Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien
Von Imme Scholz
Leiterin der Umweltabteilung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn
Von den Organisatorinnen der Konferenz sind mir fünf Fragen gestellt worden, die ich im Folgenden beantworten möchte.
1. Wie wird die Klimadebatte weltweit / in den Ankerländern geführt?
Der Klimawandel wird größtenteils durch die Verbrennung fossiler Energieträger verursacht. Aber die Degradierung und die Abholzung von Wäldern, vor allem in den Tropen, trägt immerhin zu etwa 20 bis 25 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen bei. In einzelnen Ländern wie bspw. Brasilien oder Indonesien liegt der Anteil mit 60 bzw. 83 Prozent (im Jahr 2000) nach Angaben des World Resources Institute deutlich höher.
Dennoch wurde die Vermeidung von entwaldungsbedingten Emissionen (oder avoided deforestation and forest degradation) aus den Klimaverhandlungen lange Zeit weitgehend herausgehalten, und dies aus sehr unterschiedlichen Gründen. Ein wichtiger Grund ist, dass sich die Instrumente des Klimaschutzes, wie sie im Kyoto-Protokoll festgehalten sind, an den Verpflichtungen der Industrieländer orientieren, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern. Aus dieser Perspektive kann die Einbeziehung der Tropenwälder in den Emissionshandel die Schaffung eines Schlupflochs bedeuten: Die Industrieländer werden es vorziehen, zumindest einen Teil ihrer Mittel in den kostengünstigeren Waldschutz zu investieren und nicht in die Umstrukturierung ihres Energiesektors und ihrer Wirtschaft. Das Risiko entstünde, dass netto weniger THG-Emissionen reduziert werden als vereinbart. Deshalb sind die methodischen Schwierigkeiten bei der Messung des Kohlenstoffgehalts der Waldbiomasse so relevant: Der Kohlenstoffgehalt variiert in starkem Maße je nach Standort, und damit auch der Nettobeitrag zur Emissionssenkung. Aus diesem Grunde gelang es auch nicht, auf der Klimakonferenz in Den Haag den Waldschutz in den CDM zu integrieren.
Brasilien hatte ein starkes Interesse daran, den Wald herauszuhalten, weil es sich nicht dazu in der Lage sah, die Entwaldung ernsthaft zu kontrollieren. Unter diesen Bedingungen konnte das Land keine ernstzunehmenden Verpflichtungen auf internationaler Ebene eingehen. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert: Trotz der erneut angestiegenen Entwaldungszahlen ist in Brasilien mittlerweile sehr genau bekannt, welche Maßnahmen für die Verringerung der Entwaldung in Amazonien ergriffen werden müssen und dass diese umgesetzt werden können. Brasilien hatte aber auch einen positiven Anreiz, die Waldfrage auszugrenzen: Solange Fragen der land use change and forestry keine Rolle spielten, konnte sich Brasilien aufgrund des hohen Wasserkraftanteils in seiner Energiewirtschaft eher als Niedrigemittent und als Anbieter alternativer, kohlenstoffneutraler Technologien (Bioethanol, Elektrizitätsgewinnung aus Bagasse, fuel flex vehicles) präsentieren und sich damit auf der internationalen Arena positiv profilieren.
Diese Situation änderte sich auf der Vertragsstaatenkonferenz 2005 in Montreal, als die Rainforest Coalition, eine Koalition kleinerer Tropenwaldländer, das Thema „vermiedene Entwaldung in Entwicklungsländern“ in die Verhandlungen um die Merkmale des Klimaregimes ab 2012 einbrachte. Diesmal gelang es, auch Brasilien davon zu überzeugen, einer Debatte über das Thema zuzustimmen. In der Folge brachten die verschiedenen Vertragsstaaten ihre Sichtweisen und Vorschläge über die Einbeziehung der Wälder in das Klimaregime vor. Dabei wurden deutliche Unterschiede sichtbar, insbesondere zwischen den Staaten des Amazonasbeckens.
Wie die entwaldungsbedingten Emissionen in das neue Klimaregime einbezogen werden sollen, ist zwischen allen behandelten Amazonasstaaten kontrovers. Die offizielle brasilianische Position zur REDD-Debatte geht neben einem ausgeklügelten System der Datenerfassung und Überwachung von zwei Grundannahmen aus:
- die Integration vermiedener Emissionen aus Entwaldung und Walddegradation (Reduced Emissions from Deforestation and Forest Degradation – REDD) in den internationalen Emissionshandel wird abgelehnt, um die Reduktionspflichten der Industrieländer nicht zu verwässern und den Druck für die Umsteuerung auf eine low-carbon economy nicht zu verringern,
- die Teilnahme der Entwicklungsländer ist ausschließlich freiwillig und darf keine zukünftigen Verpflichtungen, Ziele oder Fristen generieren.
Der brasilianische Vorschlag zielt darauf ab, tatsächliche Erfolge bei der Verringerung der Entwaldungsrate zu belohnen (remuneração por resultado). Grundidee ist, für jedes Land im Fünf-Jahres-Rhythmus eine Baseline aufgrund der durchschnittlichen entwaldungsbedingten CO2-Emissionen zu ermitteln. Nachgewiesene positive Abweichungen davon werden jährlich im Nachhinein finanziell aus einem Fonds belohnt, Verschlechterungen muss das Land mit Einzahlungen in den Fonds büßen. Da die Baseline nur alle fünf Jahre neu berechnet wird, wird langfristig angelegte Politik belohnt. Der Fonds wird durch freiwillige Einzahlungen der Industrieländer finanziert, die dafür einen geringen Teil ihrer Reduktionsverpflichtungen gutgeschrieben bekommen. Die national eingenommenen Mittel sollen in den jeweiligen nationalen Haushalt fließen und für nationale Umweltpolitiken eingesetzt werden.
Die REDD-Positionen von Bolivien(1), Kolumbien und Peru(2) unterscheiden sich nicht nur von Brasilien, sondern auch untereinander: Bolivien tritt für den Emissionshandel als Finanzierungsquelle zur Vermeidung von Waldzerstörung ein, um positive Anreize zu setzen. Voraussetzung dafür seien erhöhte Emissionsreduktionsverpflichtungen auf Seiten der Industrieländer, damit dem erhöhten Angebot an Emissionsrechten auch eine gesteigerte Nachfrage gegenüber steht. Kolumbien vertritt einen marktorientierten Ansatz, innerhalb des CDM oder eines anderen innovativen Instruments, weil es davon ausgeht, dass es nicht möglich sein wird, dass die Entwicklungszusammenarbeit die erforderlichen 5 Mrd. US$ pro Jahr zusätzlich aufbringt. Die Gruppe, der Peru angehört und die von Ecuador unterstützt wird, fordert den sofortigen Zugang zu den Kohlenstoffmärkten, nicht erst nach 2012. Außerdem treten diese Länder für die Verankerung eines Avoided Deforestation Carbon Fund (ADCF) im Rahmen der UNFCCC ein. Ein Enabling Fund soll die teilnehmenden Länder bei vorbereitenden Investitionen unterstützen, um sich an einem zukünftigen REDD-System beteiligen zu können. Das REDD-System selbst soll auf dem CDM oder anderen Marktmechanismen aufbauen.
Es ist offensichtlich, dass Peru, Ecuador, Bolivien und Kolumbien zwar in Details differieren, aber alle Finanzierungslösungen anstreben, die auf dem Emissionshandel beruhen, während Brasilien die damit einhergehende Möglichkeit der Verrechnung von Emissionsreduktionen ablehnt, um den Industrieländern kein Schlupfloch zu bieten.
Gemeinsam ist diesen Positionen jedoch ein Perspektivwechsel auf das Entwaldungsproblem: Hier werden die Emissionen nicht nur als Beitrag zur globalen Erwärmung gesehen, sondern es wird der Nutzen in den Blick genommen, der mit der Verringerung dieser Emissionen einhergehen würde. Das heißt es geht um neue Chancen für den Biodiversitätsschutz, für die nachhaltige Waldwirtschaft, die lokale Entwicklung, die indigenen Völker, für den Erhalt eines Ökosystems, das nicht nur lokal und regional, sondern auch global wichtige Funktionen erfüllt. Diese lokale Perspektive, die Waldschutz und Klimaschutz miteinander verknüpft, hatte bisher in den Klimaverhandlungen keinen Raum.
2. Welchen Stellenwert hat die REDD-Debatte für die Reduktion von Treibhausgasemissionen?
Die Degradierung und Zerstörung von Tropenwäldern trägt mit 20 bis 25 Prozent erheblich zu den globalen Treibhausgasemissionen bei. Das bedeutet, dass es nicht darum gehen kann, Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Energieträgern gegen waldbezogene Maßnahmen auszuspielen. Vielmehr muss es darum gehen, Mechanismen zu finden, die sicherstellen, dass beide Quellen gleichzeitig angegangen werden. Dies ist umso bedeutsamer, als Entwaldung in den Tropen bedeutet, dass sich in kurzer Zeit große Kohlenstoffmengen auf den in die Atmosphäre machen, während Wiederaufforstungsmaßnahmen große Zeiträume beanspruchen, um dieselbe Kohlenstoffmenge wieder in Biomasse zu binden. Es ist also auf jeden Fall besser, die Emission zu vermeiden.
Der brasilianische Vorschlag, einen globalen Fonds aufzulegen, der nachgewiesene geringere Entwaldung belohnt und der nur in sehr geringem Maße mit andere Verringerungsverpflichtungen verknüpft ist, weist in die richtige Richtung. Eine bedingungslose Verknüpfung der Finanzierung von REDD-Maßnahmen mit dem CDM oder anderen Formen des Kohlenstoffmarktes ist nicht sinnvoll.
3. Was wurde in Bali hinsichtlich REDD beschlossen?
Im Bali Action Plan gibt es ein Zusatzprotokoll zu REDD, das die Vertragsstaaten dazu aufruft, auf freiwilliger Basis ihre Anstrengungen zur Verringerung von Emissionen fortzuführen, die mit Entwaldung und Walddegradierung zusammenhängen. Diese Ermutigung bezieht sich sowohl auf die Länder, in denen der Wald steht, als auch auf Maßnahmen der Industrieländer zur Unterstützung von capacity development, von nationalen Waldprogrammen etc. in Entwicklungsländern. Außerdem werden die Mitgliedstaaten in Artikel 7a dazu aufgerufen, bis Ende März 2008 Vorschläge für die Lösung methodischer Probleme einzureichen, u.a. in Bezug auf die Erfassung von Waldbeständen, ihrer Veränderung und den damit einhergehenden Veränderungen der Kohlenstoffvorräte.
In den Empfehlungen des Zusatzprotokolls steht stets der Satz, dass damit keine zukünftige Entscheidung der Vertragsstaaten vorweggenommen werden soll. Darin drücken sich die berechtigten Vorbehalte derjenigen aus, die gegen eine Einbeziehung der Waldfrage sind, solange es dabei um einen Marktmechanismus geht und solange die Verringerungsverpflichtungen nicht erheblich erhöht werden.
4. Was bedeutet dies für Amazonien?
Die Einbeziehung der Wälder in das Klimaregime kann für Amazonien eine Chance bedeuten, wenn gewährleistet wird, dass es nicht um Schutz ohne Nutzung geht. Das bedeutet, dass die neuen klimapolitischen Mechanismen lokale Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung / nachhaltige Wald- und Ressourcennutzung fördern sollten.
Dies erfordert, dass in den nationalen Delegationen der Amazonasstaaten für die Klimaverhandlungen entsprechender Sachverstand vertreten sein muss und dass lokale Akteure in die Positionsbildung einbezogen werden müssen.
Die brasilianischen Bundesstaaten des Amazonasgebietes haben bereits damit begonnen, eine eigene Klimaagenda zu formulieren. Sie stehen einer Ausweitung des CDM auf die Wälder allerdings eher offen gegenüber. Bei einem Treffen der Landesumweltminister zum Klimawandel im August 2007 in Manaus wurde die große Vielzahl der Ansätze in Brasilien ebenso deutlich wie die starken Gegensätze zwischen den Länderinteressen und dem bundesstaatlichen Anspruch auf zentralisierte Lösungen bei der Klimapolitik. Die Vorstellungen variieren zwischen Waldschutz (Bundesstaat Amazonas), der Verbindung von Landtitulierung mit Umweltlizenzen für die Umwandlung von Wald- in Nutzfläche (Bundesstaat Pará) und einer großen Anzahl projektgebundener Vorschläge für die Bezahlung von Umweltdienstleistungen. In diesem Zusammenhang entstehen auch neue Initiativen zwischen Privatsektor und öffentlicher Hand.
In den anderen Amazonasstaaten wird die REDD-Debatte von den Forstministerien bzw. den Forstabteilungen in den zuständigen Ministerien geführt. Wichtig wäre hier, dass rechtzeitig sektorübergreifende Programmansätze entstehen bzw. gefördert werden, die es ermöglichen, die antreibenden Faktoren für die Entwaldung anzugehen, die in der Regel nicht vom Forstbereich kontrolliert werden. Dazu gehören v.a. die Migration vom Hoch- ins Tiefland und die Ausbreitung der großbetrieblichen Landwirtschaft, z.B. für die Produktion von Biokraftstoffen.
Auf regionaler Ebene ist wichtig, dass sich Brasilien im Waldbereich von seinen Amazonasanrainern strategisch entfernt hat. Auch in anderen Politikfeldern erweist sich Brasilien gegenwärtig nicht als durchsetzungsfähige oder handlungswillige regionale Ordnungsmacht. Dies wird ein gemeinsames Vorgehen aller Amazonasstaaten erschweren.
5. Welche Handlungsoptionen und Bündnisstrategien ergeben sich daraus?
Es gibt verschiedene Handlungsoptionen für verschiedene Politikfelder und Akteure. Für eine vorausschauende Klimapolitik erweist sich Brasilien als wichtiger Partner, mit dem es möglich sein wird, differenzierte Mechanismen für die Integration der Waldthematik zu entwickeln, die den Handlungsdruck im Bereich der fossilen Energieträger nicht verringern. Dabei wird es wichtig sein, diese Mechanismen so zu gestalten, dass ein Maximum an Synergien mit dem Biodiversitätsschutz erreicht wird. Hier kluge Strategien zu entwickeln und umzusetzen, ist vor allem Aufgabe des BMU in Kooperation mit dem BMZ.
Für eine nachhaltige Entwicklung vor Ort, in Amazonien, kann die Einbeziehung der Wälder in das Klimaregime Chancen bedeuten, dies erfordert jedoch den Aufbau klimapolitischer Kompetenzen vor Ort, in den Landesregierungen Brasiliens (bei den Umweltministerien und/oder Gouverneurskabinetten) und in den in Amazonien gelegenen Departments, Provinzen und Kantonen der Andenstaaten. Diese neuen Strukturen müssen die relevanten Prozesse auf nationaler und internationaler Ebene beobachten und Positionen entwickeln, die sich für die Konsensbildung zwischen nationaler und dezentraler Regierung eignen. Hier kann die Entwicklungszusammenarbeit unterstützend wirken, direkt oder durch die Unterstützung entsprechender regionaler Initiativen, bspw. durch den Amazonaspakt oder die Gemeinschaft der Andenstaaten.
Die Zivilgesellschaft – also die Organisationen der Kleinbauern, der indigenen Völker, aber auch Umwelt-NROs in den Städten – muss sich ebenfalls klimapolitisch fortbilden, um die Instrumente und Arrangements zu erkennen, die dem Interesse an einer lokalen nachhaltigen Entwicklung und dem Ökosystemschutz am ehesten entgegenkommen. Dafür ist die Unterstützung durch Stiftungen und NROs aus Deutschland und Europa weiterhin sehr wichtig.
(1) Bolivien hat bei der UNFCCC/SBSTA eine gemeinsame Position mit der Zentralafrikanischen Republik, Costa Rica, DR Kongo, der Dominikanischen Republik, Fidji, Ghana, Guatemala, Honduras, Kenia, Madagaskar, Nicaragua, Panama, Papua Neu-Guinea, Samoa, den Solomonen und Vanuatu eingereicht.
(2) Peru hat eine gemeinsame Position mit Costa Rica, der Dominikanischen Republik, Guatemala, Honduras, Mexiko, Panama und Paraguay bei der UNFCCC/SBSTA eingereicht.