„Rio 2012: Worüber in Rio nicht geredet wird“

Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung.

19. April 2012
Keynote-Speech von Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

 

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gäste aus aller Welt,

ich freue mich, Sie alle im Namen des Trägerkreises – attac, Brot für die Welt, BUND, EED, Forum Umwelt & Entwicklung, Greenpeace, der Heinrich-Böll-Stiftung und Terre des Hommes – zum fünften McPlanet seit 2003 begrüßen zu dürfen. Das ist ein eindrückliches Bündnis und es ist noch einmal gewachsen und als solches schon ein kleines politisches Ereignis.

Unsere Botschaft ist: Die natürlichen Grenzen des Planeten und über zwei Milliarden Arme und Ärmste auf dieser Welt dulden keinen Aufschub im politischen Handeln. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Klimakrise und Ressourcenknappheit, Armut und die Ernährungskrise sind Ergebnisse eines zügellosen Kapitalismus. Deshalb brauchen wir eine große Transformation unseres Produktions- und Konsummodells hin zu einer demokratischen, gerechten und wachstumsbefriedeten Weltwirtschaft. Die große Weltwirtschafts- und Armutskrise schreien für ihre Überwindung nach mehr Wachstum. Die globale Umweltkrise fordert andererseits Grenzen, Entschleunigung und Schrumpfung.

Welche Alternativen gibt es zur Wachstumsfalle? Das wollen wir u. a. auf diesem Kongress mit Euch diskutieren. Gemeinsam streiten wir seit vielen Jahren für die notwendige Trendumkehr. Sie darf jedoch nicht zu Lasten armer und ärmster Bevölkerungen gehen, wie wir das gerade im sogenannten Krisenmanagement der Finanz- und Eurokrise erleben mit europaweit mehr als 25 Millionen Arbeitslosen und der Kürzung von Sozialprogrammen.

 

Die internationale Konferenz in Rio de Janeiro im Juni könnte ein Ort für eine solche Trendumkehr in Richtung einer kohlenstoffarmen und gerechteren Welt sein. Dies setzt politischen Willen und die richtigen Prioritäten voraus.

Wir sind hier, um genau diese einzufordern. Wir brauchen von einer weiteren Großkonferenz keine Absichtserklärungen, die nicht eingehalten werden, und inkrementelle Fortschritte. Was wir dringend brauchen, sind substantielle Schritte, die die großen Negativtrends, die Plünderung des Planeten und die wachsende Ungerechtigkeit umkehren.

Kurzer Blick zurück

Rio 1992: Es gibt keinen Grund, das damalige Ereignis, heute, 20 Jahre später, zu mystifizieren; keinen Grund, Rio zu einem nostalgischen Referenzrahmen zu machen.
Kurz und knapp: Die beim Rio-Erdgipfel 1992 versammelte internationale Ökologie- und Entwicklungsbewegung hat damals die Ergebnisse keinesfalls in Gänze positiv bewertet. Es war schnell deutlich, dass Rio '92 nicht der historische Scheideweg für eine globale Ökologie- und Gerechtigkeitspolitik war. Die erhoffte Friedensdividende blieb aus. Rio '92 offenbarte hingegen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zum ersten Mal auf der großen Weltbühne die massiven Interessensgegensätze und Konfliktlinien innerhalb der OECD-Welt, den Industrieländern, und innerhalb der G77+, den Club der Schwellen- und Entwicklungsländern und natürlich zwischen Nord und Süd.

Konzeptionelle Widersprüche und viele Kompromisse bestimmten die damalige Agenda und Entscheidungen. Heute ist die Interessenlage noch komplizierter. Denn die ökonomische Geografie der Welt ist seit Rio 1992 in Bewegung geraten. Brasilien, China, Indien – sie stehen für die gewaltige wirtschaftliche Aufholjagd der Schwellenländer. Beim Rio Gipfel 1992 tauchte China als größerer Akteur noch gar nicht auf und versteckte sich in der Gruppe der 77+. Doch die chinesische Ökonomie wächst seit den 80er Jahren mit durchschnittlich zehn Prozent. Sie wuchs zunächst und fast ausschließlich auf den Grundlagen einer fossilen und rohstoffbasierten Entwicklung. Und sie richtete sich auf die Produktions- und Konsumsysteme des Nordens hin aus. Letzteres gilt auch für Brasilien, weit weniger für Indien. Die Interessen- und Machtkonstellationen sind schon allein deshalb heute nicht mehr die von 1992.

Ich will die Errungenschaften und die vielen positiven und völkerrechtsverbindlichen Entscheidungen von Rio'92 keinesfalls schmälern. Wir brauchen diesen multilateralen Rahmen für den komplexer gewordenen Ausgleich der Interessen mehr denn je. Nur: Die Klimarahmenkonvention hat nicht verhindert, dass wir auf eine 3 bis 4 Grad wärmere Welt zusteuern. Das Ziel, möglichst bei 2 Grad Klimaerwärmung zu landen, werden wir gründlich verpassen, mit allen Folgen, wiederum für die besonders von Klimawandel Betroffenen. Was wir derzeit erleben, ist Klimaschutz auf Projektbasis und eine Ökonomisierung des Klimaschutzes mit lauter komplizierten Mechanismen. Aber keine politischen Entscheidungen für drastische Reduktionsziele, im Norden zuerst, aber auch in Schwellenländern.

Die Konvention zum Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt hat nirgendwo den dramatischen Verlust von Arten und genetischer Vielfalt verhindert. Das Gegenteil ist der Fall. Savannen, Wälder, Grasland, Moore, sie werden in landwirtschaftliche Fläche umgewandelt und für Rohstoffe jeder Art ausgebeutet. Unsere Meere werden leer gefischt. Die Kontrolle genetischer Vielfalt liegt in alarmierender Weise in den Händen weniger transnationaler Unternehmen.

Rio hat – das war historisch wirklich einmalig – die Erkenntnis formuliert, dass das nördliche Produktions- und Konsummodell nicht globalisierbar ist. Und auch das ist bemerkenswert: Der Norden hat die Verantwortung für die ökologischen Krisen des Planeten übernommen. Rio hat ebenfalls das erste Mal zentrale Prinzipien wie das Verursacher- und Vorsorgeprinzip international salonfähig gemacht. Im Rio-Prinzip der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung für die Überwindung der sozialen und ökologischen Krisen lag das große Gerechtigkeitsversprechen zwischen den Nationen, innerhalb von Gesellschaften und zwischen den Generationen.

Es war dieser großartige, multilaterale Konsens, der Hoffnung gemacht hat. Der viele – wie mich auch – zur „Rioanerin“ hat werden lassen. Das hat eine ganze Generation geprägt. Der „Rio-Mensch“ war lange Zeit der Gegenentwurf zum „Davos-Mensch“, also derjenigen, die sich alljährlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos treffen und die neo-liberale Agenda hochhalten.

Der Gegenentwurf ist stecken geblieben. Die Industrieländer haben den Rio-Deal gleich mehrfach gebrochen: Sie haben ihr Expansionsmodell nicht zurückgefahren. Die Prinzipien neoliberaler Globalisierung – Deregulierung, Liberalisierung Privatisierung – haben die Wirtschaftspolitik dominiert. Nirgendwo haben das Prinzip der geteilten Verantwortung, der Lastenteilung und das Versprechen des Vorreiters so drastisch versagt, wie beim Klimaschutz. Die CO2-Emissionen der Industrieländer sind kontinuierlich gestiegen, statt notwendigerweise drastisch zu sinken. Der Norden hat insgesamt sein Umweltkonto so dermaßen überzogen, dass der Verteilungskampf um das, was noch „übrig" bleibt, bedrohliche Züge annehmen kann. Zudem hinken die versprochenen finanziellen Transferleistungen des Nordens weit hinter den mehrfach wiederholten Zusagen zurück. Der Norden liefert bis heute viel zu wenig, um wirklich Vorreiter beim Ressourcenverbrauch und Emissionsausstoß zu sein.
Was ökologische Ungerechtigkeit und Armut auf dem Globus angehen, haben sich trotz regionaler erheblicher Unterschiede die großen Trends nicht geändert. Auf das unterste Fünftel der Weltbevölkerung verteilen sich gerade einmal zwei Prozent des globalen Einkommens. Und es sind immer noch circa 25 Prozent der Weltbevölkerung, die für Dreiviertel der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind. Für Millionen Menschen, die unmittelbar von natürlichen Ressourcen leben, hat sich die Lebenssituation durch den Klimawandel, die Bodenerosion, den Wassermangel, die Abholzung der Wälder, den Artenverlust sowie durch Landnahme vielfach verschlechtert, nicht verbessert.

Im Rückblick auf den Erdgipfel von Rio 1992 kann ein verhängnisvoller, aber historisch wohl nicht vermeidbarer Fehler ausgemacht werden: Statt zu fragen, wie die Erkenntnis der Nicht-Globalisierbarkeit des fossilen Entwicklungspfades in neue Wohlstandmodelle zur Armutsüberwindung umgesetzt werden kann, wurde das Konzept von „Entwicklung als Wachstum” nicht in Frage gestellt. In der Erklärung von Rio, die feierliche Zusammenfassung des Gipfels, wurde der Begriff der „nachhaltigen Entwicklung” proklamiert, ohne dass definiert worden wäre, was denn unter Entwicklung verstanden wird.

Auf der einen Seite kann „Entwicklung” „nachholende Entwicklung" heißen, nämlich Wolkenkratzer hochzuziehen, Hochleistungssorten zu züchten und jede Menge Autos zu fahren. Auf der anderen Seite Wasserbrunnen zu bauen, Krankenstationen einzurichten und den Transport zum Regionalmarkt zu erleichtern. Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung hat offen gelassen, um was es geht: um „Entwicklung als Wachstum” oder um „Entwicklung als Gerechtigkeit”. Wer soll teilhaben, wer soll von ihr profitieren? Wie soll Verteilungspolitik global, regional und lokal gestaltet werden?

Das Konzept ist von einer monumentalen Leere. Wenn beide Entwicklungsperspektiven in eine konzeptionelle Hülle gepackt werden, kann dies nur zu Verwirrung oder politischer Verschleierung führen. Die Rede von der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie sind ein Ergebnis davon. Wo wir doch wissen, dass „Entwicklung” eben nicht automatisch in Harmonie zur „Umwelt” steht.

Ich habe schon vor 20 Jahren von einer unheiligen Allianz der politischen Eliten in der Welt und ihren Verbündeten in der Wirtschaft gesprochen, die die ökologischen Grenzen nicht wirklich ernst- und soziale und (Geschlechter-)Ungleichheit hinnehmen und die politische Ungerechtigkeit und Unfreiheit aufrechterhalten.

Das trifft leider auch auf die Wirklichkeit im Jahr 2012 zu.

Jedoch gibt es lokal, regional und international Widerstand und Proteste gegen den Finanzmarktkapitalismus und die Konzern- und Bankenmacht. Und es ist ein weltweites Hoffnungszeichen, wie viele Menschen sich gegen politische und ökonomische Fehlentwicklungen und vor allem für mehr Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Teilhabe einsetzen.
Das alte neoliberale Paradigma ist gebrochen, hat vielfältige Risse, hat weltweit auch unter den Eliten an Einfluss eingebüßt. Das ist gut so, aber noch lange kein Signal für eine globale Transformation. Wir können wichtige Umbrüche zumindest im fossilen ökonomischen System erleben, die erneuerbaren Energien erobern Marktanteile. Jedoch müssen wir als Zivilgesellschaft nüchtern analysieren und prioritäre Forderungen stellen:

  • Die Weltwirtschaft ist nach wie vor fossil. Exxon Mobil ist mit einer Umsatzsumme von 27 Billionen Euro das größte Unternehmen der Welt.
    Die Knappheit fossiler Rohstoffe und manche politischen Anreize treiben allerdings den Ausbau der erneuerbaren Energien voran. In Deutschland wirbelt sie bereits das alte Monopol der vier mächtigsten Konzerne durcheinander. Deren Aktien sind im Keller. Ihre Oberlobbyisten ziehen sich gerade zurück. Das ist ein Riesenerfolg der konstanten Forderungen nach erneuerbaren Energien und dem Beharren der Bevölkerung auf den Ausstieg aus der Atomenergie. Widerstand lohnt sich.
    Die Energiewende in Deutschland kann, ich betone, kann ein Vorbild werden. Sie geht den Menschen nicht schnell genug, das zeigen alle Umfragen dazu. Wir fordern einen schnellen Netzausbau, gemeinsam Gemeinden und mit Bürgerinnen und Bürgern, die sich vor Ort am Stromnetz wirtschaftlich beteiligen.
  • Global erleben wir jedoch eine Rohstoffbonanza ohnegleichen. Die globale Nachfrage nach energetischen und nicht-energetischen Rohstoffen führt zu massiven Preissteigerungen. Das macht Investitionen in immer risikoreichere, teurere und schädlichere Ausbeutungen ökonomisch lukrativ. Das gilt für Tiefseebohrungen und besonders für Teersande und Schiefergas. Kanada ist der weltweit größte Produzent und Exporteur von Öl aus Teersanden. In der Provinz Alberta entstehen auf einer Fläche von der Größe Großbritanniens Mondlandschaften. Die Chemikalien und Abfälle verseuchen die lokale Umwelt. Die Krebsraten bei den Ureinwohnern steigen, und die Produktion verschlingt Unmengen an Wasser und Energie. Klimaschutz wird somit zur Farce. Eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft ist das nicht. Das ist unvereinbar mit dem von Regierungen verabschiedeten 2 Grad Ziel. Die Welt braucht 80 bis 90 Prozent Kohlenstoffreduktion.
  • Und es ist skandalös, dass Fukushima nicht das Ende des nuklearen Zeitalters eingeläutet hat, nicht einmal in Europa, wo gerade Frankreich, Polen, Großbritannien und Tschechien fordern, bei den Subventionen erneuerbare und nukleare Energie gleich zu behandeln.

    Die Streichung schädlicher fossiler und nuklearer Subventionen ist ein Muss. Das wäre ein messbares Ziel, das Rio+20 endlich auf den Weg bringen muss!

    Aber nicht nur in Kanada gibt es diese besonders dreckige Form von unkonventionellem Öl. Prospektionen, Probebohrungen und teilweise auch Pilotprojekte für Teersandabbau gibt es auch in Nigeria, Madagaskar und der Republik Kongo. Angesichts schlechter Regierungsführung, ohnehin hoher Korruptionsraten und sensiblen Ökosystemen sind die tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen dieser Projekte verheerend.

    Die jährlichen Rohstoffexporte aus Afrika betragen rund 246 Milliarden US-Dollar. Dies ist fast das Sechsfache der geleisteten Entwicklungshilfe von rund 44 Milliarden US-Dollar. Transparenz ist die wichtigste Voraussetzung, um Missbrauch einen Riegel vorzuschieben.

    Wir unterstützen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Transparenzrichtlinie, die allen Unternehmen der Rohstoffbranche (Öl, Gas, aber auch Forstwirtschaft) vorschreibt, zukünftig ihre Zahlungen an Regierungen pro Land und pro Projekt zu veröffentlichen. Rohstoffkonzerne leisten derzeit massiven Widerstand gegen die neue Regulierung. Und die Bundesregierung verweigert sich dem Vorschlag der Veröffentlichung der Zahlungen auf Projektebene und versucht, die Schwelle für die Berichtspflicht noch höher als 100.000 Euro zu setzen. Damit isoliert sich die Bundesregierung nicht nur innerhalb Europas, sondern auch gegenüber dem Europäischen Parlament.
  • Die landwirtschaftliche Nutzung steht vor riesigen Herausforderungen. Wie sollen künftig 9 Milliarden Menschen ernährt werden – und das unter den Bedingungen des Klimawandels und veränderter Konsumgewohnheiten der wachsenden globalen Mittelklassen? Etwa ein Fünftel der weltweiten Getreideernte wird inzwischen zur Produktion von Agrartreibstoffen verwendet. Natürlich gibt es auch andere Faktoren, aber die neue Nachfrage nach Agrartreibstoffen (z. B. die europäische Beimischungsquote) hat dazu geführt, dass die Preise für Agrarprodukte seit 2007 jedes Jahr ein neues Höchstniveau erreichen und im Jahr 2009 erstmals in der Geschichte mehr als eine Milliarde Menschen gehungert haben. Und das, obwohl wir die landwirtschaftlichen Erträge weltweit seit den 60er Jahren um fast 150 Prozent gesteigert haben.

    Mit Investitionen in die Landwirtschaft und in Land lässt sich heute sehr viel Geld verdienen! Das haben inzwischen auch die internationalen Investoren und Spekulanten verstanden – und haben inzwischen fast 200 Millionen Hektar Land zumeist in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern gekauft oder gepachtet, um exportorientierte intensive Landwirtschaft zu betreiben. Mit der Folge, dass kleinbäuerliche Produzenten vielfach von ihrem Land vertrieben werden.

    Wir fordern den Stopp der Landnahmen durch Investoren und kleptokratische Eliten!

    Und wir fordern ein Ende der Spekulation mit Nahrungsmitteln und wirksame Kontrollen an den Rohstoffbörsen und Agrarrohstoffmärkten! Beteiligt Euch an der Kampagne „Mit Essen spielt man nicht!“, die u. a. WEED, Oxfam Deutschland, die Welthungerhilfe, Misereor, attac, Campact und das Südwind-Institut mit einer Unterschriftenaktion an Bundesfinanzminister Schäuble unterstützen!
  • Wir erleben weltweit eine ungeheure ökonomische Machtkonzentration. So wie Großbanken heute Regierungen erpressen – too big to fail –, sind es weltweit nur einige hundert Konzerne, die letztlich unser Leben beherrschen. In der Nahrungsmittelindustrie sind es in Deutschland noch ganze fünf Supermarktketten – Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro –, die sich rund 90 Prozent des Marktes teilen. Eine neue Konzentration von Macht ballt sich in der sogenannten Bioökonomie zusammen. Das ist vornehmlich das Geschäftsmodell großer Konzerne wie Monsanto, BASF, Dow Chemicals, deren Interesse die Kontrolle der Biomasse, der Gene, der sogenannten grünen Energien und der wichtigsten Nahrungsmittelpflanzen ist. Big Energy, BIG Pharma, Big Food, Big Chemical gehen immer neue Allianzen untereinander ein und bilden neue Technologieplattformen. Das Interesse an jeder Form von Leben und Biomasse ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen – von A wie Alge bis Z wie Zuckerrübe – alles ist von Interesse für neue industrielle Produkte, die die Abhängigkeit der Chemie von Erdöl reduzieren und später ganz kompensieren sollen und die Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion sicherstellen soll.

Was so alles als Bio- oder Grüne Ökonomie daherkommt, müssen wir als Zivilgesellschaft viel stärker ins Visier nehmen. Ich habe mir die Konzepte der Grünen Ökonomie in den letzten Monaten gründlich angeschaut. Ich möchte dafür plädieren, dass wir differenzieren: die Konzepte von UNEP unterscheiden sich von denjenigen der OECD, oder Mc Kinseys oder der sog. bioökonomischen Lobby. Bei allen Unterschieden kritisiere ich, dass alle Konzepte das Hohelied der Technologieinnovation und Effizienz pflegen. Welche Technologien und Innovationen? Wem gehören sie? Wer profitiert von ihnen, wer kontrolliert sie? Diese Fragen müssen wir noch häufiger stellen.
Und es wird das Mantra der win-win-Optionen beschworen, als gäbe es beim Grünen Wirtschaften keine sozialen Folgen mehr zu bedenken. Energie- und Ressourceneffizienz sollen uns den Weg aus der Ressourcenklemme führen und die ökologischen Grenzen hinausschieben helfen.
Ich will keine Agrotreibstoffe, die um Nahrungsmittel konkurrieren und Menschen von ihrem Land vertreiben. Ich will keine Wind- oder Photovoltaik Anlagen, die – ob in Mexiko oder Marokko – die einheimische Bevölkerung entwurzelt für das grüne, aber kohlenstoffarme Business. Ich will bei uns keinen Bio-Supermarkt, der seine Angestellten unterhalb des Mindestlohns bezahlt. Nicht jedes Ziel heiligt die Mittel. Das gilt für jede Politik, auch und insbesondere wenn sie grün daher kommt, es aber nicht ist.
Wir brauchen deshalb auch für die Grüne Ökonomie Prüfungen der Sozial- und Technologieverträglichkeit. Wir brauchen demokratische Teilhabe und Partizipation – überall. Soziale und ökologische Gerechtigkeit, politische, soziale, kulturelle Menschenrechte gehören unverbrüchlich zusammen. Hier dürfen wir uns im Namen der „Kohlenstofffreiheit“ nicht auseinander dividieren lassen.

In den letzten Jahren haben wir mit der Finanzmarkt-, Klima-, Ernährungs- und Ressourcenkrise bitter erfahren, dass unser Produktions- und Konsummodell nicht zukunftsfähig ist. Politik und Märkte haben diese Krisen erzeugt, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Menschheit erschüttern. Es ist die Politik, die die Finanzmärkte dereguliert hat. Sie hat es den Finanzmarktakteuren erlaubt, mit immer neuen Finanzmarktprodukten, die jeglicher Kontrolle und Aufsicht entzogen waren (und bis heute teilweise sind), Gewinne in traumhaften Höhen zu machen. „Hilfspakete“, Schutzschirme und Billigkredite der öffentlichen Hand in schwindelerregenden Milliardenhöhen sollen Großbanken und nun auch Staaten vor der Pleite retten – auf dem Rücken von Millionen von Arbeitslosen und ohnehin sozial Schwachen. Wir fordern ohne Wenn und Aber eine drastische Regulierung der Finanzmärkte und eine Finanztransaktionssteuer.

Wir sind Zeug/innen einer gigantischen Umverteilung von Vermögen von unten nach oben, von der Allgemeinheit für einige wenige. Während der Euro-Rettungsschirm auf etwa eine Billiarde Euro gehebelt wird, muss das Welternährungsprogramm (World Food Programm) der Vereinten Nationen beinahe täglich um Geld betteln, um die schlimmsten Hungerkrisen wenigstens einzudämmen. Gerechte Lösungen und Antworten auf die multiplen Krisen sehen anders aus.

Und wir stehen politisch vor zahlreichen Dilemmata. Die große Weltwirtschaftskrise schreit nach mehr Wachstum. Zur Armutsüberwindung wird ebenfalls in klassischen Wachstums- und Entwicklungskategorien gedacht. Der Klimawandel und die wachsende Ressourcenknappheit schreien aber nach globaler Begrenzung, Entschleunigung und Schrumpfung.

20 Jahre nach Rio haben wir es mit einer Wirklichkeit zu tun, in der sich die Finanz-, Klima- und Ernährungskrisen wechselseitig verschärfen. Das Problem scheint zu groß, als dass es von der Politik angepackt würde. Big and doomed to fail? – in Umwandlung der Überschrift dieses McPlanet?

Bei vielen Menschen, in Teilen der Wissenschaft und Politik und einigen Institutionen ist angekommen, dass ein „Weiter so“ nicht geht. Grundsätzliches Nachdenken über neue Wohlstandsmodelle und wie eine Postwachstumsökonomie aussehen könnte, findet überall auf der Welt statt. Wie können wir unsere Gemeinschaftsgüter, die natürlichen, sozialen und digitalen Commons, erhalten und weiter entwickeln? Wie können wir tradierte Vorstellungen zum Wechselspiel von Staat, Markt, Zivilgesellschaft und demokratischer Teilhabe überwinden oder neu denken? Pionierinnen und Pioniere, die einen anderen Lebensstil, ein anderes Leben praktizieren, gibt es viele. Wie können solche Praxen gesamtgesellschaftlich wirkungsmächtig werden?

Der McPlanet-Kongress ist ein Ort des Austauschs zu Analysen und Strategien, der Wissensvermittlung, der Vernetzung und hoffentlich auch ein Labor für viele neue Ideen.

Ich wünsche uns allen ein gutes Gelingen!

 

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Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.