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Analyse der Komplexität von Preissystemen zur Steuerung von Mobilitätsverhalten: Anforderungen für eine nutzergerechte Gestaltung

Angela Francke, Technische Universität Dresden

Der Verkehr, insbesondere der motorisierte Individualverkehr, trägt maßgeblich zum Ressourcenverbrauch bei. In der Wissenschaft, aber auch in der breiten Bevölkerung ist die ernstzunehmende Existenz der negativen Auswirkungen des Verkehrs, wie Lärm und Emissionen, und die Notwendigkeit von verkehrspolitischen Maßnahmen inzwischen anerkannt (vgl. Bartels/Nelissen 2002). Ein weiteres Wachstum im Verkehrssektor ist wenig möglich oder wünschenswert, da die gesetzten Umweltschutzbestimmungen, ein kaum ausbaubares Verkehrs-netz und stagnierende Investitionen in diesem Bereich Grenzen setzen (vgl. Stockmann 2001).

Von den vier von Schlag (1998) klassifizierten Strategien zur Veränderung des Mobilitäts- und Verkehrsverhaltens (Enforcement, Engineerung, Education und Encouragement/Economy) sind in diesem Zusammenhang vor allem letztere, die preispolitischen Maßnahmen und hier insbesondere die Einführung von Straßenbenutzungebühren, in der Diskussion. Differenzierte Preissysteme werden in zunehmendem Maße genutzt, um das Mobilitätsverhalten der Nutzer zugunsten der sozialen Wohlfahrt zu beeinflussen und der bestehenden Infrastruktur anzupassen. Nach der ökonomischen Theorie sind optimale Preissysteme hoch komplex und stark differenziert und berücksichtigen zahlreiche nutzerspezifische Aspekte, da jeder Verkehrsteilnehmer einen Tarif entsprechend seiner maximalen Zahlungsbereitschaft zahlt. Die Nutzer hingegen sind nicht in der Lage oder dazu motivisiert solche ökonomisch besten Preissysteme nachzuvollziehen und zu verstehen, so dass im Endeffekt nicht die gewünschten Verhaltensanpassungen erzielt werden (vgl. Bonsall et al 2007).

An dieser Schnittstelle zwischen Ökonomie und Psychologie wird in der Dissertation angesetzt, um interdisziplinär die Erkenntnisse beider Gebiete zu vereinen. Bisherige Forschungen (vgl. Rößger et al 2008, Hoffmann et al 2006) haben gezeigt, dass kognitive, motivationale, personen- und situationsbezogene Faktoren die Reaktion auf Preissysteme beeinflussen. Mit Hilfe von Befragungen in Kombination mit Computerexperimenten, die verschieden komplexe Preissysteme simulieren, sollen die Nutzerreaktionen erhoben und anschließend statistisch ausgewertet und verglichen werden. Ziel der Dissertation ist es, Rückschlüsse zu ziehen, wie ein nutzergerechtes Preissystem aufgebaut werden muss, um die gewünschten umwelt¬freundlicheren Verhaltensanpassungen zu erzielen und damit eine gerechtere Verteilung der verursachten negativen externen Effekte zu gewährleisten. Dadurch kommt es auf längere Sicht zu einer effizienteren Nutzung der Ressourcen Umwelt und Infrastruktur sowie einem Anstieg der gesellschaftlichen Wohlfahrt.

Mit dem Wissen, welche Aspekte bei den Nutzern in die Entscheidung einbezogen werden, können auch die Signale entsprechend gestaltet werden. Das Ziel ist also, die gewonnenen Erkenntnisse in die Maßnahmengestaltung einfließen zu lassen, so dass die Nutzer in bestmöglicher Weise auf die Preissignale reagieren und somit im weiteren Sinn auch eine verursachergerechte Verteilung externer Kosten ermöglicht wird.
Als zentrale Forschungsfrage wird untersucht, bis zu welchem Komplexitätsgrad die Nutzer überhaupt in der Lage und auch dazu motiviert sind, sich mit differenzierten Preisen auseinanderzusetzen, sie zu verstehen und darauf wie intendiert zu reagieren. Es leiten sich daraus folgende spezifische Fragestellungen der Promotion ab:

Fragestellung 1:  Durch welche Faktoren wird die Reaktion auf komplexe, differenzierte Preisstrukturen beeinflusst?
Die in bisherigen Untersuchungen, Fallstudien und Beobachtungen extrahierten Faktoren sollen detailliert betrachtet und ihr Einfluss bzw. ihre Einflussstärke auf das Mobilitätsverhalten ausgewertet werden. Zahlreiche kognitive, motivationale, personen- und situationsbezogene Faktoren werden daher in die verschiedenen Experimente aufgenommen, um ihren eventuellen Einfluss aufzuzeigen.

Fragestellung 2:  Gibt es signifikante interindividuelle Unterschiede in den Reaktionen auf bestimmte Preissignale? Welche Möglichkeiten zur Komplexitätsverringerung werden genutzt?
Widersprüchliche Ergebnisse erbrachten die bisherigen Untersuchungen zum Einfluss der soziodemografischen Merkmale auf das Mobilitätsverhalten. Ob ein Einfluss des Geschlechts vorliegt und wie sich dieser äußert, soll hier analysiert werden. Auch bestimmte Persönlichkeits- und Entscheidungsstile werden betrachtet. Dadurch lässt sich die Bevölkerung in bestimmte Nutzergruppen einteilen, so dass im Endeffekt das „reale“ Ent¬scheidungsverhalten besser verstanden und damit antizipiert werden kann. Betrachtet werden soll auch, inwiefern Hilfen, wie Heuristiken, genutzt werden, um komplexe Preissysteme zu erfassen und welche Nutzergruppen mit welchen Ergebnissen diese besonders ergreifen. Beim Aufbau und der Implementierung eines Preissystems soll zudem darauf geachtet werden, dass nicht schon per se Nachteile für bestimmte Nutzergruppen, wie z.B. ältere oder bildungsfernere Verkehrsteilnehmer, entstehen.

Fragestellung 3:  Wie komplex bzw. differenziert kann ein Preissystem gestaltet sein, um von einem Großteil der Nutzer verstanden und bei seinen Entscheidungen berücksichtigt zu werden und die gewünschte Verhaltensanpassung zu erzielen? Wie könnte ein optimales Preissystem aufgebaut sein?
Festgestellt wurde, dass bei zu komplexen Preissystemen die Nutzer weder motiviert noch in der Lage sind, diese zu erfassen und damit die gewünschten Verhaltensanpassungen nicht erzielt werden. Untersucht werden soll anhand verschieden komplexer Systeme, die u.a. zeitliche und örtliche Faktoren, verschiedene Nutzergruppen und Fahrstile berücksichtigen, welche Gestaltungsweisen sich besonders eignen und welche als schwierig erfasst werden und hohe Fehlerquoten aufweisen. Handlungsempfehlungen zu Aufbau und Implementierung von Preissystemen werden zum einen für die Steuerung des Mobilitätsverhaltens und zum anderen auch für Preissysteme im Allgemeinen über den Verkehrsbereich hinaus gegeben. Hierzu zählen auch Aussagen zur sozialverträglichen Ausgestaltung solcher Preissysteme und zu ihrer Einbettung in andere Maßnahmen.