer der vorangegangenen Jahre hat bereits viele Bäume abgebrannt, dadurch sind im Wald Lichtungen entstanden, durch die Licht einfällt, das wiederum die am Boden liegenden Blätter und Zweige in eine große trockene Masse verwandelt, ein „Markenzeichen“ für leicht entzündlichen Wald.
Das wiederholt sich Jahr für Jahr. Dieses Jahr hat die Landarbeitergewerkschaft von Lucas do Rio Verde STRLRV die Zivilgesellschaft und die verantwortlichen Kontrollorgane der Regierung eingeladen, um für 2008 einen Plan mit Schutzmaßnahmen auszuarbeiten. Traditionell veranstaltet die Landarbeitergewerkschaft STR Schulungen, fördert den umweltverträglichen Anbau, aber das Feuer zerstört diese Arbeit immer wieder. Deshalb haben wir die Regierung eingeladen, am Prozess teilzunehmen und effektive Kontrollen durchzuführen.