Die Heinrich-Böll-Stiftung und das ILS luden am 22./23. Januar bundesweit Kommunal- und Fachvertreter_innen ein, um Erfahrungen mit Kreativitätsstrategien auszutauschen und kritisch zu evaluieren sowie neue Ideen zu diskutieren. Ziel war es, politisch differenzierte, integrierte Handlungsanleitung zum Umgang mit der „kreativen Stadt" zu entwickeln.
Reihe ZukunftsWerkStadt # 9
Köln, Freitag 22./Samstag 23. Januar 2010
Kooperation:
Dieses FAQ soll als Einstieg in die Debatte über die Kreative Stadt dienen.
Woher kommt die Debatte über die Kreative Stadt?
Ganz grundsätzlich kann das Konzept der Kreativen Stadt als Antwort der Städte auf den Strukturwandel von einer Industrie- zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft interpretiert werden. Seit der Jahrtausendwende wird zunehmend über die Rolle von Kreativen und ihre Bedeutung für die Stadt- und Regionalentwicklung debattiert: In Großbritannien hat sich der Begriff Creative Industries eingebürgert; in Deutschland spricht man von der Kreativ- und Kulturwirtschaft. Charles Landry hat im Jahr 2000 mit seinem «Handwerkskasten für urbane Innovatoren» das Thema für die stadtpolitische Praxis übersetzt. Populär wurde das Thema jedoch durch den US-amerikanischen Ökonomen Richard Florida. Mit seiner Formulierung der «neuen Geographie der Kreativität» fand er großes Gehör in der Öffentlichkeit. Wenn eine Stadt über die drei T's - Talente, Toleranz und Technologie - verfügt, zieht sie noch mehr Talente an, generiert Innovationen und stimuliert die wirtschaftliche Entwicklung, so die Idee von Florida und Co.
Kreative Stadt – was kann ich mir darunter vorstellen?
Die Kreative Stadt ist ein Leitbild (= programmatische Zielvorstellung, Strategie) für die Stadtentwicklung. Dabei wird Kreativität – oder genauer das kreative Potenzial der Einwohner/innen – als Schlüssel zu Fortschritt und Wohlstand verstanden. Städte buhlen um die kreativen Köpfe, nicht zuletzt in der Hoffnung, Unternehmen zögen nach.
Die Maßnahmen und Ziele der Kreativen Stadt sind breit gefächert und beinhalten eine bauliche und eine soziale Dimension. So gilt es einerseits, Stadtquartiere und Brachen aufzuwerten und für Projektmacher/innen und Kreative attraktiv zu machen, andererseits sind Netzwerke zu fördern, Know-How-Transfer zu organisieren und Informationen über Förder- und Beratungsangebote bereit zu stellen. Das Leitbild steht ebenfalls für eine kreativere Stadtpolitik, die sich an alle Stadtbewohner/innen richtet und damit eine nachhaltige und soziale Dimension hat.
Welchen Stellenwert hat die Kreative Stadt gegenüber anderen Leitbildern der Stadtentwicklung, z.B. dem der Sozialen Stadt?
Anders als beim Leitbild der Sozialen Stadt oder anderen Programmen der Stadtentwicklung wie der Denkmalpflege gibt es keine bundesweite Förderung für Kreative Städte. Im Jahr 2008 hat die Bundesregierung eine Initiative für Kultur- und Kreativwirtschaft gestartet und ein Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft aufgebaut.
Inhaltlich gibt es durchaus Anknüpfungspunkte zu anderen Zielsetzungen der Stadtentwicklung. Zum Leitbild der sozialen Stadt weist die Kreative Stadt beispielsweise durch die Wertschätzung einer multikulturellen Stadtgesellschaft und auch durch die Betonung der (Aus-)Bildung als zentraler Bestandteil städtischer Entwicklungsstrategien Übereinstimmungen auf.
Doch während das Leitbild der Sozialen Stadt darauf abzielt, benachteiligte Stadtquartiere zu stärken, folgt das Leitbild der Kreativen Stadt der Idee, die kreativen Köpfe als Potenziale in die Stadt zu holen und vor Ort zu fördern. Einige Wissenschaftler/innen und Fachpolitiker/innen kritisieren, dass mit dem Fokus auf die kreativen Köpfe soziale und auf Ausgleich ausgerichtete Stadtpolitik an Bedeutung verlieren könnte. Darüber hinaus wird das Konzept der Kreativen Städte vielfach als Katalysator für innerstädtische Aufwertungsprozesse (Gentrifizierung) verstanden. Kreative und kulturwirtschaftliche Nutzer/innen werden dabei häufig als Initialzünder einer Entwicklung verstanden, die mit der Verdrängung alt eingesessener Einwohner/innen bzw. dem Austausch sozialer Schichten einhergeht.
Wer sind die Kreativen?
Die zahlreichen Studien, die die Kreativen untersuchen, haben teilweise sehr unterschiedliche Begriffe des Untersuchungsgegenstands. Er wird z.B. mit Creative Class, Kultur- und Kreativwirtschaft oder Creative Industries bezeichnet. Der Begriff Creative Class stammt von Richard Florida. Er unterteilt in seiner sehr weit gefassten Definition die hochkreativen und die kreativen Berufe. Die Hochkreativen sind Informatiker/innen, Mathematiker/innen, Physiker/innen, Architekt/innen, Ingenieure und Ingenieurinnen, Beschäftigte in Bildung, Kunst, Design, Entertainment, Sport und Medien.
Kreative Berufe sind im Management, Unternehmens- und Finanzbereich, Rechts- und Gesundheitswesen oder in den technischen Berufsfeldern zu finden. Dass zu Floridas kreativer Klasse bspw. auch Verwaltungsangestellte des öffentlichen Sektors und Lehrer/innen zur Kreativen Klasse gezählt werden, verdeutlicht die Dehnbarkeit seiner Kategorien.
Die Begriffe Creative Industries und Kultur- und Kreativwirtschaft werden in Deutschland oft als Synonyme benutzt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) beschreibt als verbindendes Kennzeichen der Kultur- und Kreativwirtschaft folgendes: «Die darin tätigen Selbständigen und Unternehmen sind überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert und befassen sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen bzw. kreativen Gütern und Dienstleistungen». Zu den Märkten der Kreativwirtschaft werden der Architekturmarkt, der Buchmarkt, die Designwirtschaft, die Filmwirtschaft, der Kunstmarkt, der Markt für darstellende Künste, die Musikwirtschaft, der Pressemarkt, die Rundfunkwirtschaft, die Software- und Gamesindustrie und der Werbemarkt gezählt. Eine einheitliche Definition für die Kultur- oder Kreativwirtschaft existiert jedoch nicht.
Was kann ich mir unter «Talent-, Bohemian- und Innovationsindex» vorstellen?
Richard Florida unterfüttert seine Thesen mit verschiedenen Indikatoren. Der Innovationsindex misst die Anzahl der Patentanmeldung pro Einwohner, der Melting-Pot-Index die Anzahl der nicht in dem Land geborenen Einwohner, der Talentindex den Anteil der Hochschulabsolventen. Dagegen basieren Bohemian- und Gay-Index auf Unter- und Überrepräsentanzstudien verschiedener Bevölkerungsgruppen, also Homosexueller oder künstlerisch kreativer Personen.
Zusammengefasst ergibt sich aus den Einzelindizes der Creativity-Index, den Richard Florida mit der Bevölkerungsentwicklung, dem Wohlstandsniveau und anderen Strukturdaten der Städte korreliert. Seine Beweisführung wurde von der wissenschaftlichen Gemeinschaft vielfach kritisch aufgenommen, so macht z.B. Edward Glaser (2004) in einer eigenen Berechnung von Floridas Daten darauf aufmerksam, dass allein der Anteil der Akademiker in einer Kommune als Einflussfaktor für das Wachstum.