Machen Volksvertretungen einen Unterschied? Parlamente und Demokratisierung in Afrika

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Perspectives #02/2012

Machen Volksvertretungen einen Unterschied? Parlamente und Demokratisierung in Afrika

29. August 2012

Starke Volksvertretungen sind neben freien und fairen Wahlen das Fundament repräsentativer Demokratien. Die Bedeutung von Parlamenten als Häuser der gewählten Volksvertreter beruht, zumindest in der Theorie, darauf, die Interessen der Wähler zu „repräsentieren“, wodurch ein Gegengewicht zur Macht der Exekutive über den Staatsapparat hergestellt werden soll.

Der Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent hinterließ ein Vermächtnis an repressiver Regierungsführung und schwachen Institutionen; disparate Gruppierungen trieb er zur Bildung eigener Staaten. Während die in den letzten fünf Jahrzehnten gegründeten post-kolonialen Parlamente Afrikas bis zu einem gewissen Grad erfolgreich als Foren zur Vermittlung bei Konflikten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen fungiert haben , fällt ihre Erfolgsbilanz als Institutionen für die Gestaltung der öffentlichen Ordnung jedoch wesentlich schwächer aus. Zudem wurde ihre Kontrollfunktion durch die mächtigen Exekutiven untergraben.

Die Artikel in dieser Ausgabe von Perspectives werfen ein Licht darauf, in wie weit es den afrikanischen Legislativen gelang sich vom „schwächsten Glied“ der Regierung hin zu stärkeren, unabhängigen Institutionen zu entwickeln. Nehmen afrikanische Parlamente tatsächlich die privilegierte Stellung ein, die ihnen in repräsentativen Demokratien zukommt? Dienen die Legislativen tatsächlich dem demokratischen Vorhaben Afrikas, und wenn ja, wie gut gelingt es ihnen? Sind die Parlamente auf dem Kontinent eine Einrichtung der Eliten oder räumen sie „Volkes Stimme“ einen Platz in den politischen Machtgefügen ein?

Dass einige afrikanische Parlamente einen neuen Weg angetreten haben, zeigt der Beitrag von Mattes, Mozaffer und Barkan. Sie argumentieren, dass die Parlamente in Ländern wie Ghana, Kenia, Uganda und Südafrika in den vergangenen zwei Jahrzehnten Maßnahmen ergriffen haben, um sich zu Institutionen zu entwickeln, die in der Lage sind ihre Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen umfassend zu erfüllen. Dies beinhaltet auch die Herausbildung von Ausschusssystemen bis hin zu Schattenministern und dem Aufbau eines professionellen Mitarbeiterstabs. Afrikanische Legislativen prüfen und ändern immer öfter Gesetzesentwürfe und beziehen, bis zu einem gewissen Maß, auch die Zivilgesellschaft mit ein – insbesondere in urbanen Ballungszentren.

Allerdings, so argumentieren die Autoren anderer Beiträge, begründen die vorhandenen „technischen“ Mittel nicht unbedingt echten politischen Willen, die Interessen der Bürger zu vertreten oder der Exekutive entgegenzuwirken. Auf internationaler Ebene – wie Zwelethu Jolobe in seinem Beitrag andeutet –, haben das Aufstreben von starken und zentralistisch organisierten politischen Parteien, Interessensverbänden, Medien, die Macht der Konzerne und eine zunehmend spezialisierte politische Maschinerie den Einfluss der gesetzgebenden Gewalt erodiert. Der Aufstieg der „Occupy“-Bewegung in den USA und die Popularität von „Anti-Establishment“-Vereinigungen wie etwa der „Piraten-Partei“ in Deutschland demonstrieren unter anderem, dass in der sogenannten entwickelten Welt, den Industrienationen, trotz all ihrer Ressourcen, die Parlamente in zunehmendem Maße als nicht-partizipatorisch oder als der verlängerte Arm einer gleichgültigen Elite angesehen werden.

Für afrikanische Parlamente, die weitgehend verarmten Wählerschaften dienen und sich noch als „sine-qua-non“, als unabdingbare Voraussetzung von Demokratien in den Augen der Bürger etablieren müssen, stellt dies eine enorme Herausforderung dar. Wie müssten Afrikas Parlamente gestaltet werden, um die Kluft zwischen Bürgern und Eliten besser überbrücken zu können? Wie kann die gesetzgebende Gewalt einen höheren Beitrag zur Institutionalisierung von Demokratien leisten? Die verfassungsrechtlichen Anforderungen Südafrikas und Kenias, die verlangen, dass die Legislativen bei der Bildung partizipatorischer und nicht nur repräsentativer Demokratien mitwirken sollen, deuten auf eine Verlagerung bei der Vorstellung davon, wie Parlamente Bürger mit einbeziehen sollten.

Die Beziehungen zwischen Bürgern und Gesetzgebern, die durch das Wahlsystem bestimmt werden, verweisen auf eine immer wieder kehrende Frage. Systeme mit reinem Verhältniswahlrecht verleihen der politischen Parteiführung teils enormen Einfluss auf Parlamentsmitglieder, verringern die Bedeutung von parlamentarischer Wahlkreisarbeit und überbetonen zuweilen parteipolitische Positionen und Agenden. Auf Wahlkreise und relative Mehrheiten basierende Systeme bevorzugen hingegen die Arbeit von Abgeordneten in ihren Wahlkreisen auf Kosten der „institutionellen“ Arbeit im Parlament. Im Jahr 2009 verwies ein Kommissionsbericht das Parlament Südafrikas nachdrücklich darauf, dass eine Mischung aus reinem Verhältniswahl-Listensystem mit einem Wahlkreissystem für die Stärkung des Parlaments unerlässlich sei. Paradoxerweise setzt sich in dieser Ausgabe der Kritiker des kenianischen Parlaments für eine stärkere Parteidisziplin ein, die erforderlich sei, um den engen und sektiererischen Interessen entgegenzuwirken; und Mattes et al. weisen darauf hin, dass die wichtigste Sorte von Parlamentariern diejenigen sind, die ihre „institutionelle“ Arbeit über ihre Stellung in ihren Wahlbezirken erheben. Beide Funktionen – parteiliche Disziplin und die Konzentration auf die „institutionelle“ Arbeit – würden bei auf Wahlkreisen und relativen Mehrheiten basierenden Systemen eher unterbunden.

Letztlich sind Wahlsysteme, technische Voraussetzungen und institutionelle Regelungen aber nur ein Teil des Bildes. Mindestens ebenso wichtig ist die Fähigkeit der Bürger, aktiv an ihren Parlamenten teilzuhaben, um mit sicherzustellen, dass die Staatsmacht dem Wohle der Allgemeinheit dient.

Keren Ben-Zeev, Stellv. Leiterin Büro Südliches Afrika, Kapstadt

Jochen Luckscheiter, Programmleiter 


Machen Volksvertretungen einen Unterschied? Parlamente und Demokratisierung in Afrika
   
Herausgeber/in Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Südafrika
Erscheinungsort Capetown
Erscheinungsdatum 29. 2012
Seiten 31
ISBN -
Bereitstellungs-
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Veröffentlichungsdatum
29. August 2012
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Südafrika
Seitenzahl
31
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