"Mir hilft mein hübsches Gesicht"

Lesedauer: 4 Minuten

6. September 2010
Von Shida Bazyar

Ein zierliches Mädchen betritt den Raum. Ihr rosagestreiftes Hemd steckt in einem rosafarbenen Rock, die glatten, braunen Haare sind knapp geschnitten, ein verspielter Kurzhaarschnitt. Sie ist etwas zu spät, lächelt verlegen und setzt sich zu zwei anderen Journalisten der Nowaja Gaseta aufs Podium.

Im ersten Moment wirkt das Mädchen wie eine zerstreute Praktikantin, die aus Wohlwollen an dem Gespräch teilnehmen darf. Aufmerksamkeit erregt die junge Frau vor allem wegen ihres Alters – sie ist gerade mal 22 Jahre alt. Scheinbar etwas schüchtern hört sie dem bereits laufenden Gespräch auf dem Podium zu. Es geht um die Geschichte der Nowaja Gaseta, einer kritischen, unabhängigen Zeitung, die drei Mal in der Woche in Moskau erscheint. Die junge Frau schaut schüchtern zu Boden, lächelt ihrer Nachbarin zu. Ihr Lächeln scheint, als würde sie das, was da gesagt wird, schon lange wissen, als würde sie die Situation gut kennen. 

Und sie kennt sie ganz genau. Denn das schüchterne Mädchen, die unscheinbare junge Frau ist keine geringere als Jelena Kostjutschenko, eine inzwischen weltweit bekannte russische Journalistin. In Deutschland ist sie bekannt, seit das ZDF über sie einen Film gedreht hat. Eigentlich wollte der deutsche Fernsehsender eine Reportage über die Nowaja Gaseta und die schwierige Lage der Journalisten in Russland drehen. Dafür suchten die Redakteure eine Protagonistin, an deren Beispiel sie anschaulich erklären konnten, unter welchen Bedingungen Journalisten in Russland arbeiten und wie gefährlich staatskritischer Journalismus für das Leben der Wahrheitssucher werden kann. Jelena lacht leise, als sie merkt, dass sie einigen deutschen Zuhörer/innen nicht unbekannt ist. Sie sagt: "In Russland hat kaum jemand die Reportage gesehen." 

Trotzdem ist Jelena jetzt ein Star und muss viele Fragen beantworten. Ihre Antworten wählt sie mit Bedacht. Sie ergreift gern das Wort und scheint die Aufmerksamkeit zu mögen.

"An Informationen zu gelangen, ist für uns schwer", sagt sie: "Wir von der Nowaja Gaseta bekommen meist auf Anfragen keine Antworten oder nur verspätete Rückmeldungen, die uns bei der Arbeit hinderlich sind. Was mir dabei hilft, an meine Informationen zu gelangen, ist mein hübsches Gesicht und meine Art zu sprechen." Jelena ist selbstbewusst und bescheiden zugleich, man weiß nicht genau, ob man sie mögen soll oder nicht. Die Ehrlichkeit, die in ihren Worten mitschwingt, klingt plausibel: So unüblich ist das, was sie sagt, auch nicht unbedingt. 

Ihr hübsches Gesicht allein kann es nicht sein, was Jelena zu ihrem Erfolg verholfen hat. Sie ist eine der wenigen, die es geschafft haben, aus einem kleinen Dorf nach Moskau zu gelangen und durch ein Praktikum bei der Nowaja Gaseta einen Job als Journalistin zu haben. Nebenbei studiert sie Journalismus an der Moskauer Universität.

Ansporn für Jelenas Arbeit, sagt sie, seien die Artikel von Anna Politkowskaja gewesen. Die Journalistin, deren Ermordung 2006 für internationalen Aufruhr sorgte, bereicherte die Nowaja Gaseta durch ihre aufklärerischen Artikel über den Tschetschenienkrieg. In einem Zimmer ein paar Meter weiter steht noch der Schreibtisch von Anna Politkowskaja. Unter eine Glasplatte sind ein paar ihrer Artikel geklemmt, eine kleine Schreibtischlampe und ein Telefon stehen am Rand. Und eine Vase mit Blumen. An der Wand hängt ein Foto der Journalistin, das in Deutschland jeder kennt und jetzt, so nah, für Beklemmung sorgt.

Sechs Journalisten der Nowaja Gaseta sind in den vergangenen Jahren ermordet wurden – einzig, weil sie es gewagt hatten, die Wahrheit zu sagen. Und die anderen Autoren und Redakteure der Nowaja Gaseta sind sich der Gefahren, in die sich täglich begeben, durchaus bewusst.

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