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Ralf Fücks: "Integrationspolitik in Europa bleibt stark verbesserungswürdig"

Lesedauer: 5 Minuten
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

17. März 2011
Sehr geehrte Damen und Herren, Ladies and Gentlemen,

ich begrüße Sie herzlich im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir freuen uns sehr über das große Interesse und die Teilnahme zahlreicher Fachleute an dieser Konferenz.

An den beiden Konferenztagen wollen wir die Integrationspolitik von 31 Einwanderungsländern unter die Lupe nehmen und prüfen, zu welchen Ergebnissen unterschiedliche Pfade staatlicher Integrationspolitik führen. Die internationale Benchmark-Studie MIPEX liefert dafür wertvolle Anhaltspunkte. Im Vergleich zur Vorgängerstudie wird deutlich, dass in den meisten europäischen Ländern durchaus Verbesserungen hinsichtlich zentraler Kriterien moderner Integrationspolitik zu verzeichnen sind.

Wieweit sich diese Fortschritte bei den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen auch empirisch niederschlagen, also zu einer besseren sozialen und politischen Teilhabe von Migrant/innen führen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Das gilt auch für die gesellschaftliche Akzeptanz einer liberalen Einwanderungspolitik. Auch – oder gerade – dort, wo eher freundliche rechtliche Rahmenbedingungen für Migrant/innen herrschen, sind wir mit dem Erfolg fremdenfeindlicher Parteien konfrontiert. Das gilt auch für skandinavische Staaten, die in migrationspolitischen Vergleichsstudien durchweg positiv abschneiden.  

Auch wenn die Tendenz positiv ausfällt, bleibt die Integrationspolitik der meisten europäischen Staaten stark verbesserungsbedürftig. Da heute Nachmittag Thomas Huddleston von der Migration Policy Group die Ergebnisse präsentieren wird, will ich an dieser Stelle nicht weiter vorgreifen.

Fakt ist, dass die europäischen Gesellschaften heute vor untereinander vergleichbaren Herausforderungen stehen: zunehmende ethnische und religiöse Diversifizierung, weitreichende demografische Veränderungen, tendenziell rückläufige ökonomische Wachstumsraten und ein wachsender globaler Wettbewerb um Talente und Innovationen. Doch fallen die politischen Antworten auf diese Herausforderungen unterschiedlich aus.  

Die meisten europäischen Länder tun sich immer noch schwer damit, Neuankömmlinge aus anderen Kontinenten und Kulturen zu akzeptieren. Das Fehlen einer aufeinander abgestimmten Einwanderungs- und Integrationspolitik der Europäischen Union ist ein Ausdruck dieser Gespaltenheit der europäischen Gesellschaften: Einerseits gibt es eine verbreitete Einsicht, dass unser alternder Kontinent auf Einwanderung angewiesen ist, aber mindestens ebenso verbreitet ist der Widerstand gegen die Konsequenzen aus dieser Einsicht. Kleinkarierte Regelungen zum Familiennachzug, Mobilitätsbeschränkungen innerhalb der EU und die weit verbreitete Angst vor kultureller „Überfremdung“ wirken abschreckend auf potentielle Zuwanderer. Sogar unter bestens integrierten Immigrant/innen der zweiten und dritten Generation nehmen die Stimmen zu, die keine Zukunft in unserem Land sehen und sich mit Auswanderungsgedanken tragen.

Schließlich kann man darauf wetten, dass in jeder wirtschaftlichen Krise die Tendenz zum Abschirmen der nationalen Arbeitsmärkte zunimmt. Schon auf mittlere Sicht wirkt sich dieser vermeintliche Konkurrenzschutz für einheimische Arbeitskräfte verheerend auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Europas aus. Gerade für Deutschland mit seinen gravierenden demographischen Problemen ist Arbeitsmarkt-Protektionismus kein gangbarer Weg. Das Institut Prognos sagt bereits für das Jahr 2015 eine Lücke von drei Millionen Fachkräften in der Bundesrepublik voraus.

Der Ökonom Hans-Werner Sinn hat kürzlich eine Einwanderungswelle nach Deutschland prophezeit, wenn ab 1. Mai diesen Jahres die Zuwanderungsbeschränkungen für die mittel-osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU fallen. Eine verstärkte Werbung um Fachkräfte aus anderen Weltregionen sei deshalb nicht erforderlich. Ich halte das für kurzsichtig. Auch im Osten Europas geht die Zahl junger Menschen deutlich zurück, und bisher ist Deutschland durchaus kein bevorzugtes Ziel für talentierte, gut ausgebildete Zuwanderer, die bereit sind, auf der Suche nach Chancen ihr Land zu verlassen. Bei uns haben viele noch nicht begriffen, dass Deutschland attraktiver für ausländische Hochschulabsolvent/innen und Spezialist/innen werden muss, die sich künftig aussuchen können, in welches Land ihrer Wahl sie gehen wollen.

Während sich die öffentliche Debatte um Zuwanderung und Integration vor allem an kulturellen und religiösen Differenzen festmacht, ist aus unserer Perspektive die ökonomische Integration von Immigrant/innen grundlegend auch für ihre politische Einbürgerung, wenn wir darin nicht nur einen formalen Akt sehen. Der soziale Fahrstuhl nach oben muss funktionieren, das ist der Dreh- und Angelpunkt gelungener Einwanderung. Wer einwandert, muss die Chance haben, durch eigene Leistung sozial aufzusteigen. Das gilt erst recht für die zweite und dritte Generation.

In vielen Großstädten kommt bereits die Hälfte der Kinder aus Migranten­familien. Der künftige Wohlstand der Bundesrepublik hängt auch davon ab, wie viele Erfinder/innen, Unternehmer/innen, Fachkräfte aus ihren Reihen hervorgehen. Qualifizierte Zuwanderung muss sein, aber die größte und wichtigste Talentreserve haben wir im eigenen Land, bei den Kindern und Jugendlichen, die hier geboren wurden und werden. Um ihnen eine reelle Aufstiegsperspektive zu bieten, muss das gesamte Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Universität auf den Prüfstand; ebenso die Einstiegs- und Aufstiegschancen von Migrantinnen und Migranten in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung.

Für die erfolgreiche soziale und politische Inklusion von Migrantinnen und Migranten sind Staat und Politik ein wichtiger, aber nicht der alleinige Faktor. Zivilgesellschaft, Unternehmen, lokale Initiativen und nicht zuletzt der Integrationswille der Einwanderer selbst sind nicht minder wichtig. Auch davon wird im Verlauf der Konferenz die Rede sein.

Diese Tagung ist ein Kooperationsprojekt mit unseren langjährigen Partnern British Council und Migration Policy Group. Bedanken möchte  ich mich bei allen, die aktiv mitgearbeitet haben, insbesondere bei Dr. Guido Jansen vom British Council; bei Jan Niessen und Thomas Huddleston von der Migration Policy Group sowie bei meinem Kollegen Mekonnen Mesghena und seinem Team.

Ich wünsche Ihnen allen anregende Diskussionen sowie einen angenehmen Aufenthalt in Berlin.
Ich gebe nun das Wort an Mr John Whitehead, dem Direktor des British Council.
Vielen Dank!
 

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Bilder der Konferenz