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Wege zur Teilhabegesellschaft: Die Demokratie braucht eine ökonomische Basis

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19. März 2008
Trotz aller sozialpolitischen Programme, trotz jahrzehntelanger "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand", beträchtlicher Reallohnsteigerungen und progressiver Einkommenssteuer hat unsere Gesellschaft ein ungelöstes Gerechtigkeitsproblem: die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Ober- und Unterklassen, die sich von Generation zu Generation vererbt. Die staatsbürgerliche Gleichheit der parlamentarischen Demokratie bricht sich an der ungleichen Verteilung von Vermögen, Einfluss und Lebenschancen.

Zwar ist die soziale Polarisierung in Westeuropa nicht so krass wie in den USA. Dennoch herrscht auch hierzulande eine Dreiklassengesellschaft, in der die Lebenschancen sehr ungleich verteilt sind. Während die oberen 20% der Besitzenden ihren Reichtum in den goldenen 90er-Jahren stark vermehrt haben, wuchs am anderen Ende die Zahl der Haushalte, die weniger als 50% des Durchschnittseinkommens zu Verfügung hat. Zwar verfügt inzwischen annähernd die Hälfte der Bevölkerung über Immobilienvermögen (1962 waren es in Westdeutschland 38%), mehr als die Hälfte der Haushalte besitzt Geldvermögen in Form von Wertpapieren oder Termingeldern (1962 nicht einmal 10%), und 70% der Arbeitnehmer-Haushalte haben eine Lebensversicherung abgeschlossen. Aber bei der großen Mehrheit handelt es sich um bescheidene Rücklagen, während die bedeutenden Geldvermögen bei einer kleinen Minderheit konzentriert sind.

Zum vertikalen Vermögensgefälle kommt die regionale Ungleichheit: Mitte der 90er-Jahre wurde das durchschnittliche Gesamtvermögen der Haushalte in Westdeutschland auf 465.000 DM geschätzt, im Osten auf 134.000 DM: ein Ergebnis von 40 Jahren getrennter Entwicklung. In der Phase der Wiedervereinigung wurde die historische Chance verpasst, die ostdeutsche Bevölkerung bei der Privatisierung des Staatseigentums der DDR zu Miteigentümern zu machen.

Besonders krass ist die Ungleichverteilung hinsichtlich der Beteiligung am Produktivkapital der Gesellschaft. 1995 waren rund 5 Millionen BürgerInnen unmittelbar an einem Unternehmen beteiligt, darunter eine große Zahl kleiner Selbstständiger und Nebenerwerbs-Betriebe. Dazu kamen etwa 4 Millionen Aktionäre, darunter 1,5 Millionen Belegschafts-Aktionäre. Aber auch innerhalb dieser Gruppe der Kapitaleigentümer gibt es eine starke Polarisierung: das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht davon aus, dass 10% der Unternehmer über 60% des Produktivvermögens verfügen. Die reale Dispositionsmacht über die Wirtschaft der Bundesrepublik liegt bei 2-5% der Bevölkerung.

Die viel beschworene "Bürgergesellschaft" braucht eine ökonomische Basis in der Beteiligung möglichst vieler BürgerInnen am Reichtum. Private Vermögensbildung wird zukünftig eine wachsende Rolle spielen als ergänzende soziale Absicherung, vor allem im Alter. Sie ermöglicht eine bestmögliche Ausbildung und eine größere Freiheit in der individuellen Lebensgestaltung. Wer über Kapitaleinkommen verfügt, hat eher die Möglichkeit, auf Teilzeitarbeit zu gehen oder ein Sabbatical einzulegen. Schließlich bildet eigenes Kapitalvermögen den Grundstock dafür, sich ökonomisch selbstständig zu machen und mindert das Risiko für GründerInnen.

Neben einer verbesserten staatlichen Förderung der "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" liegt der Schlüssel zu mehr Beteiligungsgerechtigkeit bei den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Statt ihre ganze Rest-Energie in den alten Tarif-Ritualen zu verschleißen, sollten die Gewerkschaften endlich für die bundesweite Einführung von Investivlohn-Modellen streiten, die seit langen Jahren in den Schubladen ihrer Grundsatz-Abteilungen schmoren. Kurz gesagt geht es darum, dass von einer vereinbarten Lohnerhöhung nur ein bestimmter Anteil ausgezahlt wird, während der andere Teil in eine Kapitalbeteiligung umgewandelt wird – entweder an der Firma, in der ein Arbeitnehmer beschäftigt ist, oder an einem überbetrieblichen Investitionsfonds. Hätten die Gewerkschaften diese Strategie schon seit den 60er-Jahren praktiziert, läge die Mehrheit des Produktivkapitals längst in den Händen der Arbeitnehmer. Damit würden freilich die alten Schranken zwischen "Kapital" und "Arbeit" niedergerissen, in denen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber-Verbände eingerichtet haben.

Ein zweiter, revolutionärer Vorschlag kommt aus den USA. Bruce Ackerman, Professor für Recht und Politische Wissenschaften an der Yale Universität und einer der renommierten politischen Denker des Landes, schlägt vor, dass jeder Bürger mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter ein Grundkapital von 80.000 Dollar erhält, das aus einer Kombination von Vermögens- und Erbschaftssteuern finanziert wird. Dieses Startkapital auf dem Weg ins Leben soll die Ungerechtigkeiten, die mit der privaten Verteilung und Vererbung von Vermögen verbunden sind, ausgleichen und jedem Bürger eine größere wirtschaftliche Unabhängigkeit als Basis bürgerlicher Freiheit geben.

Das Reizvolle dieser Idee liegt in der Verknüpfung liberaler und sozialer Traditionen: sie verbindet das Eintreten für soziale Chancengleichheit mit der Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Anstatt das Privateigentum abzuschaffen (ein Experiment, das sich mit dem Untergang des Realen Sozialismus erledigt hat), soll es zu einem allgemeinen Bürgerrecht werden. Damit wird eine staatlich garantierte Grundsicherung für die Risiken von Krankheit, Alter und Berufsunfähigkeit nicht überflüssig, ebenso wenig wie ein leistungsfähiges öffentliches Bildungssystem. Aber zu den sozialen Versorgungsleistungen kommt ein neues Element der privaten Vermögensbildung, das dem Einzelnen die finanzielle Chance gibt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Think about it!

Ralf Fücks ist im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.