An diesen Sieg der Linken hat vorher eigentlich niemand glauben wollen. Ausgerechnet in El Salvador gewinnt Mauricio Funes, der Kandidat der ehemaligen Guerillafront FMLN am 15. März die Präsidentenwahl und beendet damit die 20-jährige Herrschaft der erzkonservativen und eng mit dem Militär verbundenen Partei ARENA. Ein Sieg der Linken in einem Land, das in den achtziger Jahren einen blutigen Bürgerkrieg mit 75.000 Toten durchlebte, in dem Todesschwadronen gar den populären Erzbischof Romero auf der Kanzel der Kathedrale von San Salvador erschossen? Ein kleines politisches Wunder, über dessen Zustandekommen ein prominenter Weggefährte des neuen Präsidenten beim Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) berichtete: Héctor Silva vertrat in den achtziger Jahren die FMLN in Mexiko und wurde 1997 zum Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador gewählt. Heute gehört er zum engsten Beraterkreis Funes’ und wird als zukünftiges Kabinettsmitglied gehandelt.
Der Sieg der Linken wurde möglich, weil sie nach drei Niederlagen in Folge einen ungewöhnlichen Kandidaten ins Rennen schickte: Als Funes antrat, war er nicht einmal Mitglied der FMLN, er trat der zur Partei gewandelten Guerillabewegung erst im August 2008 bei. Er war auch kein Veteran des Bürgerkriegs wie die früheren linken Präsidentschaftsbewerber, sondern ein landesweit bekannter Journalist, der deutlich machte, dass sein politisches Vorbild in Lateinamerika am ehesten der brasilianische Präsident Lula sei. Funes sei es gelungen, erläuterte Silva, das Spektrum der FMLN zu erweitern und auch moderate Linke aus anderen Parteien zur Stimmabgabe für sich zu mobilisieren.
Tiefe Kluft zwischen Arm und Reich
Der Sieg der Linken wurde möglich, weil die ARENA offenbar keine Antworten auf die soziale Krise des Landes wusste. Jeder zweite Bürger El Salvadors lebt unter der Armutsgrenze, eine tiefe Kluft trennt Arm und Reich, Gewaltkriminalität hat das Land im Griff. Seit Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise haben viele Salvadorianer ihre Arbeitsplätze in den ausländischen Billigfabriken, den maquilas, verloren. Die Geldsendungen der zwei bis drei Millionen Salvadorianer, die in den USA leben und arbeiten, sind stark zurückgegangen.
Und schließlich half der Linken, dass die USA, die seit Jahrzehnten einen großen Einfluss im Land haben, sich nicht wie früher auf die Seite der ARENA stellten, sondern sich explizit aus der Wahlentscheidung heraus hielten. Noch ist eine Lateinamerika-Politik der neuen US-Regierung unter Barack Obama nicht klar erkennbar, aber diese Zurückhaltung in El Salvador und die ersten zaghaften Schritte der Öffnung gegenüber Kuba zeigen, dass es auch hier einen Wandel geben wird. Er wird auf der Zuckerinsel offenbar wohlwollend zur Kenntnis genommen: Eine Delegation demokratischer Kongressabgeordneter besuchte in der Woche vor Ostern Havanna und traf sich mit Fidel Castro. Der habe sie gefragt, was Kuba tun könne, um die Beziehungen zu den USA zu verbessern, berichteten sie. Mitte April, wenn Obama zum Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten nach Trinidad reisen wird, sollte deutlicher werden, wie sich die Beziehungen zukünftig gestalten.
Ein weiteres, deutliches Zeichen gab Außenministerin Hillary Clinton jüngst bei ihrem Mexiko-Besuch mit der Aussage: „Unser unstillbarer Hunger nach Drogen und unsere Unfähigkeit, den Waffenschmuggel einzudämmen, machen uns zu Mitverantwortlichen der Gewalteskalation in Mexiko“. Der Drogenhandel, so die Politologin Sabine Kurtenbach beim Jour Fixe, habe auf seinen Schmuggelwegen in Zentralamerika „eine Spur der Verwüstung“ hinterlassen. Die bisherige Politik sei gescheitert, die Fixierung der USA auf eine Bekämpfung des Drogenproblems in den Anbauländern könne nur durch eine globale Strategie ersetzt werden.
Zweitgrößte Einnahmequelle: Devisen aus den USA
Wenn Mauricio Funes am 1. Juni in El Salvador sein Amt antritt, stehen ihm keine weitreichenden Machtmittel zur Verfügung. Dessen ist sich auch Héctor Silva bewusst. Noch gebe es kein Alternativmodell zum Neoliberalismus, sagte er, es sei durch die globale Finanzkrise allerdings klar geworden, dass die Regierungen die Wirtschaft stärker regulieren müssten. Und es gebe großen Bedarf an sozialen Verbesserungen. Sein Land müsse abwarten, welche Mittel internationale Finanzinstitutionen als Hilfen zur Verfügung stellen werden. El Salvador müsse sich auch auf den Rückgang der Überweisungen von Landsleuten aus den USA einstellen, sie seien bereits um acht Prozent geschrumpft. Zwei Zahlen verdeutlichen die Bedeutung dieser Geldtransfers: Während Salvadorianer aus dem Ausland jedes Jahr vier Milliarden Dollar nach Hause schicken, bringt der Export von Kaffee, dem wichtigsten Ausfuhrgut des Landes, lediglich 600 Millionen Dollar ein.
Es werde nicht leicht sein, Antworten auf diese Herausforderungen zu finden, dazu noch mit einem unerfahrenen politischen Personal. „Die FMLN wusste gut, wie man Opposition macht, aber nun muss sie lernen zu regieren“, erklärte Silva – wobei ein großer Teil der Bürokratie unter rechten Regierungen zu ihren Posten kam und viel torpedieren kann. Silva merkte ironisch an, dass die Rechte plötzlich Gewerkschaften bilde, um so ihre Interessen zu wahren. Er wolle sich noch nicht auf ein präziseres Regierungsprogramm festlegen, offenbar stehen die Beratungen des Funes-Stabs erst am Anfang. Die neue Regierung werde allerdings darauf drängen, sagte er, dass alle im Land die von ihnen zu entrichtenden Steuern auch tatsächlich bezahlen. Nur dann gebe es finanziellen Spielraum. Er betonte auch, dass der Kampf gegen die Kultur der Straflosigkeit und die ausufernde Kriminalität – es gebe etwa 15 Morde pro Tag in seinem Land – Priorität erhalten werde. Die wichtigste Personalie für Funes werde der neue Polizeichef sein.
Obama gratuliert am Telefon
Und der wichtigste Faktor in der salvadorianischen Politik sind nach wie vor die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit den USA. Funes hat deutlich gemacht, dass er die USA nicht als Gegner betrachtet, und dass er an den beiden Eckpfeilern der Wirtschaftsbeziehungen – dem US-Dollar als Landeswährung und der Mitgliedschaft im zentralamerikanischen Freihandelspakt CAFTA – nicht rütteln werde. Die US-Regierung hat ihrerseits Bereitschaft zu guter Zusammenarbeit signalisiert. Obama gratulierte Funes nach dessen Sieg per Telefon.
Entscheidend wird sein, ob es in den USA einen neuen Anlauf zur Einwanderungsreform geben wird. Die Latinos hätten dort die Afroamerikaner inzwischen als größte Minderheitsgruppe abgelöst, erläuterte Bert Hoffmann, der dritte Experte auf dem Jour Fixe-Podium. Die Zahl der illegal in den USA lebenden Immigranten wird auf mindestens elf Millionen Menschen geschätzt, sie werden vom Wirtschaftsabschwung vermutlich besonders hart betroffen sein, außerdem belastet ihr ungeklärter Status das Verhältnis zu den Herkunftsländern. Neuesten Berichten zufolge will Obama noch in diesem Jahr versuchen, ein neues Einwanderungsgesetz im Kongress einzubringen und im Mai dazu Grundsätze zu verkünden.
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