Bericht "Zur Lage der Welt 2010"

Aus der Reihe
19.00 €

Zur Lage der Welt 2010

Bericht "Zur Lage der Welt 2010"

17. März 2010

Vorwort der deutschen Herausgeber

Im Anschluss an den gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen hat das Worldwatch Institute in Washington seinen Bericht zur Lage der Welt 2010 mit dem englischen Titel Transforming Cultures: From Consumerism to Sustainability herausgegeben. Nach dem Unvermögen der Regierungen, sich auf eine globale Antwort auf den Klimawandel zu verständigen, ist es spätestens jetzt sinnvoll, verstärkt die Veränderungsbereitschaft der Zivilgesellschaft anzusprechen. Es geht um einen tiefgreifenden Wandel von Gewohnheiten und Verhaltensweisen: von einem verschwenderischen Lebensstil zu einem ökologisch verantwortlichen Wohlstandsmodell.

Das sagt sich leichter, als es getan ist. Vor allem wird man ohne die richtigen Rahmensetzungen seitens der Politik nicht auskommen. Zwar hat jeder Einzelne schon heute mehr oder weniger große Entscheidungsspielräume: wie wir uns ernähren, wie viel und welchen Strom wir verbrauchen (Ökostrom ist eine Alternative!), wie viel Auto wir fahren, welche Art von Urlaub wir machen, wie umweltbewusst wir einkaufen. Hausbesitzer können den Wärmeverbrauch ihrer Gebäude drastisch senken und auf umweltfreundliche Heizungsanlagen umstellen. Und wir alle haben als Kunden durchaus Einfluss auf die Produktpolitik der Unternehmen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot mindestens so sehr wie neue Angebote auch neue Nachfrage hervorrufen (Apple lässt grüßen!).

Aber letztlich kann das individuelle Verhalten die großen Weichenstellungen in der Energie-, Verkehrs- oder Steuerpolitik nicht ersetzen. Wenn das System falsch programmiert ist, stößt der gute Wille der Einzelnen an Grenzen. Deshalb brauchen wir auch weiterhin den UN-Klimaprozess und völkerrechtlich verbindliche Abkommen. Auch das Welthandelssystem muss reformiert werden. Sonst werden wir das Ziel einer Halbierung der globalen Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 nicht erreichen. Und das heißt auch: Wir in den Industrieländern müssen bis 2050 bei 100 Prozent Erneuerbaren Energien ankommen!

Der vorliegende Report versammelt eine Vielzahl ermutigender Beispiele für neue Verhaltensmuster und Lebensstile. Das gilt sogar für die USA, deren verflossener Präsident noch verkündete, der »American Way of Life« sei nicht verhandelbar. Was sich in Amerika tut, ist von besonderer Bedeutung, da die Vereinigten Staaten nun endlich von einem Bremser zu einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit werden müssen. Das Jahr 2010 ist dafür der Lackmustest: In diesem Jahr wird der Senat hoffentlich eine nationale Energie- und Klimagesetzgebung verabschieden, mit der die USA Anschluss an Europa und China finden. Sonst können sie sich nicht glaubwürdig an den internationalen Klimaverhandlungen beteiligen, die auch nach Kopenhagen weitergehen werden. Der nächste Klimagipfel in Mexiko Ende diesen Jahres wird den USA sehr dicht auf die Pelle rücken. Und er wird auch die Debatte über die Veränderung der Alltagskultur in den Vereinigten Staaten schüren.

Auch Europa ist gefordert. Die Europäische Union muss sich endlich ohne Vorbehalt zum Ziel einer 30-prozentigen Reduzierung von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 bekennen. Und Deutschland muss deutlich machen, wie es die von der Bundesregierung bekräftigte Zielmarke von minus 40 Prozent umsetzen will. Das geht nur durch eine große konzertierte Aktion von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Mehr ökologische Rücksicht und Weitsicht muss für Alle zum elften Gebot werden. Dabei können wir unterm Strich sogar an Lebensqualität gewinnen. Nicht immer mehr, sondern anders bzw. einfach besser ist eine viel versprechende Devise – für die Politik, für unsere Arbeit wie auch für unsere persönliche Lebensführung.

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender Germanwatch

 

 


Einfach besser leben - Nachhaltigkeit als neuer Lebensstil -
Bericht "Zur Lage der Welt 2010"
   
Herausgeber/in Worldwatch Institute
Erscheinungsort München
Erscheinungsdatum 17. 2010
Seiten 300
ISBN 978-3-86581-202-5
Bereitstellungs-
pauschale
19,90 Euro


Vorwort von Muhammad Yunus

Ich freue mich sehr über den Entschluss des Worldwatch Institute, sich im Bericht Zur Lage der Welt 2010 der schwierigen Frage des Lebensstilwandels zu widmen. In den vergangenen drei Jahrzehnten musste ich mich im Zentrum meines Engagements für das Konzept der Mikrofinanzierung mit dem Jahrhunderte alten Glauben auseinandersetzen, dass arme Frauen, die darüber hinaus nicht lesen und schreiben können, aus eigener Kraft nicht zu Wohlstand gelangen könnten. Die Mikrofinanzierung bestreitet diesen grundlegenden kulturellen Irrtum.

Solche in der Kultur verwurzelten Fehlschlüsse sind schwer auszurotten. Meine ersten Anfragen an Banker, armen Frauen einen Kredit zu geben, riefen entschiedene und heftige Einwände hervor. „Arme Leute sind nicht banktauglich. Sie sind nicht kreditwürdig“, meinte ein Banker und fügte obendrein hinzu: „Ihrem Geld können Sie Lebewohl sagen.“ Der erste Versuch war allerdings überaus ermutigend – unsere Kreditnehmer stellten sich als erstklassige Kunden heraus, die ihre Schulden pünktlich zurückzahlten. Die gewöhnlichen Banker nannten das jedoch einen Glückstreffer und blieben unbeeindruckt. Als wir in einer ganzen Reihe von Dörfern Erfolg hatten, zuckten sie nur mit den Schultern.

Ich begriff, dass sich ihre Vorurteile gegenüber den Armen nur schwer erschüttern lassen würden, ganz egal, wie viel Erfolg wir hatten. Sie wussten es einfach besser – arme Leute sind nicht kreditwürdig! Ich erkannte, dass es meine Aufgabe war, den Samen einer neuen Finanzkultur auszusäen, indem ich die falschen Grundgedanken vom Kopf auf die Füße stellte: In Wahrheit ist es nicht so, dass die Armen nicht mit Krediten umgehen können, sondern dass die herkömmlichen Banken nicht mit Menschen umgehen können.

Also machten wir uns daran, einen neuen Typus Bank zu schaffen, eine Bank, die darauf ausgerichtet war, den Armen zu dienen. Herkömmliche Banken bauen auf dem Prinzip auf, „dass man um so mehr bekommen kann, je mehr man hat“. Wir drehten das Prinzip dahingehend um, dass man umso dringender einen Kredit braucht, je weniger man hat. So bauten wir eine neue Kultur der Finanzierung und der Hilfe für die Armen auf, bei der den Ärmsten zuerst geholfen wird und ein winziges Kapital bitterste Armut in die Chance verwandeln kann, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Nach Jahren gewissenhafter Vorarbeit wurde daraus die Grameen Bank, die heute jährlich eine Milliarde Dollar Kredite an 8 Millionen Kreditnehmer vergibt. Unser durchschnittlicher Kredit beträgt 360 Dollar, und 99 Prozent der Finanzierungen werden pünktlich zurückgezahlt. Heute gehören Kredite an Bettler, Kleinstspareinlagen („micro-savings“) und Kleinstversicherungspolicen zum Programm. Und wir sind stolz darauf, dass der Mikrokredit heute weltweit verbreitet ist.

Ein Finanzwesen für Arme, mehrheitlich Frauen – das ist ein kultureller Wandel.

Heute weiß ich, dass selbst hartnäckige Vorurteile überwunden werden können, und deshalb bin ich von dem Bericht Zur Lage der Welt 2010 begeistert. Das Buch fordert einen der einschneidendsten kulturellen Paradigmenwechsel, den man sich vorstellen kann: von einer Kultur des Konsumismus zu einer Kultur der Nachhaltigkeit. Das Buch geht weit über die Standardrezepte für saubere Technologie und aufgeklärte Politik hinaus. Es plädiert dafür, die Grundlagen der modernen Konsumkultur zu überdenken – die als „natürlich“ betrachteten Praktiken und Werte, die paradoxerweise die Natur ausplündern und den menschlichen Reichtum gefährden.

Worldwatch hat sich eine ehrgeizige Aufgabe gestellt. In der Geschichte hat keine Generation einen so umfassenden kulturellen Umbruch geschafft wie den, der in diesem Buch gefordert wird. Die zahlreichen Beiträge in diesem Buch zeigen, dass ein solcher Umbruch möglich ist, wenn man die Grundvoraussetzungen des modernen Lebens auf den Prüfstand stellt, angefangen dabei, wie Geschäfte geführt werden, über die Lehrinhalte in den Schulen bis zu den Prinzipien, nach denen Städte gestaltet werden. Der Leser wird eventuell nicht jeder hier vorgestellten Idee zustimmen. Aber es ist fast unmöglich, von der Kühnheit des Buches nicht beeindruckt zu sein. Seine Grundannahme ist die, dass ein umfassender kultureller Umbruch möglich ist. Nachdem ich die kulturellen Umbrüche für die Frauen in Bangladesch selbst erlebt habe, glaube ich, dass das möglich ist. Letztendlich dient die Kultur dazu, den Menschen die Entfaltung ihres Potentials zu ermöglichen, und nicht dazu, eine Mauer zu bilden, die sie am Vorwärtskommen hindert. Eine Kultur, die es den Menschen nicht erlaubt zu wachsen, ist eine tote Kultur. Eine tote Kultur gehört ins Museum und nicht in die menschliche Gesellschaft.

Muhammad Yunus, Gründer der Grameen Bank und Friedensnobelpreisträger 2006

Inhalt und Leseproben


 

Kapitel 1: Alte und neue Traditionen

  • Religionen im Dienste der Nachhaltigkeit
    Gary Gardner
  • Ritual und Tabu als Schutzengel der Ökologie
    Gary Gardner
  • Wie viele Kinder dürfen es denn sein? Über Familien und Nachhaltigkeit
    Robert Engelman
  • Die Alten – eine kulturelle Ressource für nachhaltige Entwicklung
    Judi Aubel
  • Von der Agrikultur zur Permakultur
    Albert Bates und Toby Hemenway

Kapitel 2: Der neue Bildungsauftrag: Nachhaltigkeit

  • Spielend in die neue Welt. Über frühkindliche Erziehung und Nachhaltigkeit
    Ingrid Pramling Samuelsson und Yoshie Kaga
  • Der Kommerz im Leben von Kindern
    Susan Linn
  • Wer hat Appetit auf Neues? Über den Einfluss der Ernährung in der Schule
    Kevin Morgan und Roberta Sonnino
  • Hochschulbildung – für die Zukunft
    David W. Orr

Kapitel 3: Unternehmertum und Wirtschaft: Neue Prioritäten für das Management

  • Institutionen für das Leben
    Robert Costanza, Joshua Farley und Ida Kubiszewski
  • Unternehmen können auch anders
    Ray Anderson, Mona Amodeo und Jim Hartzfeld
  • Innovation für Nachhaltigkeit: Soziale Unternehmer
    Johanna Mair und Kate Ganly
  • Die Wirtschaft im Kleinen: ganz groß
    Michael H. Shuman

Kapitel 4: Die Rolle des Staates 

  • Die gelenkte Wahl. Wie man nachhaltiges Verhalten steuern kann
    Michael Maniates
  • Sicherheit bedeutet mehr
    Michael Renner
  • Sustainability and the City. Wie sich die Städte eine Zukunft bauen
    Peter Newman
  • Das Recht der Erde
    Cormac Cullinan

Kapitel 5: News und Nachhaltigkeit: Die Rolle der Medien

  • Seifenopern verkaufen oder Nachhaltigkeit? Über soziales Marketing
    Jonah Sachs und Susan Finkelpearl
  • Was will uns die Werbung damit sagen? Über Medienkompetenz und Nachhaltigkeit
    Robin Andersen und Pamela Miller
  • Mit Musik beginnt Veränderung
    Amy Han

Kapitel 6: Die Macht der sozialen Bewegungen

  • Die Zeit und die Nachhaltigkeit. Wie wir unser Leben zurückgewinnen können
    John de Graaf
  • Warum weniger einfach mehr ist
    Cecile Andrews und Wanda Urbanska
  • Ein neuer Geist geht um. Über Ökodörfer und Wertewandel
    Jonathan Dawson
  • Anmerkungen

Zur Lage der Welt 2010 zum Hören (MP3)

 

 

Beispiele für neue Lebensstile und Verhaltensweisen


Im Folgenden ein paar Beispiele für neue Lebensstile und Verhaltensweisen aus dem Bericht "Zur Lage der Welt 2010", die die Konsumspirale durchbrechen und eine Kultur der Nachhaltigkeit einleiten:

  • Soziale Unternehmer stoßen durch ihre Produkte oder Dienstleistungen direkt oder indirekt gesellschaftliche Veränderungen an: Das soziale Unternehmen Waste Concern in Dhaka, Bangladesch, errichtet kleine Kompostierungsanlagen und hat Müllsammler eingestellt, die organische Abfälle sammeln. Statt die Abfälle wie üblich zu verbrennen, produziert Waste Concern organischen Dünger: Es entstehen Arbeitsplätze, Müll wird reduziert und chemischer durch organischen Dünger ersetzt.

  • Stadtplaner entwickeln Siedlungen, deren ökologischer Fußabdruck drastisch verkleinert ist: Das CO2-neutrale Sozialwohnungsbauprojekt im Londoner Stadtteil Beddington verwendete für den Bau der Häuser lokale und recycelte Materialen. Außerdem verfügt die Siedlung über ein mit Biomasse befeuertes Blockheizkraftwerk, Solarzellen und sog. Permakulturgärten, auch Grauwasser wird wiederhergestellt. Ein breites Angebot vor Ort verkürzt die Wege, die Zugstation liegt um die Ecke.

  • Kirchen und Religionen setzen sich aktiv für die Bewahrung der Schöpfung ein: Interfaith Power and Light ist eine Initiative aus San Francisco, die amerikanischen Glaubensgemeinschaften hilft, ihre Gebäude zu ökologisieren, Energie zu sparen, das Bewusstsein für Energie- und Klimafragen zu schärfen und die Klima- und Energiepolitik auf staatlicher und auf Bundesebene zu unterstützen.

  • Schulen demonstrieren Nachhaltigkeit im Alltag: Der Ort Lecco in Italien hat seine Schulbusse abgeschafft und „Gehbusse“ eingeführt: Es gehen jeden Tag 450 Grundschüler mit einem „Fahrer“ und freiwilligen Eltern auf 17 Routen zu 10 verschiedenen Schulen. Seit ihrer Erfindung haben die „Pedibusse“ mehr als 160.000 Kilometer Fahrleistung eingespart.

Archiv

 
Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
17. März 2010
Herausgegeben von
Worldwatch Institute
Seitenzahl
300
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten
ISBN / DOI
978-3-86581-202-5
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