Mahmud Darwisch - die „poetische Stimme Palästinas“ ist tot

 
11. August 2008
Von Christian Sterzing

Von Christian Sterzing

Er wurde oft als die „poetische Stimme Palästinas“ bezeichnet. Doch er war mehr als ein Nationaldichter: eine moralische, literarische und politische Instanz – nicht nur in Palästina, sondern in der ganzen arabischen Welt, vielfach ausgezeichnet mit internationalen Preisen und Würdigungen. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas rief zum Gedenken an Mahmud Darwisch, der am Wochenende nach einer Herzoperation in Houston/Texas im Alter von 67 Jahren verstarb, eine dreitägige Staatstrauer aus.

Darwisch verkörperte wie wenig andere das Schicksal der Palästinenserinnen und Palästinenser in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1941 in einem arabischen Dorf nahe der Hafenstadt Akko im nördlichen Mandatsgebiet Palästinas geboren. Das Dorf wurde im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 wie Hunderte andere zerstört. Es folgte die Flucht in den Libanon. Darwisch gehörte zu den wenigen Palästinensern, denen eine Rückkehr in den neu entstandenen Staat Israel glückte. Nach dem Beitritt zur Kommunistischen Partei war er Chefredakteur deren Parteizeitung bis er 1970 Israel verließ. Es folgten Jahre des Exils in Moskau, Beirut, Zypern, Tunis, Amman und Paris. Erst in den 1990er Jahren kehrte er nach Ramallah zurück.

Die Stimme Palästinas

Kein Wunder, dass Verlust und Zerstörung der Heimat, Flucht und Vertreibung, Exil und der politische Kampf um Anerkennung, Selbstbestimmung und einen palästinensischen Staat zentrale Themen seiner Dichtung wurden. Mahmud Darwisch wurde zur Stimme Palästinas. Er gab der Trauer, dem Schmerz und der Sehnsucht des palästinensischen Volks, aber auch seinem Widerstand gegen die Besatzung und der Hoffnung auf einen eigenen Staat literarischen Ausdruck. Der Palästinensischen Unabhängigkeitserklärung, die der Palästinensische Nationalrat in Algier 1988 verabschiedete, drückte er als Hauptautor seinen Stempel auf. 

Seine literarische Bedeutung geht weit über Palästina hinaus. Er knüpfte mit seiner bild- und metaphernreichen Sprache nicht nur an die Traditionen arabischer Lyrik an, sondern revolutionierte diese auch thematisch, indem er sich politischen Themen ebenso zuwandte wie Alltagssorgen und -freuden. Dem deutschen Leser mag das eine oder andere Gedicht etwas heimattrunken und „Blut-und-Boden“-trächtig anmuten und seine „Mischung aus Sentimentalität und Militanz“ als „Intifada-Literatur“ erscheinen. Unter den politischen Kontroversen, die seine Werke immer wieder hervorriefen, leidet bis heute vor allem in Deutschland seine Wahrnehmung als einem der größten zeitgenössischen arabischen Dichter. In seinem Spätwerk wurde er immer privater und intimer.
 
Lyrik und Unabhängigkeitserklärung

Als zwar öffentlichkeitsscheuer, doch immer öffentlicher Künstler hat sich Darwisch nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Vita immer auch als politischer Mensch verstanden, wenn er auch nicht der Illusion erlag, er könne mit seinem lyrischen Werk politische Veränderungen bewirken. Nicht nur seine Mitautorenschaft bei der Palästinensischen Unabhängigkeitserklärung ist dafür ein deutliches Indiz. „Meine Beteiligung an der politischen Arbeit ist heute allerdings unfreiwillig,“ sagte er in einem Interview. „Ich sitze in meiner Wohnung und sehe vor meinem Fenster einen Panzer, so kommt die Politik zu mir, auf dem Rücken eines Panzers. Der Baum, unter dem ich Schatten suche, ist am nächsten Tag abgeholzt. Es ist die Politik, die ihn abholzt. Zwischen Schwert und Blut habe ich nicht die Möglichkeit, neutral zu bleiben, denn es mein Blut, das fließt. Die Frage ist aber, wie sich diese Beziehung zwischen Politik und Dichtung ausdrückt... Ich bin außerhalb des Gedichtes politisch tätig. Möglicherweise findet man in Poemen eine politische Ebene, sie sollte aber versteckt sein, damit das Gedicht ein Gedicht bleibt.“ (zit. Nach Dietmar Herz: Palästina. Gaza und Westbank. Geschichte, Politik, Kultur, München, 2003)

Für eine gerechte Zwei-Staaten-Regelung

Eine gerechte und dauerhafte Zwei-Staaten-Regelung und eine friedliche Konfliktlösung waren sein Ziel. 1987 wurde er in den Nationalrat der PLO gewählt, in das Exilparlament der Palästinenserinnen und Palästinenser berufen. 1993 trat er aus Protest gegen die Oslo-Vereinbarungen zurück. Wie wenige andere erkannte der Dichter schon damals, dass dieses Abkommen in eine friedenspolitische Sackgasse führen würde. Auch in den Folgejahren war er ein äußerst kritischer Begleiter der politischen Entwicklungen, ohne sich in die Niederungen palästinensischer Politik zu begeben. Das Verhältnis der politischen Klasse in Palästina zu dem weltbekannten Nationaldichter war deshalb in den letzten Jahren ambivalent, doch seiner uneingeschränkten Anerkennung, ja Verehrung in der Bevölkerung tat das keinen Abbruch. So ziert heute das Mausoleum Yasser Arafats in Ramallah eine große Steinplatte mit einer Würdigung seines Wirkens aus der Feder des großen palästinensischen Dichters.

Dass die „poetische Stimme Palästinas“ in Israel kaum Anerkennung fand, mag niemanden überraschen. Seine Gedichte wurden wie politische Manifeste gelesen und des „Revisionismus“ und der „Militanz“ geziehen. Seine Werke wurden in der Knesset debattiert, und sogar zu einer kleinen Regierungskrise trugen sie bei, als im Jahr 2000 der damalige Erziehungsminister Yossi Sarid von der linken Meretz-Partei Darwisch-Gedichte in die israelischen Schulbücher aufnehmen wollte. Aufgrund des Protestes rechter Parteien pfiff Premierminister Barak seinen Minister zurück und sorgte dafür, dass bis heute palästinensische Literatur nicht Gegenstand israelischer Lehrpläne ist.

Christian Sterzing leitet das Palästina-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.