Seit über zwei Wochen sind wir mit einer gewalttätigen Wirklichkeit konfrontiert, mit einem Krieg: Israels Krieg gegen Gaza. Die Experten beider Seiten werden versuchen, uns zu beweisen, dass der jeweilige „Feind“ Schuld am Ende des Waffenstillstands ist. Ich habe hier nicht die Absicht, die Geschichte neu aufzurollen oder Schuldzuweisungen vorzunehmen. Ich möchte vielmehr die Aufmerksamkeit der Leser auf vier Punkte lenken, die mir wichtig erscheinen, will man besser begreifen, welche Mechanismen die Akteure vor Ort veranlasst haben, die Feindseligkeiten von Neuem zu beginnen.
- Hamas hat wieder damit begonnen, hunderte Raketen auf Israels Süden abzufeuern. Offensichtlich hat die zwei Jahre dauernde Blockade Gazas nicht die Fähigkeiten der Hamas beschnitten, die Zivilbevölkerung mit ihren Raketen zu drangsalieren. Neu ist, dass die Reichweite der handgemachten Raketen mit der Zeit größer geworden ist. Der Tag ist nicht weit, an dem sie das Zentrum einer wichtigen Stadt erreichen, sei dies nun Ashdod, Ashkelon oder Beersheva, und dort Dutzende oder gar Hunderte von israelischen Opfern verursachen. Hamas ist von einer Phase der Gewalt zur nächsten nur stärker geworden, und der Einfluss von Hamas in Gaza hat ständig zugenommen. Glaubt die israelische Regierung wirklich, es könne ihr gelingen, Hamas „auszulöschen“ durch hunderte von Bombardements und durch eine große Bodenoffensive - von der keiner sagen kann, wie oder wo sie aufhört?
- Die Regierung eines demokratischen Staates gebärdet sich genau wie eine terroristische Organisation (Hamas ist eine solche Organisation - wenn auch nur zum Teil). Sie greift überbevölkerte Städte mit Flugzeugen und Raketen an - in vollem Bewusstsein, dass die „Kollateralschäden“ groß sein werden. Das „Bedauern“, dass Sprecher der israelischen Regierung darüber zum Ausdruck gebracht haben, würde zum Lachen gereichen, stünde nicht das Leben Unschuldiger auf dem Spiel. Die Asymmetrie zwischen den beiden Organisationen - die militärische Überlegenheit einer hochgerüsteten Armee gegen die handgemachten Raketen einer bewaffneten Gruppe - darf uns nicht vergessen lassen, dass beide die gleichen Methoden benutzen.
- Was sind die erklärten Ziele dieses Krieges? Israelische Offizielle, allen voran die Militärs, geben einen verwirrten Eindruck ab. Einige von ihnen rechtfertigen den Krieg damit, der Raketenbeschuss von Süd-Israel müsse beendet und die Zivilbevölkerung der Region geschützt werden. In der Vergangenheit jedoch wurden diese Ziele niemals erreicht – außer im Rahmen einer Waffenruhe, wie begrenzt diese auch immer gewesen sein mag.
Andere sprechen davon, Hamas durch die Tötung der verantwortlichen Politiker und Militärs „auszulöschen“. Hat sie die Erfahrung nicht gelehrt, dass der Tod eines Hamas-Führers die Geburt von zehn neuen bedeutet, die allesamt den Kampf entschieden fortführen werden? Und wie kann man dann erklären, dass die überwältigende Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit wiederum die Entscheidung ihrer Regierung unterstützt, massiv gegen Hamas vorzugehen?
- Was sind die Ziele, die israelische Regierungen seit Jahrzehnten verfolgen? Immer wieder war und ist zu hören, man strebe Frieden mit den Nachbarn an und mit der arabischen Welt. Immer wieder forderte man die Anerkennung des Staates Israel und äußerte den Wunsch nach mehr regionaler Integration. Immer wieder reagierte man auf die Nachbarn fast ausschließlich mit brutaler Gewalt. Wie lässt sich erklären, dass die Friedensinitiative der Arabischen Liga, die von den Mitgliedern der Liga im März 2002 einstimmig angenommen wurde, von der israelischen Regierung ignoriert worden ist? Und wie, dass dieser Initiative das gleiche Schicksal widerfuhr, als man sie 2007 wieder aufleben ließ?
Muss noch einmal an den Inhalt dieses historischen Dokumentes erinnert werden, in dem dem Staat Israel das Ende aller Auseinandersetzungen vorgeschlagen wird, die Normalisierung der Beziehungen zu allen arabischen Ländern, die Aufnahme diplomatischer und von Handelsbeziehungen? Muss noch einmal daran erinnert werden, dass in jenem Dokument auch der Rückzug Israels aus all jenen Gebieten gefordert wird, die es seit dem 4. Juni 1967 besetzt hält (mit kleineren Gebietsaustauschen, damit große Siedlungsblöcke, in den mittlerweile zehntausende Israelis leben, bei Israel verbleiben können), dass gefordert wird, Ost-Jerusalem müsse die Hauptstadt eines palästinensischen Staates werden und dass eine einvernehmliche, d.h. eine Verhandlungslösung für die Frage der palästinensischen Flüchtlinge gefunden werden müsse?
Ist nicht der Moment gekommen, sich jener Lösung zuzuwenden, die das Leben bringt, eine Zukunft und die Hoffnung, als noch einmal auf die militärische Karte zu setzen?
Es ist vergebens, auf Israels Politiker zu setzen. Keiner von ihnen hat die nötige politische Statur; alle denken nur an die eigene politische Zukunft. Die Vertreter der palästinensischen Nationalbehörde sind in jahrelangen „Verhandlungen“ marginalisiert worden; währenddessen hat sich das Leben der Palästinenser im West-Jordanland und Ost-Jerusalem um keinen Deut verbessert. Nach dem Putsch von Hamas im Juni 2007 haben sie zudem die Kontrolle über Gaza verloren.
Die Europäische Union hat nichts anzubieten, außer Geld um wiederaufzubauen, was die israelische Armee zerstört hat und Geld um die Gehälter palästinensischer Beamten zu bezahlen. Zu allem Überfluss hat die EU vergangenen Monat bedingungslos Israel einen höheren Status im Verhältnis zur Gemeinschaft zugebilligt.
Die Blicke und Hoffnungen all jener, die auf einen gerechten und dauerhaften Frieden in der Region hoffen, sind nun auf die neue US-Regierung gerichtet. Wird Barack Obama, der neue US-Präsident, der den Wandel versprochen hat - der den Wandel verkörpert – den Weitblick und den Mut haben, der nötig ist, will man die Konfliktparteien zum Abschluss eines endgültigen Friedensvertrags bringen?
Ist Obama überzeugt davon, dass ein Frieden zwischen Israelis und Arabern ihm dabei helfen wird, den Rückzug aus dem Irak über die Runden zu bringen, die Anstrengungen in Afghanistan und Pakistan zu verstärken und die lange überfälligen Gespräche mit dem Iran zu beginnen? Wenn die Antwort ja lautet, dann muss die Nahostpolitik vom Moment seines Amtsantritts der Schwerpunkt seiner Außenpolitik werden.
Simone Susskind ist Tochter jüdischer Einwanderer, die in den 1930er Jahren nach Belgien flohen. Einen großen Teil ihres politischen und Arbeitslebens galt der Förderung der humanistischen und laizistischen Elemente der jüdischen Identität und dem Weg hin zu einer Welt, in der Differenzen respektiert werden.
Sie ist u.a. Vorsitzende von Actions in the Mediterranean und Mitglied der Parti Socialiste.