Bericht aus Rio: Zwischen den Welten

Lesedauer: 5 Minuten
 Protestaktion am Strand. Foto: World Development Movement Lizenz: CC-BY Quelle: Flickr

21. Juni 2012

In der Nacht auf den 20. Juni waren überraschend schnell die offiziellen Verhandlungen um den Text der Abschlusserklärung zu Ende gegangen. Ab heute, 21.6., reden die Staatsoberhäupter weiter. Den Inhalt der Abschlusserklärung beschreibt Lili Fuhr hier als ein leises, aber gigantisches Scheitern und begründet auch warum. Wer aber meint, dass der Budenzauber nun vorbei und sich die Kritik erledigt hat, nur weil die Grüne Ökonomie aus der Abschlusserklärung gekippt wurde, irrt.

Im Konferenzzentrum Rio Centro wurde am 20. Juni die Natural Capital Declaration in einem High Level Panel diskutiert – während im Stadtzentrum die brasilianische Zivilgesellschaft mit ihren internationalen Gästen gegen die Finanzialisierung der Natur demonstrierte.

Gestern hat aber nicht nur Rio mobil gemacht, es war der Global Day of Action. Durch die Innenstadt von Rio zog sich eine Demonstration, die mit bunten kreativen Bildern den Protest gegen die Finanzialisierung von Natur und Ökosystemdienstleistungen zum Hauptthema hatte. Aber auch in anderen Städten der Welt wurde die Ablehnung der Zivilgesellschaft gegen den Handel mit der Natur in Aktionen sichtbar gemacht, wie z.B. hier in Paris. Am Strand unweit des Aterro de Flamengo, wo die Zeltstadt des Gipfels der Völker zu finden ist, wurde schon mal symbolisch ausprobiert, wie „The great nature sale“ (Der große Ausverkauf der Natur) rüberkommt. Ein Versuch, Naturprodukte nicht nur am Strand, sondern auch bei ebay zu versteigern, gelang allerdings nicht. Die Aktion wurde als Provokation von den ebay-Betreibern schnell wieder aus dem Netz genommen.

Parallel zu alldem fand im Konferenzzentrum Rio Centro ein High Level Dialog zur Natural Capital Declaration statt. Großbritannien und die Weltbank waren gemeinsam mit den drei Initiatoren der Deklaration, der UNEP-Finance Initiative und ihren Partnern, dem Global Canopy Program und dem Center for Sustainable Studies der Business Administration School at the Getulio Vargas Foundation, die politischen Träger des Events.

Die Weltbank hatte sich im Rahmen ihrer Umweltstrategie für die Jahre 2012-2022 bereits festgelegt, wohin die Reise - unabhängig von den Ergebnissen hier in Rio - gehen soll: „In einer marktbasierten Welt, wenn Naturressourcen immer knapper werden, sollte ihr Preis steigen“, heißt es dort. Das von Großbritannien finanzierte Programm 'WAVES' (Global Partnership for Wealth Accounting and the Valuation of Ecosystem Services) wird aber nicht nur von der Weltbank, sondern auch von den G20 unterstützt. Nichts ist unmöglich. Sie machen den Weg frei.

33 Finanzinstitutionen haben sie bereits unterzeichnet. Die Deklaration wird von weiteren „Stakeholdern“ unterstützt, darunter allen großen Naturschutzorganisationen wie WWF, Flora and Fauna International, Conservation International, aber auch das Carbon Project des Institute for International Trade and Sustainable Development (IISD) hat mit unterschrieben.

Unter Naturkapital versteht man Naturprodukte wie Wasser, Boden, Luft, Pflanzen und Tiere und die Dienstleistungen, die sie jeweils leisten.

Die Erklärung versteht sich als Beitrag des Finanzsektors zum Rio-Gipfel. Sie verfolgt das Anliegen, Naturkapital in die Kreditvergabe, die Investitionen und Versicherung von Produkten und Dienstleistungen integrieren zu können. Ziel ist es deshalb auch, einheitliche Bewertungskriterien und -mechanismen für Naturkapital und die Bilanzierung von Ökosystemdienstleistungen zu erarbeiten. Man gibt zu, dass man damit noch ganz am Anfang steht, aber es ist eine notwendige Voraussetzung für die schrittweise Umsetzung der Deklarationsinhalte. Drum muss hart gearbeitet werden. Wenn ein Buchhaltungssystem und Normative für die Wertermittlung der jeweils kleinsten Handelseinheit (Equivalent) eines bestimmten Naturproduktes einmal stehen, dann könnten Natur oder ihre Dienstleistungen nicht nur als Offsets (Ablasshandel oder Kompensation für Naturzerstörung) auch als Schuldensicherung für Kredite und Versicherungsprodukte eingesetzt werden. Um dieses Geschäftsfeld zu entwickeln, braucht man einheitliche Bewertungssysteme.

Verwandte Ideen sind Inwertsetzung von Patenten als Schuldabsicherungsinstrument. Der Handel mit immateriellen Werten soll also weiter ausgebaut werden. Ein Weg, die Finanzkrise zu lösen. Gerade in Zeiten von Basel III, wo die Forderung nach Erhöhung der Eigenkapitalquote geregelt wird, bieten sich diese Formen der Geldschöpfung geradezu an. Der Handel mit immateriellen Werten ist Teil des Versuches, durch Finanzialisierung nicht nur von Natur, sondern auch anderen immateriellen Werten ein abgestürztes Wirtschaftssystem neu hochzuladen. Darüber hinaus findet sich in der Deklaration die Aufforderung von Finanzinstitutionen an die Regierungen, die nötigen juristischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um Firmen- und Bankgeschäfte zu beleben. Hier gilt es in der Tat noch einige Zweifel und Zurückhaltung zu überwinden. Unter den 33 Unterzeichnerbanken findet sich nämlich keine der ganz großen. Aus Deutschland steht nur die kleine Investmentbank Oppenheim auf der Liste. Die Idee ist in die Welt gekommen, nun wird an ihrer Verfeinerung gearbeitet.

Eine Aktivistin der britischen Organisation World Development Movement hatte sich während der Rede des stellvertretenden UK-Premiers Nick Clegg mit einer Maske seines Gesichts verkleidet und gab als sein Double die Rolle des Auktionärs beim „Great Nature Sale“ auch im Konferenzzentrum. Das Video dazu kann man hier sehen.

Bank Track hatte schon am 16. Juni, als die Deklaration vorgestellt worden war, kritisiert, dass sie sich an einem völlig falschen Verständnis von Krisenursachen orientiert, da sie darauf zielt, die Unvollkommenheit der Bewertungskriterien für Naturkapital und Ökosystemdienstleistungen zu beheben, statt Systemfehler zu korrigieren.

Wir fahren bald nach Hause. Doch die Show geht weiter.  

Dossier

20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel wird sich die Weltgemeinschaft vom 4. bis 6. Juni 2012 erneut in Rio de Janeiro treffen. Für die Stiftung ist Rio 2012 Anlass und Gebot, sich aktiv in die politischen Debatten und die Suche nach Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit einzumischen.