Barbara Unmüßig: "Die ökologische Diskussion ist politischer geworden"

"Es gibt überall Widerstand auf der Welt gegen die Fehlentwicklungen, die sich da vollziehen". Unser Bild zeigt Proteste in Australien. Foto: Takver Lizenz: CC-BY-SA Quelle: Flickr

14. Mai 2012
Richard Graf
Sie waren 1992 als NGO-Vertreterin an der Rio-Konferenz beteiligt. Wie sieht Ihre Bilanz nach zwei Jahrzehnten aus?

Barbara Unmüßig: Für die internationale Umweltpolitik war Rio sicherlich ein Meilenstein. Aber ich möchte Rio 92 nicht als nostalgischen Referenzrahmen betrachten. Dort wurden zwar eine Klima-Rahmenkonvention, eine Biodiversitäts- und eine Wüsten-Konvention, die Agenda 21 und die Rio-Erklärung verabschiedet. Aber eine globale Trendumkehr ist damals leider nicht eingeleitet worden. Wir haben heute die höchsten CO2-Emissionen, die es je gegeben hat. Der Verlust der biologischen Vielfalt schreitet weiter voran. In Rio wurde eine Definition von nachhaltiger Entwicklung definiert, nach der die soziale und ökologische Dimension zusammen gedacht werden müssen. Das ist seither aber mitnichten geschehen. Was das Soziale angeht, müssen wir weiterhin zusehen, wie Milliarden Menschen in Armut leben. Und die, die unmittelbar von den Ressourcen leben, also vom Wald, von den Fischen, von den Ökosystemen werden vertrieben und verdrängt. Also weder in der sozialen noch in der ökologischen Dimension ist die Welt heute besser. Im Gegenteil, alle Umweltdaten sind schlechter denn je. Rio 92 hat zwar ein Nachdenken eingeleitet, aber dem sind keine Taten gefolgt.

Hat sich seit Rio die Zusammenarbeit unter den NGOs verändert?

1992 waren die nationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Umweltbereich und aus den Entwicklungsorganisationen in einer sehr euphorischen Stimmung. Die UNO hatte neue Mitbestimmungsangebote gemacht und viele NGOs - vor allem aus dem Umwelt- und Entwicklungsbereich - haben sich zum ersten Mal miteinander auseinandergesetzt. Es kam zu strategischen Debatten. Es gab eine große Zuversicht, dass wir gemeinsam auch Einfluss nehmen könnten. Ich glaube aber nach 20 Jahren feststellen zu können, dass sich diese Begeisterung weitgehend verflüchtigt hat. Die Rio-Ziele, Umwelt und Entwicklung zusammen zu denken, wurden sehr bald nicht mehr verfolgt. Als Beleg dafür sehe ich die Millennium-Goals (MDG), die acht Jahre später verabschiedet wurden. Da haben die Entwicklungsorganisationen wieder relativ ökologieblind agiert, und die Umweltorganisationen haben sich mit ihren Anliegen überhaupt nicht eingebracht. Die MDG sind für mich ein Rückschritt gemessen an dem, was wir bei den verschiedenen UN-Konferenzen erreicht hatten - sei es die UN-Frauen-Konferenz in Peking, der Welt-Sozialgipfel in Kopenhagen, die Konferenz in Rio oder die Menschenrechtskonferenz in Wien. Die MDG sind fast ausschließlich auf Entwicklung bezogen. Heute, wenige Woche vor Rio+20 ist bei den NGOs eine große Ernüchterung eingetreten. In manchen Ländern, wie etwa dem Gastgeberland Brasilien selbst, wo sich die sozialen Bewegungen und einige NGOs vor wenigen Tagen aus dem Vorbereitungsprozess der brasilianischen Regierung zurückgezogen haben, geht die Zivilgesellschaft klar auf Distanz. Das Verhältnis ist konfrontativer geworden, fast nirgendwo bei den NGOs ist eine Stimmung zu bemerken, dass es sich lohnen würde, sich auf Rio einzulassen.

Sie kritisieren die Rolle NGOs bei der Festlegung der MDG. War im Jahre 2000 überhaupt mehr zu erreichen?

Ich habe in meinen Arbeiten versucht zu rekonstruieren, wie es zu den MDG kommen konnte. Das war kein von den NGOs vorangetriebener Prozess, sondern eher ein Top-Down-Verfahren. Die Regierungschefs der Welt wollten im symbolischen Jahr 2000 in der Globalisierungsdebatte, der ein menschlicheres Erscheinungsbild verpasst werden sollte, etwas Besonderes präsentieren. In der Folge haben die Entwicklungs-NGOs diese Ziele sehr schnell als Referenzrahmen aufgenommen, statt für ihre Forderungen auf die Ergebnisse der UN-Konferenzen der 1990er-Jahre zurückzugreifen. Mir fällt zum Beispiel auf, dass in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit Peking 1995 sehr viel weiter war. Die Weltfrauenkonferenz, genau wie Rio, hatte einen auf politische und soziale Rechte abzielenden Ansatz. Es ist für die Armutsbekämpfung genauso wichtig wie soziale Projekte, dass wir den Leuten Rechte in die Hand geben, die sie befähigen ihre Situation selber in den Griff zu bekommen. Dieser Ansatz ist jedoch sehr in den Hintergrund getreten.


Welches sind die Bereiche, in denen der Handlungsbedarf am größten ist?

Wir müssen auf jeden Fall das Versprechen der Konferenz von Rio einlösen, auf der die Industrieländer die historische Verantwortung für die ökologische und soziale Krise übernommen haben. Das heißt, der Norden muss "Platz schaffen" für die Armen und Ärmsten. Er muss zugunsten des Umweltraums und der Ressourcen, die immer knapper werden, und der Atmosphäre, die immer verschmutzter wird, seinen Konsum einschränken. Doch nach wie vor ist unser nördliches Konsummodell auf Wachstum ausgerichtet - nicht auf eine Effizienz, die wirklich den Namen verdient, und schon gar nicht auf Veränderung der Lebensstile, auf Schrumpfung. Wir im Norden, aber auch die neue Mittelklasse in den Schwellenländern, konsumieren weit mehr als wir dürften. Wir verbrauchen heute Ressourcen und verschmutzen die Erde, als hätten wir 1,5 Planeten und nicht einen. Wir übernutzen die Ressourcen immer noch zum Schaden derer, die nichts haben - also zum Beispiel der zwei Milliarden Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu Elektrizität oder zu sauberem Wasser haben. Am deutlichsten wird das an den Emissionen, die wir in die Atmosphäre einbringen und die noch nie so hoch waren wie 2010, und dem Anteil der Industrieländer an ihnen, der nicht zurückgegangen ist. Natürlich holen verschiedene Schwellenländer auf, aber der Norden hat sein Versprechen nicht gehalten, Platz zu machen. Und wir konsumieren, ebenfalls zum Schaden der Armen in der Welt, Fleisch in einem Ausmaß, das ökologisch nicht tragfähig ist. Wir importieren Futtermittel aus dem Süden, die auf Millionen von Hektar erzeugt werden, die eigentlich zur Ernährungssicherung der dortigen Bevölkerung benötigt würden.

Mit der "Green Economy" soll jetzt alles nachhaltiger werden. Ein Wolf im Schafspelz oder ein Lösungsansatz?

Wir müssen da differenzieren. Das Konzept der Uno-Umweltorganisation UNEP ist ein anderes als das der OECD. Es gibt die Konzepte von Industrieverbänden oder jenes von McKinsey, die alle ganz Unterschiedliches meinen. Es gibt sicherlich welche mit ganz guten Ansätzen, und  alle gehen davon aus, dass wir angesichts von Klimawandel und Ressourcenknappheit kein ,business as usual’ mehr betreiben können - das ist erst mal eine gute Nachricht. Wir müssen aber beachten, mit welchen Maßnahmen, Instrumenten und Strategien das geschehen soll. Und da setzt meine Kritik an: Alle Konzepte verlassen sich immer auf Technik. Die Technologien sollen uns helfen, effizienter zu sein. Wir müssen also genau hinschauen, um zu sehen, was mit „grüner“ Technik gemeint ist. Ist Gentechnik gemeint? Oder Geo-Engineering - also die Bekämpfung des Klimawandels mit technischen Mitteln: Spiegel im Weltall oder Ozeandüngung usw.? Bekämpfen wir Peak-Oil mit Agrotreibstoffen? Und kommen wir dann nicht in neue Konflikte wie etwa Bioethanol gegen Nahrungsmittel? Ich verlange, dass grüne Ökonomie, auch wenn sie auf technischen Lösungen basiert, sich die sozialen und ökologischen Folgen vergegenwärtigt. Grüne Ökonomie ist für mich nur dann der richtige Ansatz, wenn bei jedem Investitionsvorhaben die sozialen und ökologischen Folgen bedacht werden und sie mit den Zielen der sozialen Gerechtigkeit und des Klimaschutzes kompatibel ist.

Es sind neue Schwellenländer auf dem internationalen Parkett aktiv geworden. Geraten die Entwicklungsinteressen der armen Länder nicht immer mehr ins Hintertreffen?

Die neuen Schwellenländer - China, Indien, Brasilien und in Teilen auch Südafrika - verfolgen, genau wie die bekannten asiatischen Vorgänger, die Strategie einer nachzuholenden Industrialisierung. Die Erfolgsbilanz ist ambivalent: China und Brasilien haben zwar auch mehr soziale Umverteilung erreicht, dort wurden mehrere hundert Millionen Menschen aus der absoluten Armut herausgeführt. Aber das passierte auf Basis der Ausbeutung der Umwelt und der Ressourcen - wie gehabt. Brasilien ist ein Beispiel dafür, wie der Wirtschaftsboom auf Extraktivismus basiert. China hat sich ein Produktionsmodell verordnet, das sich stark an der Nachfrage nach billigen Konsumgütern bei uns orientiert. Aber es wurde nicht erreicht, die fossile Weltwirtschaft zu stoppen. Heute setzen wir weltweit immer noch zu 97 Prozent auf fossile Ressourcen. Die Auswirkungen davon sind unübersehbar: Überall wird der letzte Tropfen fossiler Energie aus der Erde geholt, sei es durch Tiefseebohrungen in sensiblen Regionen, sei es durch den Abbau von Teersanden in den Regenwäldern des Kongo oder den borealen Wäldern Kanadas - dort auf einer Fläche von der Größe Großbritanniens. Darüber wird in Rio kein Wort verloren. Hier spielen Industrie- und Schwellenländer eine gleich schlimme Rolle.

Haben die Entwicklungsländer keine eigene Strategie, um ihre Interessen durchzusetzen?


Im multilateralen UN-Rahmen gibt es weder auf Seiten der Industrie- noch der Schwellenländer eine Bereitschaft, den Anspruch auf einen Anteil an dem globalen Ressourcenkuchen aufzugeben oder sich auf Reduktionsziele im Klimabereich bzw. auf Konsumreduktion einzulassen. Da gehen diese beiden Ländergruppen leider eine unheilige Allianz ein - häufig zuungunsten der ärmeren Entwicklungsländer. Wenn es um die Verteidigung seiner jeweiligen Interessen geht, bemüht der Norden gerne seine immer noch vorhandene Vormachtstellung bei IWF oder Weltbank, die Schwellenländer ihrerseits bemühen den alten Klub der G77 + China. Obwohl sich die Machtkonstellationen und die Interessenlagen massiv verändert haben, kommt es auf diplomatischer und UN-Ebene leider viel zu selten zu anderen Zusammenschlüssen. Der Süden kommt schnell mit dem Pauschalvorwurf des grünen Protektionismus. Das halte ich alles für fatale Machtspiele, die der Planet sich eigentlich nicht erlauben kann. In der realen Welt, also da, wo nicht auf UN-Ebene verhandelt wird, gibt es aber jede Menge positive Zeichen. China hat längst ein sehr ambitioniertes Programm für erneuerbare Energien, national will es CO2-Emissionen reduzieren. So lange der Norden aber nicht handelt, wird es keine neuen internationalen Verabredungen und Abkommen geben. Ich sehe eine große Krise der "Global Governance". Es scheint derzeit keinen Handlungsspielraum zu geben, in dem sich Ost und West, Nord und Süd auf konkrete Ziele verabreden könnten. Wir brauchen aber überall Limits, damit es zum Beispiel keine Rodungen der Wälder mehr gibt oder die Fischfangquoten weiter reduziert werden.

Welche Akteure können dann dazu beitragen, dass es zu mehr Nachhaltigkeit kommt?

Es gibt, Gott sei Dank, überall Widerstand auf der Welt gegen die Fehlentwicklungen, die sich da vollziehen. Es ist letztendlich eine Frage der Macht, ob die betroffenen Menschen im Widerstand gegen Großprojekte, Vertreibung oder unsinnige Ressourcenausbeutung Erfolg haben. Das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ist durch die weltweite Krise ebenfalls heftig unter Beschuss geraten. Ich spüre überall auf der Welt großes Unbehagen gegenüber diesen Entwicklungen und dem Raubtierkapitalismus, mit dem wir es zu tun haben. Es wird überall neu nachgedacht über andere Wirtschaftsmodelle, die die Grundbedarf-Versorgung ohne Raubbau an der Natur ermöglichen. Die Ökologiediskussion ist wieder politischer geworden, als sie es in der Zeit nach den 1990er Jahren war. Jetzt sind wir in einer Situation, in der uns bewusst wird, dass wir über neue Wohlstandsmodelle nachdenken müssen, um endlich unseren Frieden mit der Natur zu machen und Menschen aus der Armut zu befreien.

...
Das Interview führte Richard Graf, es erschien zuerst in Woxx.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht. 

Dossier

20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel wird sich die Weltgemeinschaft vom 4. bis 6. Juni 2012 erneut in Rio de Janeiro treffen. Für die Stiftung ist Rio 2012 Anlass und Gebot, sich aktiv in die politischen Debatten und die Suche nach Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit einzumischen.