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Neuordnung der Welt - Herausforderungen politischer Zukunftsgestaltung

Lesedauer: 5 Minuten

27. August 2009

Mit Prof. Volker H. Schmidt (National University of Singapor) und
Joscha Schmierer (Zeitschrift «Kommune», Grüne Akademie)
Moderation: Prof. em. Helmut Wiesenthal (Berlin)

Volker H. Schmidt, Professor am Department of Sociology der National University of Singapor, skizzierte in seiner Vorlesung, wie die Staaten Ostasiens zum „Zentrum der Moderne“ aufsteigen werden, allen voran China und Indien. Schmidt blickte zurück auf die Führungsrolle Europas, das von den USA abgelöst wurde, um im folgenden die Unterschiede zur Entwicklung Asiens vorzutragen. „Die Industrialisierung, auf die Marx und Engels bewundernd und erschreckt zurückblickten, ist nichts im Vergleich zu dem, was heute in Asien passiert.“ Anhand zahlreicher Statistiken und Zahlen suchte er zu belegen, dass Asien in 30 Jahren wirtschaftlich mehr als doppelt so stark wie Europa sein wird. Dieses Wachstum erstrecke sich keineswegs „nur“ auf Industriegüter, sondern auch auf die wissenschaftliche Wissensproduktion an Universitäten und Hochschulen. „China plant 100 Unis auf internationales Niveau zu bringen“, sagte Schmidt. Schon jetzt bilde die Volksrepublik mehr Ingenieure aus als ganz Europa, und Bildung genieße hohes Ansehen im konfuzianischen Denken.

In der Folge des asiatischen Aufstiegs sah Schmidt eine Zäsur voraus: das Ende der westlichen Vorherrschaft. Zwei Szenarien seien wahrscheinlich: Entweder ein Zentrumswechsel der Moderne, also eine Verlagerung hin nach Asien. Oder eine multipolare Welt ohne Hegemon. Er selbst, sagte Schmidt, neige zu einer Kombination beider Szenarien, also der Annahme, dass Ostasien zum Zentrum der Moderne aufsteigt, aber keine so eindeutige Führungsrolle einnehmen wird wie heute die USA. Die neue Weltordnung werde sich von der alten grundlegend unterscheiden, ein asiatisches Jahrhundert breche an - mit massiven Auswirkungen auf das politische Selbstverständnis des Westens. Demokratie sei kein Teil des „Bejing Consensus“, sie werde bei zunehmender Bedeutung der asiatischen Staaten auch in Europa auf die Probe gestellt.

Die Entwicklung einer neuen Weltordnung

Dass er die „Verallgemeinerung der Modernisierung“ nicht als schlechte Nachricht verstehe, betonte Joscha Schmierer, Herausgeber der Zeitschrift „Kommune“, sondern als „Überwindung eines außergewöhnlichen Zustands“. Er könne dazu als Interpretationsmuster einen einordnenden historischen Rückblick anbieten: Bis 1914 sei die imperiale Globalisierung durch europäische Weltreiche vorangetrieben worden, die Modernisierung durch die Rivalität der europäischen Imperien. Die Entwicklung einer neuen Ordnung nach 1914 mit dem Aufstieg der USA bis 1989 sei äußerst blutig verlaufen. Die Vereinigten Staaten verstehe er, Schmierer, als „besondere politische Einheit ohne sichere Identität“ - kein Imperium, aber auch kein Staat unter Staaten. Seit 1989 könne man vom Zeitalter der Globalisierung sprechen, zweierlei bilde sich aus: Staatenwelt und Weltwirtschaft - einhergehend mit dem Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und transnationaler Vernetzung der Ökonomie.

Schmierer sagte, er halte es für Unsinn, weiterhin in Polen zu denken, also über Multi- oder Unipolarität zu diskutieren. „Wir können zurecht von einer nonpolaren Welt sprechen.“ An eine wie auch immer geartete Weltherrschaft durch einzelne Staaten sei nicht zu denken, auch nicht durch China. Schmidt verstand Schmierers Ausführungen als „komplementär“ zu seinen eigenen und nannte sie die „europäische Wohlfühlvariante“. China werde ein anderes Gewicht haben, auch wenn es sich nicht zum Imperium entwickeln werde. Die sich daran anschließende Debatte wurde moderiert von Helmut Wiesenthal, Mitglied der Grünen Akademie.

Wie stark ist die Demokratie?

Intensiv wurde die Frage diskutiert, inwiefern die Demokratie als Leitbild unter Druck geraten werde durch den Aufstieg Asiens. Tine Stein, Mitglied der Grünen Akademie, warf die Frage auf, ob nicht Demokratien eher in der Lage seien, Entwicklungskosten zu internalisieren, also etwa auf den Verbrauch von Umwelt zu reagieren und auf Armutsprobleme und Migration. Im Plenum kam jedoch auch die Überlegung auf, ob nicht ein Weniger an Demokratie ein Mehr an Finanzmarktkontrolle ermöglichen könnte. Dem widersprach Brigitte Young, Professorin für Politikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: „Demokratien können Krisen besser bewältigen.“ Das pure Vorausberechnen des asiatischen Aufstiegs anhand von Statistiken und Zahlen lasse keine qualitative Beurteilung zu. „Zahlen sind immer politisch“, und daher müsse darüber diskutiert werden, woraus sich etwa das Bruttoinlandsprodukt zusammensetzt.

Schmidt tat dies als „Moralisierungen“ ab, was für einige Zwischenrufe und Aufregung sorgte. Ihn interessiere, was der Aufstieg Asiens für Europa bedeute. Es sei aber schlicht nicht relevant, wie „wir in Europa“ die soziale Spaltung oder die Einhaltung der Menschenrechte in China bewerten. „China ist nicht gezwungen, das zur Kenntnis zu nehmen; unsere Maßstäbe spielen keine Rolle.“

Schmierer wiederum kann sich vorstellen, dass Asien besser in der Lage ist, etwa mit ökologischen Krisen umzugehen - aufgrund der kulturellen Voraussetzungen. Allein das landwirtschaftliche Verständnis setze eher auf Gartenwirtschaft. Doch Anne Ulrich warf ein, Chinas Umweltverbrauch sei durch kein Wachstum wieder einzuholen. Schmierer gab jedoch zu bedenken, dass China an einem viel früheren Punkt seiner Entwicklung auf drohende soziale und ökologische Probleme aufmerksam gemacht wurde - und dadurch die Chance habe, sie früher und effizienter anzugehen. „Die Verallgemeinerung der Modernität enthält die Chance, mit den Gefahren umzugehen.“

Fazit: Die Welt ändert sich, die Frage ist nur wie

Die Welt verändert sich durch die Wirtschaftskrise, doch wie genau, dazu lassen sich zwar Szenarien entwickeln, Vermutungen anstellen, doch keine verlässlichen Vorhersagen. Das Denken in Szenarien erlaubt es allerdings, politische Handlungsoptionen zu entwerfen. Dückert sagte, ihr habe die „friedliche Botschaft“ von Schmierer gefallen, doch seien insgesamt Umwelt- und Armutsprobleme zu kurz gekommen. Es scheint dies einer der wesentlichen und diskussionsintensivsten Punkte gewesen zu sein: Lassen sich gemeinsame Antworten auf Wirtschaftskrise und auf Klima-, Energie- und Armutskrise finden? Und wenn ja: Sind demokratische Systeme westlicher Prägung eher in der Lage, sie ins Werk zu setzen? Es sind Fragen, die bleiben.