Kooperative Hochschulfinanzierung

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Elite-Universität Cambridge - viele bleiben außen vor.

23. Juli 2008

Von Andreas Poltermann

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Am 16. Juli 2008 fand die Tagung „Modelle der Hochschulfinanzierung – Auswege aus der Unterfinanzierung“in Berlin statt. Teilnehmende waren 150 Fachleute aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Presse. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft legten ihr gemeinsames Eckpunktepapier „Investitionsorientierte Hochschulfinanzierung“ vor und diskutierten es mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), der Heinrich-Böll-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung, die eigene Modelle für eine investitionsorientierte Hochschulfinanzierung präsentierten. An die Vorarbeiten von CHE („Aktivierende Hochschul-Finanzierung“, 2007), Heinrich-Böll-Stiftung („Studien- und Hochschulfinanzierung in der Wissensgesellschaft“, 2004) und Friedrich-Ebert-Stiftung („Fairer Wettbewerb für deutsche Hochschulen“, 2006) knüpft das Modell der Wirtschaft in wichtigen Punkten an.

Kernelement aller Modelle ist ein von Bund und Ländern gemeinsam finanzierter Gutscheinpool, aus dem die Studierenden Gutscheine erhalten, die sie an ihrer Hochschule einlösen. Je nach gewähltem Parameter zahlen die Länder andere Beiträge in den Pool ein als in der Summe Mittel über die Gutscheine an ihre Hochschulen fließen. Die sich daraus ergebenden Verteilungseffekte bilden einen Anreiz, durch die Bereitstellung von möglichst vielen und qualitativ hochwertigen Studienkapazitäten eine möglichst große studentische Nachfrage mit entsprechenden Gutscheinen auszulösen. Anders als der Länderfinanzausgleich belohnt die auf diesem Wege erzielte Verteilung Länder, die Studienangebote schaffen und fördert so den Ausbau der Studienkapazitäten.

Strittig blieben auf der Tagung vier wahrscheinlich entscheidende Fragen:

  1. Soll der Gutscheinpool von Bund und Ländern gespeist werden? Oder gibt es Alternativen zu einer solchen Mischfinanzierung?


  2. Ist die Orientierung auf Nachfrage durch Gutscheine und Studiengebühren angesichts der tatsächlichen Knappheit an Studienplätzen und der daher geringen Wahlmöglichkeiten für Studierende sinnvoll? Welche Alternativen gibt es?


  3. Fördert oder verhindert der Streit über Studiengebühren die Kooperation zwischen den Ländern sowie zwischen Bund und Ländern?


  4. Welches Modell der Studienfinanzierung kann die Begabungspotentiale in den unteren und mittleren sozialen Schichten besser als das gegenwärtige System der elternabhängigen Studienfinanzierung fördern?


  5. Sollte die Unterfinanzierung der Hochschulen über einen neuen Verteilungsmodus zwischen Bund und Ländern hinaus durch neue Steuern und/oder durch Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten überwunden werden?


Zu den einzelnen Punkten:

  1. Für eine von Bund und Ländern getragene Mischfinanzierung spricht, dass allein die ergänzenden Mittel des Bundes den Pool so ausstatten, dass bei der Verteilung auf die Hochschulen kein Land deutlich weniger erhält als es vorher in den Pool eingezahlt hat. Länder, denen durch eine länder-interne Verteilung Verluste drohen, so die Annahme, werden ein kooperatives System der Hochschulfinanzierung blockieren. Dieser Auffassung waren auf der Tagung die Wirtschaftsverbände, das CHE und die Heinrich-Böll-Stiftung. Der Bund könne beispielsweise in der Rolle eines virtuellen 17. Bundeslands Mittel für die von Bildungsausländern in Anspruch genommenen Studienkapazitäten in Höhe von rund 477 Mio. EUR in den Pool einzahlen. Zustimmung zu diesem Weg signalisierte auch ein hoher Beamter des Bundesfinanzministeriums.
    Anderer Auffassung war die Friedrich-Ebert-Stiftung. Nur eine klare Finanzierungsverantwortung entweder für den Bund oder für die Länder schaffe die demokratischen Anreize für den nachfragegerechten Ausbau unserer Hochschulen. Die Länder müssten die ihnen durch die Föderalismusreform zugewiesenen Kompetenzen verantwortlich wahrnehmen; andernfalls müsse der Bund das gesamte Hochschulwesen übernehmen und in diesem Punkt die Föderalismusdebatte neu eröffnen. Um den Ländern die Ressourcen für die eigenverantwortliche Selbstkoordinierung der Hochschulfinanzierung zur Verfügung zu stellen, könnten der Bund die Forschungsfinanzierung komplett übernehmen und die Länder damit um rund 1,9 Mrd. EUR entlasten.

  2. Das Gutscheinmodell der Heinrich-Böll-Stiftung war und ist gedacht als Alternative zu Studiengebühren. Es ist aber ebenso gut mit Studiengebühren kombinierbar. Gutscheine sollen die Nachfrageposition der Studierenden auf dem Studienplatzmarkt unterstützen. Darin liegt die Stärke dieses Gutscheinmodells. Es teilt aber auch die Schwächen der Steuerung über Studiengebühren: unter den Bedingungen der regionalen Anbietermacht der Hochschulen und knapper Studienkapazitäten fördern Gutscheine für begrenzte Lehrkapazitäten nicht die Wahlfreiheit, sondern lenken und disziplinieren die Nachfrage. Es muss deshalb – so die Anregung der Heinrich-Böll-Stiftung - auch über Alternativen zu Gutscheinen nachgedacht werden, zum Beispiel über eine Zuweisung der Mittel an die Hochschulen nach zur Verfügung gestellten Kapazitäten. Hintergrund ist die Annahme, dass ein wie immer modifiziertes Kapazitätsrecht auch in den nächsten 10 Jahren notwendig bleiben wird, um die tatsächliche Kapazitätsknappheit an das erwartete Studierendenhoch anzupassen.

  3. Die Art der Einführung von Studiengebühren belegt den ausgesprochenen Unwillen der Länder zu Kooperation und Selbstkoordinierung. Hier steht die Konkurrenz der Länder, ihr Wille zur (gleichwohl wenig aussichtsreichen) Bewältigung der Unterfinanzierung der Hochschulen im Alleingang und auf Kosten der Studierenden im Vordergrund. Diese Politik könnte sich noch nach Ansicht der Heinrich-Böll-Stiftung als schwere Hypothek für eine koordinierte Hochschulpolitik erweisen! Alle länderübergreifenden Finanzierungsmodelle werden darauf überprüft werden, ob sie auf direktem oder indirektem Wege die politischen Kosten und möglichen budgetären Auswirkungen von Studiengebühren mildern werden. Die Nicht-Gebühren-Länder werden dafür nur schwer zu gewinnen sein. Sie können sich hierbei auf den einstimmig gefassten Meininger Beschluss der KMK von 2000 berufen, der zur Vermeidung von Studiengebühren ein länderübergreifend koordiniertes Studienkontenmodell vorsah. (Siehe hierzu den Bericht einer Veranstaltung zu den Konsequenzen des Urteils als PDF.) Diesen Konsens zur Selbstkoordinierung haben die Gebühren-Länder aufgekündigt.

  4. Angesichts des für die nächsten Jahre erwarteten „Studierendenhochs“ wird eine ausreichende Nachfrage nach akademischer Bildung als gegeben betrachtet. Das ist sie jedoch keineswegs. Demographiebedingt wird in einigen Bereichen bereits heute, bald jedoch überall der akademische Nachwuchs fehlen, der die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden AkademikerInnen ersetzen könnte. Gefragt sind deshalb neben einer verbesserten frühkindlichen und schulischen Bildung und zusätzlich zur besseren Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung auch finanzielle Anreize für diejenigen, die sich für eine akademische Ausbildung eignen, sich jedoch aufgrund ihrer familiären und ökonomischen Situation nicht dafür entscheiden. Dass für diese Aufgabe das gegenwärtige System der familienabhängigen Studienfinanzierung nicht ausreicht, war die gemeinsame Position der Wirtschaftsverbände, des CHE und der Heinrich-Böll-Stiftung. Doch nur die Heinrich-Böll-Stiftung sprach sich für eine familienunabhängige Studienfinanzierung aus, die mit der Abhängigkeit von den Eltern auch deren Einfluss auf eine Entscheidung für oder gegen ein Studium zurückdränge. Vorgeschlagen wurde eine Umstellung auf ein Modell der Bildungsgrundsicherung für Studierende und Auszubildende im Sekundar- und Tertiärbereich, die nach schwedischem Vorbild zu 40 Prozent aus Zuschuss und zu 60 Prozent aus Darlehen bestehen könnte. Nur eine solche Grundsicherung werde die Abhängigkeit von Herkunft durch die Garantie von Teilhabemöglichkeiten ersetzen.

  5. Etliche KonferenzteilnehmerInnen fragten nach einer realistischen Perspektive für die Überwindung der Unterfinanzierung der Hochschulen. Ein neuer Verteilmodus zwischen Bund und Ländern, so sinnvoll und notwendig er sei, könne allein nicht ausreichen. Die Wirtschaft verweist bei dieser Frage auf die Notwendigkeit erhöhter privater Beiträge. In ihren Modellen geht sie von 1000 bis 2000 EUR pro Jahr aus. Doch sie gibt auch zu, dass nach internationaler Erfahrung auf diesem Weg nicht einmal die Kostensteigerungen im Hochschulbereich, geschweige denn die Unterfinanzierung aufgefangen werden können. Die Heinrich-Böll-Stiftung schlug demgegenüber statt privater Mittel eine neue politische Systematik des tertiären Bildungsbereichs vor. Dieser sollte als obligatorischer Teil der Bildung behandelt werden, was auch haushaltspolitische Konsequenzen haben und sich in der Umschichtung von sozialpolitischen Reparaturmaßnahmen in investive Bildungsmaßnahmen ausdrücken müsse. Zusätzlich schlug die Heinrich-Böll-Stiftung die Umwidmung des im nächsten Jahrzehnt auslaufenden Solidaritätszuschlags in einen Bildungssoli vor.

Der Konsens hinsichtlich der Wünschbarkeit eines Anreizsystems für die investive Hochschulfinanzierung verdeckte nicht die teilweise erheblichen Unterschiede – Unterschiede der politischen Einschätzung wie auch der Werthaltungen. Entscheidend sind letztlich nicht bildungsökonomische sondern politökonomische Gründe. Bemerkenswert ist gleichwohl, dass sich sowohl Wissenschaftssenator Zöllner (SPD), der Studiengebühren ablehnt, wie auch Wissenschaftsminister Olbertz (CDU), der im Prinzip für Studiengebühren ist, für eine investive Hochschulfinanzierung aussprachen, die sich als wichtiger erweisen werde als Studiengebühren. Eine investive Hochschulfinanzierung werde sich, so Senator Zöllner, auch für Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg lohnen, die bisher bei der Finanzierung ihrer Hochschulen den Fokus eher auf die Forschung gelegt hätten und dafür bei der Exzellenzinitiative sowie generell beim Drittmittelaufkommen ausgesprochen gut gefahren seien. Denn hier gebe es bereits ein System investiver Finanzierung. Zeichnet sich hier die neue Strategie ab, eine Exzellenzinitiative II mit der investiven Finanzierung von Studienkapazitäten zu verknüpfen? Ohne eine Neuauflage hätten die süddeutschen Hochschulen viel zu verlieren. Die ablehnende Haltung eines Vertreters des bayerischen Wissenschaftsministeriums am Rande der Konferenz ist vielleicht doch nicht das letzte Wort.

23.07.2008

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