Der Green New Deal - Ausweg aus der griechischen Krise

Protest der griechischen "Empört"-Bewegung, Athen, 25.Mai 2011. Bild: linmethu. Lizenz: CC BY-SA 2.0. Original: Wikimedia Commons.

Von der Wut zu einer bewussten sozial-ökologischen grünen Reform

16. Januar 2012
Nikos Chrysogelos


Die griechische Haushaltskrise hat sich zu einer schweren Wirtschafts- und Gesellschaftskrise entwickelt. Das liegt zum einen an den ernsten strukturellen Defiziten des Landes (auf den Ebenen der sozialen Organisation, der Verwaltung, des Entwicklungs- und Konsummodells, der herrschenden Werte u.a.), den Eigenschaften des griechischen politischen Systems, der verfehlten und ineffektiven Politik der Regierungen vergangener Jahrzehnte. Es liegt aber auch an den strukturellen Problemen der Eurozone und dem Fehlen einer europäischen Führung, die rechtzeitig, effektiv und visionär eine europäische Strategie zur Bekämpfung der Krise in der Eurozone und den Ländern Südeuropas entwickelt und durchgeführt hätte. Die politischen Rezepte der Troika erweisen sich als ineffektiv. Anstatt bei der Bekämpfung der Haushaltskrise zu helfen, haben sie deren Ausweitung in eine schwere Wirtschafts- und Gesellschaftskrise bewirkt.

Der Ausweg Griechenlands aus der Krise erfordert Veränderungen auf drei Ebenen:

  • Europäische Ebene: Reform der EU und der Eurozone, Bildung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik und Governance, Demonstration wahrhafter europäischer Solidarität, sodass die notwendigen Reformen vorangetrieben werden, politische Integration der EU, Bereitstellung geeigneter Instrumente zur Wiederbelebung der Wirtschaft (Eurobonds, Erhöhung des EU-Haushalts, Bereitstellung technischer Hilfe u.a.); Unterstützung der südeuropäischen Länder bei der erfolgreichen Implementierung der nötigen politischen, sozialen, ökonomischen und fiskalischen Reformen gemeinsam mit und nicht gegen die Gesellschaft – in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen.
  • Nationale Ebene: Veränderung der heutigen katastrophalen Politik und Bildung eines im gesellschaftlichen Dialog entstehenden Reformplans, durch den es gleichzeitig gelingt, die sozialökologisch grüne Wende der Wirtschaft zu vollziehen, Nachhaltigkeit und sozialen Zusammenhalt zu sichern, die öffentliche Finanzwirtschaft zu verbessern und eine bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen. Dies erfordert die Aktivierung der lebendigen Kräfte der Gesellschaft, eine Rehierarchisierung der Werte, eine grüne und soziale Innovation sowie den effektiven und effizienten Einsatz von EU-Mitteln.
  • Regionale und kommunale Ebene: Bildung eines Strategieplans zu Nachhaltigkeit, sozialem Zusammenhalt, Konvergenz und Beschäftigung 2012-2020 für jede Region; aus der Summe dieser Pläne Entwicklung eines nationalen Strategieplans.

Wenn wir der Krise begegnen und deren Ursachen bekämpfen wollen, müssen wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, bewusst Werte verändern und neue politische sowie gesellschaftliche Prioritäten setzen können. Die griechische Gesellschaft muss heute von der Phase der Wut und des Protestes übergehen zu dem bewussten Versuch, von unten einen alternativen Plan zum Ausweg aus der Krise zu entwerfen; entsprechend muss sie Entscheidungen treffen in bezug auf ihre Zukunft, aber auch in bezug auf die Rolle, die sie auf europäischer Ebene spielen möchte.

Der Wohlstand der Gesellschaft wird in den nächsten Jahren nicht mehr auf dem Erwerb von Einkünften und der Verfolgung persönlicher Ziele beruhen können. Daher müssen wir als Gesellschaft eine neue Strategie entwickeln, die auf die Entwicklung der sozialen und ökologischen Infrastrukturen als Ausgleich für den Verlust eines bedeutenden Teils unserer Einkünfte setzt. Die gezielte Verbesserung der sozialen Infrastrukturen und des Zugangs zu den öffentlichen Gütern - Gesundheit, Verkehr, Bildung und Wohnen - kann den heute gewaltsam eingetretenen Ausfall von Einkünften kompensieren. Gleichzeitig muss die Wende der Wirtschaft hin zu Innovation und grünen Technologien das Hauptinstrument zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie gesellschaftlich nützlicher ökonomischer Aktivitäten darstellen.

Verwaltungsreform

Notwendig ist die Reform der Verwaltung hin zu mehr Flexibilität, ökonomischer, ökologischer und sozialer Effektivität zum Nutzen der Bürger/innen und im öffentlichen Interesse. Hierzu erforderlich ist die Kooperation der Angestellten im öffentlichen Sektor, der Rückgriff auf die Vorschläge von Expert/innen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die Förderung der Kompetenzen und Leistungspotentiale der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wobei auf gute Beispiele und Praktiken anderer europäischer Länder zurückgegriffen werden sollte. Die Ermutigung von Initiativen von unten in Verbindung mit einer Null-Toleranz-Politik gegenüber der Korruption werden die Verschwendung, die Parteilichkeit, den Klientelismus und die Ineffektivität im öffentlichen Sektor einschränken.

Ein Ausweg aus der Krise ist nicht zu erreichen durch die Auflösung der Verwaltung und massenhafte Entlassungen von Staatsbediensteten ohne Perspektive auf eine Beschäftigung in einer würdigen und den jeweiligen Qualifikationen angemessenen Position. Die Anzahl öffentlicher Bediensteter könnte reduziert werden durch die Entwicklung eines dritten, sozialen Sektors in Verbindung mit Anreizen zum freiwilligen Ausscheiden aus dem festen Anstellungsverhältnis des öffentlichen Dienstes. Durch ihre Arbeit in genossenschaftlich organisierten sozialen Unternehmen würden diese Beschäftigten gemeinsam mit Arbeitslosen auch aus dem privaten Sektor in ein neues Verhältnis der Kooperation zum öffentlichen Sektor treten. Auf diese Weise können zugleich folgende Ziele erreicht werden: die Reorganisation der Verwaltung, die Aktivierung der Fähigkeiten von Angestellten, die heute im bürokratischen öffentlichen Sektor ersticken, die Beschäftigung junger Arbeitsloser sowie die Ergänzung der Einkünfte von Angestellten durch neue Finanzierungsquellen.

Verstärkung der sozialen und ökologischen Infrastrukturen in Verbindung mit der Bekämpfung der Haushaltsprobleme (Defizit, Schulden, Handelsbilanz)

Vorangetrieben werden muss ein Strategieplan für zeitgemäße soziale Solidarität, die ergebnisorientiert auf die Unterstützung Hilfebedürftiger ausgerichtet ist, und dem Ausufern der Bürokratie und Mitnahmeeffekten einen Riegel vorschiebt. Dazu gehören:

  • Bildung einer Strategie und Hierarchisierung der Prioritäten in Hinblick auf die Zuteilung von EU-Mitteln. Ziel ist der Ausgleich von Einkommensverlusten durch den Ausbau der sozialen und ökologischen Infrastrukturen und öffentlichen Güter (vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Alterssicherung, soziale Solidarität, Lebensqualität in Wohnvierteln, Verkehr u.a.), sodass jedem ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird, auch wenn sich das Budget der Familie radikal vermindert hat.
  • Schaffung eines zeitgemäßen Netzwerks sozialen Schutzes für Menschen und Gruppen, die heute mit der Arbeitslosigkeit sowie der Gefahr sozialer Ausgrenzung und Marginalisierung konfrontiert sind.

Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger/innen, Staat in einem neuen politischen System

Nötig ist eine öffentliche Debatte über eine fundamentale Reform der Funktion der Institutionen, die Sanierung und Veränderung des politischen Systems sowie die konstitutionelle Verfestigung der Veränderungen in Richtung einer partizipatorischen Demokratie.

  • Schaffung eines Gefühls und der Erfahrung der Gleichheit vor dem Gesetz durch die Verfolgung und Bestrafung derjenigen, die öffentliche Ämter für die persönliche Bereicherung missbrauchen.
  • Bekämpfung der Steuerflucht und des Steuerbetrugs, Überprüfung aller Vermögensverhältnisse von Verwaltungsangestellten und Parteifunktionären, die in irgendeiner Weise an der Vergabe öffentlicher Aufträge beteiligt gewesen sind. Rückführung von illegal erworbenem Vermögen in die öffentlichen Kassen.
  • Initiative auf europäischer Ebene für die Besteuerung privaten Vermögens ab einer bestimmten Höhe, gemäß dem Vorschlag einer laufenden gemeinsamen Initiative griechischer und deutscher grüner Politiker/innen.
  • Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission durch das Parlament, die Daten sammeln und Entscheidungen dokumentieren soll, die das Land in den Bankrott geführt haben, und danach unterscheidet, ob und welcher Teil der Schulden auf Entscheidungen im Sinne von odious depts und welcher Teil auf strategisch falsche Weichenstellungen zurückzuführen ist.
  • Garantie der griechischen Grenzen durch die EU und durch Abkommen mit den Nachbarstaaten und Aussetzung der Rüstungsprogramme für die nächsten 5 Jahre.

Grüne Formen der Wirtschaft, Innovation, grüne Investitionen

Wir brauchen einen im gesellschaftlichen Dialog sich entwickelnden Wirtschafts-Reformplan auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene. Hierzu müssen die Voraussetzungen für grüne Innovationen sowie die Gewinnung sozial verantwortlicher, grüner Investitionen hauptsächlich durch mittelständische und soziale Unternehmen geschaffen werden. Der Rückfall in vor-ökologische Denkweisen und Handlungsmustern der 1950er und 1960er Jahre wird lediglich zur Folge haben, dass den Finanzschulden noch größere Umweltschulden mit hohen gesellschaftlichen Kosten hinzugefügt werden.

Zur Neuorientierung der Wirtschaft und des Ressourcenverbrauchs gehören:

  • die Wiederbelebung ländlicher Regionen durch die Förderung der biologischen Landwirtschaft und Viehzucht, verschiedener Formen des Öko- und Agrotourismus in Verbindung mit der Entwicklung einer zeitgemäßen und flexiblen sozialen Infrastruktur und sozialer Sicherungssysteme (Gesundheit, Bildung, Alter, Arbeitslosigkeit);
  • nachhaltige Formen von Fischerei und Meeresschutzgebieten, damit die Biodiversität des Meeres wiederhergestellt und ergänzende Einkünfte für Fischer und Inselbewohner/innen geschaffen werdennachhaltiges Management von Abfall, Wasser und natürlichen Ressourcen sowie der NATURA-Schutzgebiete; Ausweitung von Programmen zur Wiederherstellung von Biodiversität;
  • Energieeinsparung und energetische Gebäudesanierung;
  • Förderung regenerativer Energieträger und -netze durch Kapitalbeteiligungsgesellschaften mit dem Ziel der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, insbesondere von den umfangreichen Erdöl-Importen; Kommunalisierung der bedeutenden Mittel, die heute in den Erdöl-Import fließen;
  • ökologische Umgestaltung des städtischen Umfelds, Aufbau sozial-ökologischer Wohnviertel, die auf die soziale Integration von sozial schwachen Gruppen und Migranten abzielen.

Wir brauchen:

Neue Prioritäten bei der Förderung von Projekten: Gefördert werden sollen vor allem Projekte und Programme, welche die Wende zu grünen Wirtschaftsformen stützen und neue Arbeitsplätze schaffen, zur Verbindung zwischen verschiedenen ökonomischen Sektoren (z.B. Tourismus und Produktion hochwertiger biologischer Produkte) ermutigen, soziale und ökologische Infrastrukturen schaffen, die notwendig für die Bürger/innen und den Schutz der Umwelt sind, und zum sozialen Zusammenhalt, zur Behebung von Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung beitragen.

Stärkung der Finanzausstattung der Kommunen: Gefördert werden muss die Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen mit dem Effekt der Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort. Ein Beispiel für die wirtschaftliche Regionalisierung ist die Verschiebung der Energieproduktion von den fossilen Brennstoffen hin zu regenerativen Energieträgern und mehr Energieeinsparung. Diese Wende kann so vollzogen werden, dass sie Vorteile für die Gemeinden bietet. Das ist der Fall, wenn ‚grüne Pläne‘ befolgt werden, welche die lokalen regenerativen Energieträger durch Kapitalbeteiligungsgesellschaften ausnutzen, sodass Arbeitsplätze entstehen, neue Möglichkeiten der Beschäftigung und Dezentralisierung für junge Menschen geschaffen werden, und wieder Kapital in die kommunale Wirtschaft investiert wird, das heute auf den Import von Erdöl verwendet wird.

Neuausrichtung des Steuersystems: Das Steuersystem muss neu ausgerichtet werden auf die Förderung von Beschäftigung, grüner und sozialer Innovationen sowie lokaler, hochwertiger und grüner Produkte auf einer kommunalen/regionalen Ebene (z.B. niedrigere Mehrwertsteuer auf Produkte, die aus der näheren Umgebung stammen oder unter Einsatz regenerativer Energieträger und in ökologisch verantwortlichen Verfahren hergestellt werden, Aufhebung der übermäßig starken Besteuerung von Arbeit usw.). Auf diese Weise kann mit der Reduktion der Umweltbelastung auch mehr Arbeit und sozialer Wohlstand erreicht werden.

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Übersetzung aus dem Griechischen: Marco Hillemann


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23./24.1.12, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin10651
Hellas in der Krise
Wie kann sich Griechenland in Europa neu erfinden?
in Kooperation mit der FU Berlin, Institut für Griechische und Lateinische Philologie
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Foto: privat

Nikos Chrysogelos

Nikos Chrysogelos, ist ab Februar 2012 Mitglied des Europäischen Parlaments für die Grün-Ökologische Partei Griechenlands.